5) Tränen von früher

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Jimins POV

Kaum hatte ich die große Tür zum Speisesaal hinter mir gelassen, fing ich an zu rennen. Was in aller Welt hatte mich eigentlich dazu gebracht, mit diesem Jungen zu reden? Hatte ich mir nicht ein für alle mal geschworen, nie wieder Mitleid mit jemandem zu haben? Ich würde mir nur wieder Probleme einhandeln und alles würde wieder so werden wie damals... nein. Es durfte nicht so wie früher werden!

Nicht wie früher, als ich aus Mitleid einem Mitschüler geholfen hatte, vor einer Gruppe älterer Schüler zu entkommen, die ihn verprügeln wollten!

Wie früher... Als sie mich dafür genommen haben...

Wie früher... als ich gedemütigt und geschlagen wurde... ausgenutzt... gemobbt... als meine Eltern die einzigen waren, die mir ein ehrliches Lachen entlocken konnten...

Eine Träne schlüpfte aus meinem Auge und lief meine Wange hinunter. Verdammt. Ich durfte nicht an damals denken. Schnell wischte ich das verräterische Ding von meinem Gesicht und zwang mich, einen neutralen Blick aufzusetzen.

Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir. "Jimin, warte!" Es war Taehyung.
Widerwillig blieb ich stehen. "Was willst du?", nuschelte ich. Außer Atem blieb der braunhaarige neben mir stehen. "Ich wollte mich bei dir bedanken!"

Mit hochgezogenen Augenbrauen
sah ich ihn an.
"Wofür?"
Taehyung schenkte mir einen verwirrten Blick. "Na, für die Sache mit Yoongi. Der Typ hätte mich ohne dich verprügelt, weißt du?"
Ach so war das. Dieser Yoongi hatte anscheinend die Rolle des "Bösen". Ob er sie freiwillig oder unfreiwillig hatte, fragte sich natürlich niemand.
Aber was interessierte es mich. Ich würde sowieso bald von hier verschwunden sein. Ich durfte kein Mitleid haben. Yoongi konnte mir egal sein. Er musste mir egal sein.

"Hmm", antwortete ich vage und drehte mich um, um ins Zimmer zu gehen. Taehyung lief hinter mir her. "Was ist denn los?"
Warum interessierte ihn das überhaupt?

Im Zimmer angekommen setzte ich mich auf mein Bett und starrte stumm an die Decke. Ich hasste mich für mein Mitleid. Ich hasste mich für mein weiches Herz. Ich hasste mich...
Wieder spürte ich, wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Verdammte, kalte, verräterische Tränen.
Es kamen immer mehr, mein Ärmel war bald nass geweint. Warum konnte ich meine Gefühle immer noch nicht verstecken? Warum hatte ich immer und immer wieder diese verfluchten Gefühlsausbrüche?
Ich sank, auf dem Bett sitzend, in mich zusammen und schluchzte auf. Warum war ich so schwach? Warum heulte ich wie ein kleines Mädchen, verdammt nochmal?!?

Was es wirklich nur der Gedanke an früher gewesen?

Ein Arm legte sich um meine Schultern. Taehyung. Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Ohne nachzudenken. Ohne auch nur daran zu denken, ihn wegzustoßen. Warum sollte ich auch.
Taehyung streichelte mich beruhigend und flüsterte mir mit ruhiger Stimme beruhigende Worte zu. Ich wurde von Schluchzern geschüttelt, klammerte mich an ihn, heulte all den Schmerz der vergangenen Jahre raus. Es tat so gut, zu weinen. Es tat so gut, alles rauszulassen. Es tat so gut, in Taehyungs Armen zu sein und sich an ihn zu kuscheln...
Moment~ was?

Nach einer Weile versiegten die Tränen und ich saß nur noch leise schniefend da und klammerte mich an Taehyungs Schulter. Es war ganz still im Raum. Nur mein leises Hicksen war zu hören; ich hatte durch meinen Heulkrampf Schluckauf gekriegt.

"Warum bin ich nur so schwach", flüsterte ich.

"Du bist nicht schwach, Jimin", hörte ich Taehyungs beruhigende Stimme an meinem Ohr. "Es ist keine Schwäche, schlimme Erfahrungen gemacht zu haben. Du hältst dich vielleicht für schwach, weil du so behandelt wurdest. Du denkst vielleicht, dass du schwach bist, weil du keine Fehler wiederholen möchtest. Aber vergiss nicht, dass niemand ohne Fehler ist. Niemand kann sich vollkommen abblocken und alles vergessen. Das ist nunmal menschlich..."

Ich kämpfte gegen den Anflug von Dankbarkeit an und nickte nur. "Ist schon gut, mir geht es wieder besser", nuschelte ich und versuchte mich an einem Lächeln. Taehyung lächelte zurück. "Gut", meinte er und stand auf. "Ich geh ein bisschen in den Gruppenraum, kommst du mit?", fragte er fröhlich. Ich schüttelte den Kopf. "Ich bleib hier", erwiderte ich knapp. Taehyung nickte. "Okay, bis später! Und pass auf dich auf", lächelte er und verschwand nach draußen.

Ich blieb zusammengesunken auf dem Bett sitzen. Wie konnte man nur so gut gelaunt sein? Immer nur das beste im Leben sehen? Wie konnte man nur wie Taehyung sein?

Und wieso konnte ich nicht wie er sein?

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Ich bin irgendwie gar nicht zufrieden mit diesem Kapitel :/

Elefanten aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt