Kapitel 5: Der Weg nach Hatrum

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Brendon machte die Leinen los. Er und Tharan begannen zu rudern. Die Strömung des Flüsschens war nur sehr schwach und es war ein leichtes gen Norden zu paddeln. Schnell hatten sie ihr Heimatdorf verlassen und warfen einen letzten Blick nach Süden. Nun konzentrierten sie sich auf den Fluss. Bald waren sie außerhalb der Sichtweite von Ondror.
Einige Stunden weiter nördlich lag ein kleiner Wald – der Blockwald. Seinen Namen bekam er durch viele Felsblöcke die dort die Landschaft säumten. Dort wollten die drei ihr Lager aufschlagen. Denn sie kannten einen Felsen, direkt am Ufer gelegen, der eine Ausbuchtung hatte und unter dem man ein Lager richten konnte. Als sie im Blockwald ankamen, zogen sie das Boot an Land und banden die Leine an einem Baum fest und richteten sich einen Schlafplatz. Tharan ging Feuerholz suchen und Brandur richtete Decken her.
Schließlich brieten sie sich Kartoffeln in der Glut des Feuers. Doch es dauerte lange bis die Knollen gar waren. Währenddessen saßen sie rund um das Feuer und besprachen den Ablauf der nächsten Tage. Zwischendurch rösteten sie sich etwas Brot an und aßen es. Langsam wurde es ruhig. Dir drei starrten ins Feuer und vergaßen schon ihre Umgebung als plötzlich, nicht weit von Ihnen ein Vogelschwarm aufschreckte und aus dem Wald empor flog. Die drei sprangen auf. "Was hat die denn aufgeschreckt?", fragte Tharan mehr zu sich selbst doch laut genug, dass es die anderen hören konnten. "Ich weiß es nicht, doch geht erstmal zum Felsen", sagte Brendon und holte seinen Säbel hervor. Er stellte sich zwischen das Lagerfeuer und den Felsen, seine Freunde in Schutz nehmend. Im Gebüsch raschelte es. "Da, habt ihrs gehört", fragte Tharan. "Jaja, pssst", zischte Brendon. Es raschelte wieder. "Ach kommt schon", meinte Brandur. "Das ist wahrscheinlich nur ein Reh." Nun hörten sie nichts mehr. Nach einigen Minuten setzten sie sich wieder ans Feuer. Die Kartoffel waren verbrannt. Und sie fühlten sich alle ein wenig unwohl. "Da ist es wieder." Erneut raschelte es im Wald. Es wurde lauter und es kam näher. Tharan schnappte sich wieder seinen Säbel und ging nun dem Geräusch entgegen. Doch in dem Moment trat Levir zwischen den Büschen hervor. "Ach ihr seid es", sagte er. "Levir! Hast du uns erschreckt. Warum schleichst du denn hier im Dunkeln herum?" Levir war ein Bekannter und Freund der drei. Er lebte in Varnor und war oft für irgendwelche Leute unterwegs, um Sachen zu besorgen. Er kannte den Platz im Blockwald gut, denn er machte hier immer wieder Halt wenn er durch diese Gegend kam. "Na ich hab unseren Platz gesucht. Ich habe gehofft, dass ich euch hier finde." "Wieso denn?", fragte Brandur. "Ich muss auch nach Hatrum. Da könnte ich doch bei euch mitfahren, oder?" "Ja, kein Problem", sagte Brendon. "Doch hör bitte auf, mitten in der Nacht die Vögel aufzuschrecken", sagte Tharan. "Welche Vögel denn?" "Ach vergiss es. Schon gut."
Die vier saßen noch eine Weile ums Feuer und plauderten. "Was machst du eigentlich hier, Levir?", fragte Tharan. "Ich muss für Hared ein Buch besorgen, den Bibliothekar in Ulvaer. Er meinte in Hatrum werden sie es schon haben und er bezahlt mich gut." "Also hast du dich wieder mal auf den Weg gemacht. Haha!", lachte Brandur. "Stets unterwegs um an sein Geld zu kommen, der Gute." "Na besser als sich mit irgendwelchen niederen Arbeiten durchzuschlagen, wie du." Levir mochte Brandur nicht besonders. Doch die drei waren nun mal meistens zusammen anzutreffen. "War nicht böse gemeint, sei doch nicht immer gleich beleidigt. Ich würde auch lieber reisen, als Ställe auszumisten", sagte Brandur.
So verging die Zeit und es wurde spät und Nebel zog auf. Doch das Feuer wärmte sie. Bald krochen sie unter ihre Decken. Brandur und Levir schliefen als erste ein. Brendon und Tharan unterhielten sich noch kurz. Dann schlief auch Brendon ein. Tharan war nicht richtig müde und immer noch ein wenig aufgeregt vom Auftauchen Levirs. Doch er schloss die Augen und döste auch alsbald ein. Zirka nach einer Stunde wachte er auf. Im Halbschlaf sah er durch den Nebel etwas. Oder glaubte es zumindest zu sehen. Etwas schimmerte blau durch die feuchte Luft. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder, nichts. Er setzte sich auf und sah sich um. Alle schliefen. Er versuchte durch den Nebel etwas zu erkennen. Doch er konnte nichts sehen. Es war ruhig. Nur das Knistern des Feuers war zu hören.
Brendon, Brandur und Levir wurden aus dem Schlaf gerissen als Tharan schrie. Sie sprangen auf und fanden ihn zusammengekauert am Felsen. "Tharan, was ist los", fragte ihn Brendon. "Es saß am Feuer." Die drei blickten zu der Stelle wo das Lagerfeuer gebrannt hatte, doch bis auf ein wenig Glut war es heruntergebrannt. "Da ist nichts", meinte Brandur. "Es kauerte direkt neben uns und sah mich an." "Was denn?", fragte Brendon. "Ich weiß nicht was es war. Ich hab so was noch nie gesehen. Irgendein Tier halt." "Ein Tier also, fürchtest du dich vor den Rehen hier, Tharan?", spottete Brandur. "Sei ruhig", fauchte ihn Brendon an. "Los, wir verschwinden von hier." Sie warfen ihre Sachen ins Boot, traten das Feuer aus und ruderten los. Es war noch dunkel doch die Sonne würde bald aufgehen. Es wurde nicht viel gesprochen, alle wollten sie nur aus dem Wald raus. Bis Hatrum war es noch etwa ein halber Tag doch aus dem Blockwald sollten sie in einer Stunde draußen sein. Sie paddelten angestrengt. "Die Sonne wird gleich aufgehen", sagte Brendon. "Zu Mittag sind wir in Hatrum. Dann ist das hier hoffentlich vergessen." Als sie endlich aus dem Wald herauskamen, trafen sie die ersten Sonnenstrahlen. Brandur blickte zurück, er erstarrte. "Tharan?" "Ja" "Hatte dein 'Tier' zufällig leuchtend blaue Augen?" Alle blickten zurück. Da war es. Ein eigenartiges Wesen, es hatte ein langes Gesicht, der ganze Körper mit dichtem Fell bedeckt und lange Haare um das Maul. Die Augen standen weit auseinander. Sie saßen eher an den Seiten des Kopfes. Dahinter bogen sich graue Hörner um die Ohren. Es sah so aus als hätte es keine Nase, und auch keine Lippen. Der Mund verlief eher schnabelförmig, spitz zu. Es saß zwischen den Bäumen und starrte sie an, mit azurblauen großen Augen, keine zwanzig Meter entfernt. "Was ist das für ein Ungetüm?", fragte Levir. "Ich weiß es nicht", antwortete ihm Brendon. "Doch es kommt bestimmt nicht von hier" "Los, rudert schon", rief Tharan. Alle vier paddelten so stark sie konnten. Das Ungetüm saß nur da und sah ihnen nach. Dann war es plötzlich verschwunden. Den vier Reisenden stand der Schweiß vor Angst und Anstrengung. Etwas plätscherte hinter dem kleinen Boot und kaum hatten sie es gehört fuhr ein langer Arm aus dem Wasser und krallte sich fest. Alle schrien laut auf. Levir erschrak so sehr, dass er stolperte und aus dem boot fiel. Doch Brendon war so geistesgegenwärtig, dass er ein Ruder aus dem Wasser zog und damit auf den Arm des Biests schlug. Doch es wollte nicht loslassen. Langsam tauchte der Kopf über dem Rand des Boots auf. Brendon holte mit dem Ruder so weit aus, wie er konnte. Mit voller Wucht schlug er zu und traf das Ungetüm seitlich auf dessen Schädel. Es ließ los und sank.
"Los holt mich hier raus", rief Levir, der sich am Boot festhielt. Brandur und Tharan streckten ihm ihre Hände entgegen und zogen ihn aus dem Wasser. Levir setzte sich und schnappte sich sofort eines der Paddel "Schnell weg hier", sagte er. "Ja", stimmte Brendon zu. "Rudert, los!", rief er. Kurz später rief Tharan, als er zurück sah: "Da ist es!" Sie drehten sich um. Das Biest kletterte gerade aus dem Wasser, drehte sich kurz nach ihnen um, doch rannte dann wieder zurück in den Wald. Noch eine ganze Weile beobachteten sie die hinter ihnen liegende Landschaft aber nichts war mehr zu sehen. Dieses Ding schien endlich verschwunden zu sein.
Die restliche Fahrt verlief ruhig, auch wenn es die vier Freunde einfach nicht fassen konnten, was ihnen passiert war und was sie da gesehen hatten. Ohne eine Pause einzulegen ruderten sie bis Mittag, bis die Stadt Hatrum in Sichtweite war. Nun beruhigten sie sich. Nach kurzer Zeit durchfuhren sie die Stadtmauer durch ein Tor, das über den Fluss gespannt war. Sie legten mit ihrem Boot in dem kleinen Hafen an und machten das Tau fest. Dann gingen sie ins Hafenhaus. Dort fanden sie gegen eine Gebühr jemanden der ihr Boot zurück nach Ondror brachte. Sie wiesen ihn auf ein Raubtier hin. "Was denn für ein Raubtier?", fragte er. Dass sie es nicht wüssten, antworteten die Freunde. "Macht euch keine Sorgen, ich bring euer Boot schon sicher nach Ondror." Er drehte sich um und ging. Nun war ihr erstes Etappenziel erreicht, nicht ohne Zwischenfälle doch es ging allen gut, niemand war verletzt worden.
Hatrum war eine typische Stadt des Ostens, Händler standen auf den Straßen und boten ihre Waren feil. Kinder rannten durch die Gassen, Fischer verkauften ihren Fang am Hafen, aus den Wirtshäusern dröhnte Gelächter und die Alten saßen auf Bänken und sahen sich das ganze Treiben an. Hin und wieder trieben Taschendiebe ihr Unwesen, dann marschierten Patrouillen der Stadtwache in den Straßen auf und ab. Es roch nach dem Rauch der aus den Kaminen der Häuser strömte, nach gebratenem Fisch und Wild und nach dem verdreckten Hafenbecken. An Markttagen waren die Plätze vor dem Rathaus  voll mit Menschen. Es gab auch einen Tempel in Hatrum, im Westteil der Stadt, auf der anderen Seite des Flusses. Dort saßen die Priester in den Gärten und lasen oder studierten in ihren Kammern. In der Mitte der Stadt spannte sich eine Brücke über den Dralevor. Diese Brücke war etwas Besonderes. Sie war aus Holz erbaut worden. und viele Säulen trugen ein ovales Dach. Die Kapitelle der Säulen stellten Köpfe von menschenähnlichen Wesen dar doch nur die Wenigsten wussten, was es damit auf sich hatte. Als Brendon, Brandur, Tharan und Levir nun zu dieser Brücke kamen, fragte Levir:" Kennt ihr das Märchen von den Rodravar? Angeblich leben sie hinter den verriegelten Bergen. Sie haben Heldentaten in einem alten Krieg vollbracht und werden nun für immer in Ruhe gelassen, da sie ihren Beitrag in dieser Welt geleistet haben." "Nein Levir, haha, nur du kennst solche Geschichten", sagte Brandur. "Also ich kenne es", meinte Tharan. "Mein Großvater hat es mir ab und zu erzählt, als ich klein war." "Na bitte, siehst du Brandur! Nicht alle sind solche Banausen wie du." "Bitte ihr zwei, könntet ihr euch einmal vertragen? Mir reicht es für heute." "Entschuldigung", sagte Levir. "Jedenfalls könnt ihr sie hier sehen. Diese Köpfe sollen sie zeigen." "Interessant Levir, doch ich brauche nun etwas zu trinken und einen Stuhl auf dem ich mich ausruhen kann anstatt alter Märchen", sagte Brendon. "Geht ihr schon mal was trinken, ich muss noch das Buch besorgen. Am besten geht ihr ins Ostend, ist zwar etwas schäbig aber die haben das beste Bier. Und Betten haben sie bestimmt auch frei. Ich komme dann nach."

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