11) Augen lügen nicht

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Jimin POV

Okay, Zeitsprung. Das neue Jahr brach an, und der Schnee sank immer weiter. Ich hatte den ganzen Winter über versucht, unauffällig Yoongi näher zu kommen. Meistens trieb der Schwarzhaarige mit einigen seiner Mitläufer im Gruppenraum herum und machte jüngere Kinder fertig. Doch ich konnte beobachten, dass meistens seine Mitläufer die Kommentare abließen; Yoongi stand oft nur daneben und hatte die Arme verschränkt. Immer wieder versuchte ich ihn anzusprechen, doch er war immer von seiner Gang umgeben; man fand ihn nie alleine... zumindest nicht tagsüber.

🐘

Wie so oft fiel mir das Einschlafen schwer. Zu viele Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Unruhig wälzte ich mich im Bett herum. Der Vollmond draußen warf ein mattes, silbriges Licht durch die zugezogenen Vorhänge. Ich konnte eine Eule rufen hören; irgendwo, weit entfernt, weinte ein Kind. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei und warf mit seinen Scheinwerfern warmes Licht auf die Wände.
Seufzend drehte ich mich auf die andere Seite. Der Wecker auf dem Nachttisch verkündete mit leuchtenden Zahlen, dass es bereits 4:34 war. Ich würde morgen so was von müde sein. Ein weiteres Mal schloss ich die Augen und versuche einzuschlafen, doch ich war viel zu wach. Mit einem weiteren Seufzer schlug ich die Bettdecke zurück und stand auf.
Langsam ging ich zum Fenster und schob die Vorhänge zur Seite. Das Licht des Vollmonds fiel auf den hellen Holzfußboden des Heimzimmers und ließ es silbrig schimmern. Ich öffnete das Fenster und atmete die kühle Nachtluft ein. Ich schloss die Augen und genoss die Kälte auf meinem Gesicht. Meine Gedanken begannen, sich langsam zu ordnen und mein aufgewühlter Kopf beruhigte sich. Ich öffnete die Augen wieder und wollte gerade zurück ins Bett gehen, da sah ich aus dem Augenwinkel jemanden draußen auf der Schaukel hocken.

Es war Yoongi.

Einen Moment zögerte ich, doch dann drehte ich mich um und zog mir hastig meine Schuhe an. Möglichst leise huschte ich aus dem Zimmer und schlich die Treppe herunter. Als ich an der Tür zum Garten ankam, zögerte ich wieder. Was, wenn er mich nicht sehen wollte? Wenn er mich angriff? Doch meine Hand bewegte sich wie von alleine nach vorn und öffnete die Tür. Leise ging ich nach draußen und schloss sie hinter mir.

Yoongi schien das Geräusch nicht mal zu bemerken. Behutsam ging ich auf ihn zu und setzte mich neben ihn auf die zweite Schaukel. Ich wusste, dass er mich bemerkt hatte, doch er sah mich nicht mal an. Eine Weile saßen wir bloß so da und blickten in den Nachthimmel. Dann, plötzlich, begann Yoongi neben mir zu schluchzen. Vorsichtig stand ich auf und nahm seine Hand. Yoongi sah auf und wischte sich die Tränen weg. "Warum tust du das?", flüsterte er unter Tränen. Ich streichelte beruhigend seinen Handrücken. "Du willst nicht der Böse sein, das sehe ich. Du hast gezögert, als du deinen Jungs befohlen hast, mich zu verprügeln. Und du hast weggesehen, als ich geschlagen wurde. Und in deinen Augen war Mitleid. Du hast dein bestes gegeben, kalt zu bleiben, aber Augen lügen nicht, Yoongi. Augen lügen nie."
Der Schwarzhaarige sah mich eine Weile an, dann senkte er den Blick und schluchzte leise. "Ich... ich will nicht drüber reden." "Aber vielleicht würde es dir danach besser gehen", flüsterte ich. Yoongi sah mir in die Augen. "Ich will nicht darüber reden, Karottenkopf!" "Aber..." "HÖRST DU SCHLECHT? ICH WILL, DASS DU MICH VERDAMMT NOCH MAL IN RUHE LÄSST, JIMIN!", schrie er mich an. Ich zuckte zusammen. Yoongi sprang auf und rannte an mir vorbei und wieder ins Heim.

Zögernd stand ich auf. Die Schaukel, auf der Yoongi gesessen hatte, schwang noch leicht hin und her.
Ich konnte hören, wie sich Yoongis Zimmertür drinnen schloss, dann ein leises Schluchzen. Ich musste unwillkürlich lächeln. Ich hatte ihn. Ich wusste jetzt, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Langsam machte ich mich auf den Weg zurück in mein Zimmer, mit dem festen Beschluss, bald wieder mit Yoongi zu sprechen.

Elefanten aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt