Lola stand mit dem Rücken zum Bücherregal, den Arm mit dem Zauberstab zum Angriff erhoben. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie da gesehen hatte. Zuerst hatte sie es für einen Animagi-Trick gehalten, aber nun zweifelte sie daran. Das hier war kein gewöhnliches Tier. Das hier war eine gefährliche Kreatur. Olivia existierte nicht mehr. Ein Löwenkopf und ein Ziegenkopf starrten sie an und ein langer, schuppiger Schwanz klopfte langsam und gleichmäßig auf den Boden. Fieberhaft ging Lola die Zauber durch, die sie in Verteidigung gegen die Dunklen Künste gelernt hatte. Zwei hatte sie schon probiert, aber es schien dem Wesen nichts anzuhaben. Langsam schlich es auf sie zu. Plötzlich ertönte ein Poltern und die Bibliothekstüren wurden aufgestoßen. Zu Lolas Entsetzen trat ein weieres Biest ein. Gegen eines hätte sie sich verteidigen können, aber zwei? Es legte etwas zu den Füßen Olivias. Ein Junge. "Malbo!" Was machte Malbo hier? Auch Olivia, oder eher das Biest, das Oliva war, schien verwirrt zu sein. "Was soll das?", fauchte der Löwenkopf das neue Biest an. Der Ziegenkopf der anderen blinzelte zweimal dämlich, bis er antwortete: "Ich teile mit dir, Schwester. Wir teilen uns den Satyrn und das Halbblut. Ich habs satt, immer nur die Reste zu bekommen." Lola wusste nicht, was sie tun sollte. Malbo lag auf dem Boden, sie konnte sein Gesicht nicht sehen und nur hoffen, dass er noch am Leben war. Das Biest erntete ein wütendes Fauchen seiner Schwester: "Was willst du? Teilen? Kommt gar nicht in Frage. Ich bin ausgehungert. Ich habe die ganze Arbeit gemacht! Sie steht mir zu!" Der Schlangenschwanz peitschte auf den Boden. Lola wartete auf eine Gelegenheit, aus ihrer Ecke zu kommen, aber der Löwenkopf des einen Geschöpfes hielt sie starr im Blick. Der Ziegenkopf meckerte: "Nein! Ich hasse es, dass du ständig immer das Beste willst. Warum du? Ich bin gleichwertig, wenn nicht sogar besser als- ARGH!" Der Löwenkopf des Biests stieß ein Brüllen aus und der Ziegenkopf fuhr herum. Aus dem Rücken des Geschöpfes ragte ein goldener Speer, mit rötlicher Klinge. Es dauerte keine zwei Sekunden, da löste sich der Körper der Kreatur in Goldstaub auf, der in der Luft verblasste. "WAS HAST DU GETAN?", brüllte die Olivia-Bestie Malbo an. Er war aufgesprungen und hielt den Speer mit beiden Händen von sich. "Lola! Geht es dir gut?", rief er ihr zu. Sie konnte nichts, außer ein leises "J-ja", stammeln. "DAFÜR BRING ICH DICH UM", schrie der Ziegenkopf und stürzte sich auf Malbo. Dieser wich jedoch geschickt aus. Er verschaffte Lola Zeit, damit sie sich beruhigen konnte. Dann schnappte sie sich ihre Umhängetasche, sprang aus ihrer Ecke heraus und begab sich in Angriffsposition. "Locomotor Mortis!" Der Beinklammerfluch war das erste, was ihr einfiel. Eine blaue Welle entwich ihrem Zauberstab und prallte auf das Biest. Es stolperte und der Löwenkopf fiel auf seine Nase. Die Ziege meckerte aufgebracht und die Kreatur versuchte aufzustehen. "Das war super Lola. Aber das hält sie nicht lange auf, wir müssen hier weg." Malbo packte ihre Hand und zog sie aus der Bibliothek. Dabei öffnete seinen Hosenknopf. Jetzt war sowieso alles zu spät. Es war wichtiger, dass er sich uneingeschränkt bewegen konnte. "Warte! Was? Warum? Was ist das überhaupt für ein Ding? Und warum zum Teufel ziehst du deine Hose aus? Malbo, ich - oh." Der Junge streifte seine Hose ab und dort, wo seine Beine hätten sein sollen, kam zottiges, rotbraunes Fell zum Vorschein. "Was...", begann Lola und wollte sich erneut aufregen, aber Malbo war schneller. Mit einem Seufzer schubste er die Hose von sich weg und streifte seine Schuhe ab. Schwarze Hufe klapperten auf den Steinboden. "Satyr. Halb Mensch, halb Ziege." Er grinste sie an. "Bist du... Bist du etwa auch so ein Ding?", fragte Lola und riss sich los. Lautes Gebrüll drang durch die Tür zu ihr. "Eine Chimäre? Nein. Ich bin viel netter." Er blickte sie eindringlich an, "und wir müssen hier jetzt echt weg. Wir... Du bist in Gefahr!" Ein weiteres Gebrüll. Näher und lauter. "W-was ist mit den anderen? Mit Valerie und Nana und Robin?", fragte Lola ängstlich. Malbo atmete tief durch, ihnen lief die Zeit davon. "Die Chimäre wird ihnen nichts tun. Sie ist nur hinter dir her!" Er griff nocheinmal ihre Hand. Lola wehrte sich nicht. Sie wusste zwar nicht, ob sie ihm vertrauen konnte, doch der Junge mit den Ziegenbeinen schien ihr die bessere Wahl, als Abendessen eines Mischwesens. Der Speer, der vorher noch in Malbos Hand gewesen war, schrumpfte zurück in einen Dolch und der Satyr befestigte ihn schnell an seinem Gürtel. Suchend schaute er sich um und zum Glück lag sein grüner Rucksack noch unbeschadet auf dem Boden. Er hob ihn auf und eilte mit Lola die Treppen hinunter. Wie durch ein Wunder begegneten ihnen keine Schüler, die Gänge schienen wie ausgestorben.
Als sie auf den Schulhof stolperten, wurden sie von kalter Nachtluft empfangen. Schließlich war es Mitte September. Lola fröstelte in ihrer Robe, sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es Malbo ging. Erschöpft sanken sie zu Boden und atmeten mehrmals tief durch.
Gerade wollten sie wieder aufstehen und Lola wollte fragen, ob sie nicht einem Lehrer Bescheid sagen sollten, da hetzte die Chimäre quer über den Hof und auf Malbo zu. Lola konnte ihn nicht rechtzeitig warnen.
Die Chimäre schlug Malbo den gezückten Dolch aus der Hand und drückte ihn zu Boden. Malbo machte ein gequältes Gesicht, versuchte aber stark zu wirken. Der Ziegenkopf schrie und das Löwenmaul qualmte: "Du Mörder meiner Schwester! Sie musste wegen dir ihr Leben lassen. Du dreckiges Böcklein!" Das Biest war nur auf den Satyrn fixiert, weshalb sich Lola traute, näher heranzuschleichen. Ihr Blick haftete am Dolch. Sie musste ihn nur aufheben und dann... Eigentlich wollte sie niemanden töten. Aber diese... Chimäre bedrohte ihren Beschützer und sie würde von diesem Biest vermutlich keine Antworten auf ihre Fragen bekommen. Schritt für Schritt kam sie näher, wobei sie ihren Atem anhielt. Gleich hätte sie ihn erreicht. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, da sah sie aus dem Blickwinkel, wie der Schlangenschwanz auf sie zugerast kam. Lola konnte sich noch eben so unter ihm wegducken und griff panisch den Dolch. Malbo keuchte unter dem Gewicht des Löwenkörpers. Das Mädchen musste sich beeilen, sonst würde die Chimäre ihm die Rippen brechen. So schnell wie möglich richtete sie sich auf und stürzte sich auf das Ding, welches zum Sprung auf sie ansetzte.
Automatisch wurde aus dem Dolch ein Speer und bohrte sich wie Butter in den Körper der Chimäre. Lola hätte gedacht, dass das Biest vielleicht bluten würde, aber es löste sich, ebenso wie das erste, in Goldstaub auf."Malbo! Geht es dir gut? Malbo!" Lola schüttelte leicht seine Schultern. Sie war sofort zu ihm gerannt, hatten den Speer fallen gelassen und sich über ihn gebeugt. Er blutete am rechten Bein und sein Gesicht war von der Hitze gerötet und schweißnass. Auch atmete er schwer. Seine Augen waren geschlossen und Lola hatte Angst, ihn zu verlieren. Das würde sie sich nie verzeihen. Doch zu ihrem Glück öffnete der Satyr nun langsam die Augen und schaute sie müde an. "Das hast du super gemacht", flüsterte er. "Du wirst im Camp bestimmt sehr viel Spaß haben. Auch wie du den Speer benutzt hast... Elliot wird dich sicher mögen." Er hustete kraftlos. "Pscht. Nicht so viel reden", erwiderte Lola und kramte in ihrer Tasche. Sie holte einige Kräuter und einen Schal heraus und verband Malbo das Ziegenbein. Es war immer noch ein seltsamer Zustand, aber endlich verstand Lola, warum er so hinkte. Nachdem sie fertig war, beugte sie sich über ihn und tupfte ihm mit ihrer Robe die Stirn trocken. Dann schaute sie verlegen auf seinen Oberkörper, der sich unter seinen Atemzügen auf und ab bewegte. "Ich... Ich müsste jetzt einmal... Also..." Malbo grinste schief: "Ja. Mach schon. Du scheinst ne gute Ärztin zu sein." Lola nickte mit zusammengepressten Lippen und knöpfte das cranberry-farbene Hemd auf. Sie legte behutsam ihre Hand auf seine Brust. Malbo zitterte und fuhr scharf die Luft ein. "Entschuldigung. Aber das muss jetzt sein", sagte Lola leise. Sie hatte mittlerweile gelernt, es zu kontrollieren. Es war ihr schon bei Vögeln und Katzen gelungen, also warum nicht bei ihm? Das Mädchen beobachtete, wie sich die Gesichtszüge von Malbo wandelten. Erst wurden sie entspannter, dann schaute er sie verwundert und verwirrt an. Irgendwann nahm sie ihre Hand weg. "Was... Was hast du gemacht? Brauchst du nicht einen Zauberstab, um zu zaubern?", fragte er und setzte sich auf. Seine Brustschmerzen waren verschwunden. Ihm ging es gut. Selbst seinem Bein schien es deutlich besser zu gehen. Lola grinste verlegen: "Eigentlich schon. Aber Wunden kann ich mittlerweile auch so heilen. Ich weiß nicht warum." Malbos Augen leuchteten auf. Er hatte gerade etwas begriffen, was Lola noch nicht wissen konnte. "Das ist deine Fähigkeit! Das muss sie sein!" Er versuchte aufzustehen, knickte einmal um und Lola reichte ihm ihre Hand, die er danken annahm. "Fähigkeit?", fragte sie, "Was meinst du damit? Ich bin doch eine Hexe!" Malbo schüttelte den Kopf und hob den Speer und seinen Rucksack auf. "Nein. Also... Doch. Aber auch wieder nicht. Komm. Wir müssen ins Camp. Ich bring dich hin." Er wollte gerade loslaufen, aber Lola hielt ihn zurück: "In was für ein Camp? Was redest du da? Ich bin doch jetzt hier auf Ilvermorny. Ich kann doch nicht einfach so gehen." Malbo drehte sich um und schlug einen ernsten Ton an: "Hör zu! Wir können hier nicht bleiben. Mehr Monster würden kommen und versuchen, dich zu töten. Ich kann dir leider nicht viel mehr sagen, denn das würde nur noch mehr anlocken. Nur noch eins: Es ist mein Auftrag dich zu beschützen. Und das kann ich nur, wenn du mitkommst."
Er hielt ihr die offene Hand hin. Es klang verrückt. Unfassbar verrückt. Aber es war ja auch alles verrückt. Lola konnte nicht mehr trennen, was jetzt magisch oder nicht magisch war. Aber vielleicht könnte der Satyr ihr die Wahrheit zeigen? Vielleicht würde er ihr wirklich helfen können? Sie nahm all ihren Mut zusammen, nahm die Hand des Ziegenjungen und verließ mit ihm die Schule, auf der sie sich ein neues Zuhause hatte aufbauen wollen.
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Die Kinder der Aphrodite • HP × PJ FF
FanficLola Harvey lebt mit ihrem Vater in Boston, Massachusetts. Sie ist elf Jahre alt und bereit, sich dem Leben als Schülerin in Ilvermorny zu widmen. Doch plötzlich kommt alles ganz anders, als sie den Satyr Malbo kennenlernt. Denn er zieht sie aus ihr...