Kapitel 8: Orntrees Weg nach Oavar II

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"Ich bin aus Elva", erklärte Romael flüsternd. "Genauer gesagt bin ich Fürst Raègas Sohn. Mein Vater hat mich in den Norden geschickt um zu kämpfen. Das war sozusagen der Preis für Galièds Tochter, deren Hand mir versprochen ist und für die Befreiung Elvas von den Menschen. Ich führte schon viele Kämpfe gegen die Menschen, wisst ihr." "Bis jetzt scheint mir eure Verteidigung fragwürdig. Warum sollte ich euch, einen Soldaten des Westens, nicht auf der Stelle verraten?", fragte Orntree. "So hört mir doch zu. Ich bin geflüchtet, bin nun ein Deserteur. Als ich die brennenden Tempel sah, wurde es mir zu viel. Ich habe schon oft gegen Menschen gekämpft, doch einen Angriff auf das Königreich kann ich nicht gutheißen. Ich war immer für eine friedliche Lösung des Konflikts. Doch nun hat der Hochfürst einen Krieg begonnen und niemand im Westen oder Osten kann ihn aufhalten. Und ich kann nun nicht mehr nach Elva zurück. Als Verräter werden sie mich hängen. Doch ich muss! Ich muss meine Orithil finden." "Eure Versprochene, nehme ich an." Orntree strich sich durch seinen Bart und sagte: "Ihr steckt ja ganz schön in der Klemme, wie mir scheint. Vielleicht kann ich euch ja helfen." "Wie soll mir ein alter Priester denn helfen?" "Tretet in meinen Dienst, begleitet mich nach Oavar und erklärt euch dem König." "Pah! Wie soll mir der König der Menschen helfen? Er kann mich von meinem Verrat nicht reinwaschen." "Das nicht, doch wenn ihr mir eure Dienste erweist und euch um das Königreich verdient macht, könntet ihr eine sichere Heimstatt im Osten finden." "Ohne Orithil will ich weder im Osten noch im Westen sein." "Abwarten mein Guter, vielleicht kann man sie... hm", Orntree überlegte. "Vielleicht kann man sie aus Verelar rausschmuggeln." "Rausschmuggeln?", fragte Romael. "Und ihr seid wohl derjenige der das anstellen will, wie?" "Lasst mich nun mein Bier trinken", sagte Orntree scharf. "Ich werde mir schon etwas einfallen lassen." Romael versank in Gedanken. Er stützte seinen Kopf mit der Hand und lehnte auf dem Tisch. Er musste Orithil wieder sehen, egal wie. "Morgen bei Sonnenaufgang werde ich meinen Weg fortsetzen", unterbrach Orntree seine trüben Gedanken. "Ihr könnt mich begleiten, wenn ihr wollt. Ich werde am Stadttor auf euch warten. Überlegt es euch. Aber jetzt begebe ich mich zu Bett und ihr solltet dasselbe tun, um hier nicht aufzufallen."
Es war kalt und der Tau lag schwer auf dem Gras. Orntree schloss seinen Mantel bis obenhin. Dann stopfte er sich eine Pfeife und zündete sie sich an. Er hatte gesagt, dass er warten würde, also wartete er. Die Sonne ging bereits auf. Fast wollte er schon losgehen als er eine hagere, groß gewachsene Gestalt sah, mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern, als ob eine schwere Last auf ihr liegen würde. Das musste Romael sein. Doch der Priester konnte das Gesicht nicht sehen. Eine Kapuze, tief ins Gesicht gezogen, ließ ihn den Mann nicht erkennen, bis er nur mehr ein paar Meter von ihm entfernt war und seinen Kopf hob. Er war es. "Da seid ihr ja", freute sich Orntree. "Ich muss nun mal meinen Weg fortsetzen, nur nach Nostrelar kann ich nicht, ich würde den Süden nie erreichen. Vielleicht lassen sich andere Wege finden um zu meiner Lieben zu gelangen. Vorerst werde ich mit euch reisen. Hiermit bin ich euch zu Diensten" "Gut, gut, lasst uns losgehen." Orntree nahm diese Worte einfach hin ohne groß darüber nachzudenken wie schwierig es für Romael war, sich einem Menschen zu unterwerfen.
Die beiden marschierten los. Es war ein weiter Weg bis in die Königsstadt. Die Provinz Aendreth sollten sie in sieben Tagen erreichen können, von da an waren es nur noch zwei Tage bis Oavar. Die ersten Tage vergingen, der Hochmensch trug stets seine Kapuze, damit ihm die Leute nicht ins Gesicht schauen konnten. Er sprach wenig und war in Gedanken versunken. Die beiden übernachteten in kleinen Herbergen, davon gab es viele, entlang der Straße. Die Menschen, welche diese betrieben verdienten so ihr Geld. Am sechsten Tag, es war schon abends, erreichten sie wieder ein Dorf. "Nun haben wir es bald geschafft, mein Guter. Das ist Avelimer, was soviel heißt wie Brücke über den Avelor", Orntree räusperte sich. "So weit ich mich erinnern kann. Komm, ich zeige es dir:" Sie gingen durch das Dorf durch und dahinter tauchte eine wunderschöne, steinerne Brücke auf.  Sie waren noch weit von ihr entfernt doch unten im Tal des Avelor stand sie. Ein gigantisches Zeugnis der einstigen Größe Drauols. An jedem Ufer standen zwei riesenhafte Statuen. Sie bildeten Götter ab, die Deluvar. In der Mitte der Brücke standen auf beiden Seiten noch einmal je zwei Statuen, bedeutend kleiner als die monolithischen Götterbilder am Ufer. Sie war überdacht mit einem wunderschön gearbeiteten Fachwerk. "Dise Brücke ist uralt", sagte Orntree. "Die vier Uferpfeiler bilden Die Deluvar ab. Je einen für Feuer, Wasser, Erde und Luft." "Ist das Elosia?", fragte Romael. "Ja, ja! Die Göttin der Luft, sie blickt nach Gweredil. Eine Anmaßung der Menschen, sollte sie nicht nach Süden, in Richtung Oandror blicken?" "Aber Gweredil ist doch ihr Heim." "Erst seit kurzem, ehrlich gesagt denke ich, kann man es wohl kaum als ihr Heim bezeichnen." "Haben Menschen diese Brücke gebaut?" "Oh ja, mein Guter, heutzutage ruhen sich die Menschen auf ihren Lorbeeren aus, doch früher errichteten sie viele Dinge von Schönheit, imposante, kolossale Dinge. Denkt nur an den großen Leuchtturm in Liflan, angeblich kann man von ihm bis zum Thalpon sehen. Doch ich habe die dreitausend Stufen nie erklommen. Oder die Kuppel von Rundor, welche die halbe Stadt überspannt. Und vergesst nicht, auch die Städte des Westens wurden von Menschen errichtet. Und selbst für die Hochmenschen scheinen sie wohl gut genug zu sein." Romael kam nicht mehr aus dem Staunen. "Nun kommt, ich habe noch Arbeit vor mir und benötige ein Zimmer." "Was müsst ihr denn arbeiten?", fragte Romael. "Das geht euch nichts an, zumindest noch nicht." "Schon gut!"
Sie mussten in ein paar Herbergen nachfragen, schließlich fanden sie ein kleines Zimmer in einem Wirtshaus in einer kleinen, engen und stinkenden Gasse. Die Wirtin war eine freundliche Person. "Oh das tut mir aber leid", sagte sie auf Orntrees Frage nach freien Betten und er wollte schon wieder umdrehen und gehen. "Wir haben nur noch ein freies Zimmer." "Aber gute Frau, das reicht uns doch völlig." Orntree lachte. Sie aßen noch etwas in der Stube und der Priester rauchte genüsslich eine Pfeife bevor er sich ins Zimmer davonmachte. Romael blieb noch ein wenig sitzen und dachte über vergangene Zeiten nach. Doch schließlich ging auch er auf das Zimmer. Es lag im ersten Stock, an der Rückseite des Hauses. Er klopfte an der Tür. "Bitte? Wer ist da?" "Ich bin es, Romael." "Komm nur herein." Als er eintrat, saß der Priester an einem kleinen Tisch über Pergament. Er war dabei die restlichen Zeilen des gefundenen Textes zu übersetzen.

Die Träume, diese Stimmen, ich halte ihm nicht stand. Zurück damit unter die Berge.
Etwas stimmt nicht, seltsame Kreaturen lauern mir auf. Ich muss weiter.
Ich habe Oando durchwandert und denke, ich bin in Sicherheit. Ich habe den Stein nicht mehr angefasst. Die Berge liegen vor mir.
Uralte Wesen begegneten mir. Sie nennen dieses felsige Land Ereonata. Sie sind in den Bergen beheimatet. Ich habe ihnen den Stein gezeigt und sie verbargen ihn unter einer Quelle.
Sie nennen den Ort Kefaria. Ich weiß nicht, was es bedeutet. Ich werde die Schrift dem Tempel anvertrauen.

Mein Name ist Benedor, ich bin Priester im Tempel in Oando, das wir nun Drauol nennen. Ich bin nun alt aber nicht feige. Doch zu mächtig ist diese Waffe. Erst einmal wurde sie eingesetzt und das Land zerbrach unter ihrer Kraft. Die Deluvar selbst wollten sie nicht mehr anrühren. Ich werde die Schrift verbergen.

Das war alles. Orntree wusste nun was er in Händen hielt. Das Pergament beschrieb den Fund und das weitere Geschehen rund um einen der Kristalle aus dem alten Reich Fas Orvel. Und es beschrieb einen Ort. Der Priester wurde nervös. Der König musste das so schnell wie möglich sehen. Wenn die Oandrim Krieg führten könnte eine Waffe, wie diese hilfreich sein. Romael unterbrach seine Gedanken: "Ich war die letzten Tage so sehr mit mir selbst beschäftigt, Orntree. Dabei vergaß ich auf euch, was wollt ihr eigentlich in Oavar, was wollt ihr vom König?" "Ich muss ihm vom Angriff im Norden erzählen. Und habe noch andere wichtige Nachrichten für ihn." "Und wie gedenkt ihr vorgelassen zu werden?" "Oh mach dir darüber keine Gedanken, mein Guter. Man wird uns gewiss vorlassen." "Na wenn ihr das sagt."

Am nächsten Tag gingen sie weiter. Den ganzen Tag marschierten sie. Romaels Laune besserte sich zusehends. Am Abend des dritten Tages schließlich, erreichten sie die Vorstädte Oavars.

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