3) Der erste Tag

81 10 1
                                    

Jimin POV

Als ich am Morgen erwachte, wusste ich zuerst nicht, wo ich war. Das schrecklich eintönige klinische Weiß der Decke und Wand über mir ließ ein Gefühl der Kälte in mir aufsteigen.
Verzweifelt schloss ich die Augen wieder, in der Hoffnung, dass alles nur ein Traum war und ich wieder zu Hause aufwachen würde. Bei meinen Eltern...

Ich wollte hier raus. Aus diesem Waisenhaus, aus diesem Körper, aus diesem verfluchten Leben!

Bald, Jimin.

Dieser Gedanke gab mir die Kraft, aufzustehen.
Taehyung lag auf der anderen Seite des Zimmers unter der Decke und schnarchte selig. Fühlte er sich hier wohl? Dachte er nie daran, einfach verschwinden zu wollen, am besten für immer? Stellte er sich nie vor, wie schön es wäre, nicht mehr zu existieren?

Der schlafende Junge rollte sich auf den Rücken und lächelte im Schlaf.
Plötzlich beneidete ich ihn darum. Konnte ich nicht einfach nur einen Tag so sorglos leben wie er? Warum hatte ich kein ehrliches Lächeln mehr? Warum war der einzige Gedanke, der mich am Leben hielt, der Gedanke an den Tod?

Langsam ging draußen die Sonne auf und schien durch die Gitterfenster in unser Zimmer. Das triste Zimmer wurde innerhalb von wenigen Minuten in ein orangenes Licht getaucht. Konnte ich mich nicht darüber freuen? Konnte ich nicht lächeln und den Sonnenaufgang genießen? Ich war hoffnungslos, umso besser, wenn ich so bald wie möglich von diesem Planeten verschwinden würde. Stumm saß ich auf der Bettkante und spürte die Verzweiflung in mir aufsteigen.

Ich bemerkte die Tränen erst, als sie von meinem Gesicht auf die Bettdecke und den Boden tropften. Hastig fuhr ich mit dem Handrücken über mein Gesicht, als ich plötzlich eine verschlafene Stimme hörte: "weinst du?"
Ich blickte auf und sah Taehyung ins Gesicht, der aufrecht im Bett saß und mich besorgt musterte. "Was geht's dich an?", knurrte ich und wandte mich ab.

Warum war ich eigentlich so unfreundlich zu ihm?

Hinter mir hörte ich, wie Taehyung aufstand und zu mir gelaufen kam. "Sollen wir Frühstücken gehen, Jimin?"
Ich drehte mich zu ihm um und schniefte. "Ich will nicht."
Eigentlich erwartete ich Enttäuschung in seinem Gesicht oder Wut, weil ich so unfreundlich war, doch Taehyung~

~lächelte mich an.
"Komm schon", meinte er und hielt mir seine Hand hin.

Etwas in mir wollte rebellieren und seine Hand zurückstoßen, doch ich überwand mich und nahm tatsächlich die Hand. Der braunhaarige Junge lächelte und half mir hoch.
Unsicher stand ich da und sah mich um. Jetzt, wo die Sonne aufgegangen und das Licht, das durch die vergitterten Fenster fiel, nicht mehr orange war, wirkte der triste weiße Raum wieder so kalt und abweisend wie gestern. Zum ersten Mal nahm ich ihn wirklich wahr. Ein großer Schrank stand neben einer kleinen Tür an einer Wand, an der Decke hing eine Neonröhre, die unnatürliches Licht ausstrahlte und vor dem Fenster stand ein Tisch mit zwei Stühlen, ebenfalls in klinischem Weiß gehalten. Nichts um alles in der Welt konnte mich an so einem Ort festhalten.

"Komm schon, zieh dich an und dann gehen wir", holte mich Taehyungs Stimme in die Wirklichkeit zurück. Ich nickte nur und schnappte mir irgendwelche Klamotten. Wie ich aussah, war mir schon lange nicht mehr wichtig. Mein Gegenüber deutete auf die kleine Tür neben dem weißen Schrank. "Im Bad kannst du dich umziehen." Gedankenverloren nickte ich, murmelte etwas vor mich hin und ging durch die Tür ins Badezimmer.

Es war sehr klein und mit - wie zu erwarten - weißen Fliesen ausgekleidet.

Wirst du es hier tun?

Ich hielt mir die Ohren zu. Konnte diese innere Stimme mal von was anderem reden als vom Tod?

Hättest du wohl gerne. Du willst doch sterben.

Das stimmte leider.

So schnell es ging zog ich mich an und ging wieder zu Taehyung. Er lächelte ermutigend und hielt mir seine Hand hin. Ich nahm sie ohne zu widersprechen. Dafür fehlte mir die Kraft.

Bald...

Elefanten aus GlasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt