Kapitel 7: Die Stimmung im Westen

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1.)

Im Lande Belor, im südlichen Reich der Hochmenschen, welches Verelar heißt, lag die Stadt Esdon. Sie wurde am Rande eines Gebirges errichtet, auf dem Hang eines steilen Hügels. Auf der Spitze dieses Hügels lag eine Festung. Dies war die Heimat des Fürstenhauses von Belor. Der Fürst Regent war Galièd II, seine Frau, eine Edle aus der Stadt Indred im Land Talon, hieß Jenaha. Sie hatten zwei Söhne und eine Tochter. Die beiden Söhne hießen Eniel und Edaèl, die Tochter, Orithil.
Durch das Stadttor von Esdon kam jedoch gerade eine andere Fürstenfamilie geritten. Auf weißen Rössern saßen der Fürst von Elva, Raèga, seine Frau Renith und ihr Sohn Romael. Sie ritten die breite Straße entlang, welche bis hinauf zur Festung führte. Die Menschen von Esdon begrüßten die Besucher herzlich, jubelten ihnen zu und schwenkten bunte Fahnen.
Als sie oben angekommen waren wurde ihnen sogleich das Tor geöffnet, sie stiegen von ihren Pferden und traten zu Fuß in den ersten Hof des Palastes. Dieser war aus silbergrauem Stein erbaut und die Mauern waren verziert mit verschiedenen Texten und Zeichnungen, Einlegearbeiten aus hellem, weißen Stein. Steinerne Kuppeln bildeten die Dächer des Fürstensitzes und dicke Mauern trennten den Palast vom Rest der Stadt. Der Herr von Elva und seine Familie wurden, begleitet von Wachen, ins Burginnere gebracht, in einen großen Hof, wo Galièd sie empfing. "Einen gesegneten Tag, Fürst Raèga" "Einen gesegneten Tag!", antwortete er. "Darf ich euch meine Frau vorstellen, Renith aus Entrudor, und unser Sohn Romael." Galièd verbeugte sich vor Renith, dann musterte er Romael. "Soso, du bist also Romael. Einen stattlichen jungen Mann habt ihr zum Sohn Raèga. Doch nun kommt, wir können uns drinnen unterhalten. Ihr müsst erschöpft sein von der langen Reise." Sie gingen durch ein hölzernes Tor ins Innere. "In der Halle warten meine Frau und meine Kinder auf uns, bringen wir die Begrüßung hinter uns, dann wird euch Orithil eure Gemächer zeigen." Galièd führte sie durch hohe Säle bis in eine riesige, von Säulen gesäumte Halle. Die Sonne schien durch die Fenster und ließ sie in goldenem Glanz erscheinen. In der Mitte des Raumes stand eine große Tafel, doch schien sie winzig in diesem Saal. Dort wartete Galièds Familie. Romael kam es ewig vor, von der Pforte zum Saal bis zur Tafel. Doch schließlich standen sich die beiden Familien gegenüber. "Da wären wir also", sagte Galièd. "Lieber Raèga, das ist meine Frau Jenaha, mein ältester Sohn Eniel und sein Bruder Edaèl." Raèga verbeugte sich vor allen. "Und das ist unsere Jüngste, Orithil." Die junge Frau verbeugte sich vor dem Fürsten, bevor dieser seine Familie vorstellte. "Nun haben wir das auch geschafft. Wollt ihr zuerst etwas speisen oder eure Zimmer beziehen?", fragte Galièd. "Also ich hätte nichts gegen eine Stärkung", meinte Raèga. "So setzt euch bitte." Jenaha winkte einem Diener und kurz darauf wurde die Tafel gedeckt. Es gab Wein für alle, eine kräftigende Suppe und Wild. Es wurde viel über die großartigen Städte von Belor erzählt, über den Reichtum der Länder Talon und Arevor. Jenaha erzählte von Indred, ihrer Heimatstadt und wie gerne sie sie wieder einmal sehen würde. Renith gab Geschichten aus Entrudor und über die Zwillingsstädte Van und Frai zum Besten. Nur Romael und Orithil waren still, sie tauschten verlegene Blicke, doch brachten kein Wort über ihre Lippen. Irgendwann sagte Fürst Galièd: "Wenn du unseren Gästen nun ihre Gemächer zeigen würdest, Orithil." Sie nickte und stand auf. "Raéga, wenn ihr mir noch kurz Gesellschaft leisten könntet". "Natürlich", sagte er. "Renith, wenn ihr schon vorgeht, ich komme später nach." Orithil verließ mit ihrer Mutter und den Gästen den Saal. Raèga und Galièd waren nun alleine.
"Die beiden scheinen sich zu gefallen", sagte Galièd. "Kein Wunder, über die Schönheit eurer Tochter werden in ganz Verelar Geschichten erzählt." "So wie auch über die Weisheit und Stärke eures Sohnes. Doch bewiesen hat er sich noch nicht." "Wie bitte?", fragte Raèga. "Das ist unverschämt. Er hat sich oft genug bewiesen. In den Wachen von Tralon und Aronar hatte er genug Gelegenheit dazu." "Ein paar streunende und marodierende Menschen einfangen, das ist nicht genug", meinte Galièd. "Hier im Westen Verelars leben keine Menschen mehr. Also frage ich euch was denn eure Söhne vorzuweisen haben." "Nur ruhig Blut, mein lieber Raèga, ich habe nichts gegen eine Vermählung der beiden. Doch vorher wird Romael eine Chance bekommen sich wahrlich zu beweisen. Ebenso wie meine beiden Söhne, weil ihr es schon ansprecht. Sie sind verweichlicht, kennen nur den Frieden." "Woran denkt ihr dabei?", fragte Raèga. "Ich habe eine Abmachung mit Fürst Felaim von Erivon. Er braucht gute Männer für eine Expedition im Norden." "Eine Expedition sagt ihr." "Nunja, es geht dabei schon um ein bisschen mehr. Er wird den Norden besetzen, das ganze Gebiet rund um Gweredil. Bald findet das Plenum statt. Und ich nehme an, dass die meisten Fürsten des Nordens hinter ihm stehen werden. Wie ich höre seid ihr auch einer seiner glühendsten Anhänger." "Was aber ist mit dem Menschen im Osten?", fragte Raèga. "In Orefor, Entrudor und Elva stiften sie nach wie vor Unruhe. Um diese Länder, um mein Land, mache ich mir Sorgen. Und nun soll ich meinen Sohn zu Felaim schicken, meinen einzigen Sohn?" "Nur keine Sorge Raèga, noch vor der Hochzeit werden wir das Problem der Menschen in Elva beseitigt haben. Ich nehme mich der Sache an, schließlich will ich, dass meine Tochter in einem sicheren Land lebt." "Ihr wisst, dass ich dieses Angebot nicht ablehnen kann. Also gut, soll Romael Felaim dienen, doch danach wird geheiratet." "Danach feiern wir Hochzeit. Doch wenn wir uns einig sind, feiern wir heute die Verlobung und stoßen an auf die Freundschaft von Elva und Belor." "So soll es sein, Freund."

Orithil hielt eine Öllampe in ihrer rechten Hand. Die Flamme war nur klein und drohte ständig auszugehen. Sie hatte Romael an diesem Tag nicht mehr gesehen. Nun schlich sie im Palast herum, wie sie es manchmal tat, wenn sie über etwas nachdenken musste oder aber wenn das Gegenteil der Fall war, sie keinen klaren Gedanken fassen konnte, so wie es nun war. Romael ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie wusste, warum er hier war. Als sie es erfuhr, war sie tagelang wütend, bis zu dem Zeitpunkt als sie ihn das erste mal sah. Sie war gerade im ersten Stock des Osttrakts als sie laute Stimmen hörte, dumpf und unverständlich. War das Fürst Raèga? Sie ging weiter den Flur entlang, langsam und leise. Ein paar Meter vor einer Türe, blieb sie stehen und lauschte. "...ein Einsatz. Du gehst nicht lange weg." "Hast du mich denn hierher gebracht um mich in den Krieg zu schicken?", hörte Orithil Romael sagen. "Du weißt genau warum wir hier sind. Doch nicht alle Tage ergibt sich solch eine Gelegenheit. Nicht für Elva und auch nicht für dich.", sagte Raèga. " Sieh es doch mal so", warf Renith ein, "du wirst ein bisschen herum kommen, Nostrelar sehen, die Stadt Erivon. Und danach, wenn du wieder zu Hause bist, heiratest du dieses Mädchen" "Orithil heißt sie", sagte Romael und draußen vor der Tür konnte sich Orithil ein leises Kichern nicht verkneifen. "Schluss jetzt, es ist abgemacht. Wir können froh sein, dass es mit diesen Menschen, vorerst zumindest in Elva, bald ein Ende hat." "Meine Güte, Vater! Du und die Menschen, dein ganzes Leben bekriegst du sie. Nun schickst du deinen Sohn sie zu bekriegen. Und wofür das alles?" "Um für dich und deine Frau, eure Kinder, ein sicheres Heim zu schaffen." "Ich habe noch nie gesehen, dass...", begann Romael doch sein Vater unterbrach ihn. “Schluss habe ich gesagt! Die Abmachung steht.  Du wirst mit Eniel und Edaèl nach Erivon reisen. Gute Nacht" "Gute Nacht Vater."
Orithil blies die Lampe aus und wich zurück, die Tür ging auf und Romael trat heraus. Er bog nach rechts ab, so dass er sie nicht sah. "Ob das eine gute Idee ist?", hörte sie Renith sagen. "Natürlich ist es das, er kann sich einen Namen machen", er überlegte und sagte dann: "in Verelar." "Das meine ich doch gar nicht. Der Angriff auf die Menschen, davon rede ich. Und das in ihren Ländern." "Renith, wir haben einen Menschen zum König, ein König, der behauptet, Herr über ganz Drauol zu sein. Mein Herr ist Felaim, wenn du das anders siehst, bist du nicht mehr zu retten. Er müsste auf diesem Thron sitzen. Es wird Zeit dafür..."
Die Stimmen drangen nicht mehr bis an Orithils Ohren. Sie schlich zurück in ihr Schlafgemach. Klarere Gedanken konnte sie nun fassen, doch schlafen lassen würden sie diese nicht.
Die folgenden Tage waren sonnig und lang. Romael und Orithil hatten Zeit sich kennen zu lernen und sich zu verlieben. Die Trennung würde schwer werden. Am Tag vor Romaels Abreise saßen sie im Garten des Palastes zusammen auf einer Bank. "Sei nicht mehr wütend auf deinen Vater", sagte Romael. "Ich werde bald zurück sein und ich werde gesund zurückkehren. Du musst dir keine Sorgen um mich machen." Orithil hatte die letzten Tage kein Wort mit ihrem Vater gewechselt. "Wirst denn du deinem Vater so schnell verzeihen?", fragte sie. "Mein Vater und ich streiten ständig. Sein Hass auf die Menschen macht mich ganz verrückt. Doch ja, ich werde ihm verzeihen. Denn wenn der Preis für diese Reise in den Norden und die Kämpfe, die dort auf mich warten werden, auch nur ein Lächeln von dir und ein Blick in die Tiefe deiner Augen wäre, so wäre es das wert." Ihr fehlten die Worte. Romael nahm ihre Hand in die seine und küsste sanft ihre weichen Lippen. "Wir haben noch viele Tage vor uns und nur wenige die uns von dieser Zukunft trennen, so denken wir doch lieber an die gemeinsame Zeit als an die Zeit der Trennung." "In Ordnung", antwortete Orithil nun. "So will auch ich meinem Vater vergeben und mit Freude in die Zukunft blicken statt mit wehem Herzen."
Und so verbrachten sie den Abend im Garten und redeten nur wenig. Denn nun war den Dingen mit Worten nicht mehr beizukommen. Die Zeit würde alles, was nun Schmerz und Angst vor Trennung war, in verblasste Erinnerungen verwandeln. Und als der Tag der Abreise kam küssten sie sich ein letztes Mal und verabschiedeten sich.

2.)

Felaim stand in einem dunklen Gewölbe, hinter ihm eine Wache. Vier dicke, runde Säulen hielten die schwere Last der Decke. Alles war aus schwarzem Stein gemauert. In der Mitte des Raumes hing ein Mann, ein Hochmensch, angekettet an die Decke. Die Schultergelenke mussten ihm schon vor Tagen herausgesprungen sein. Das Gesicht des Mannes war schmerzverzerrt und selbst seine engsten Verwandten hätten ihn nicht erkannt, hätten sie ihn so gesehen. Der Boden war blutig, es stank bestialisch nach Schweiß und Exkrementen. Er hielt eine Peitsche mit mehreren langen Lederriemen in der Hand. "Was?", fragte er. "Was habt ihr Verräter geplant?" Der Mann gab kein Wort von sich. Felaim verließ den Raum. Als er eine Minute später wieder eintrat,  hatte er eine Gefangene bei sich. Ein Sack war über ihren Kopf gebunden und sie weinte. Felaim stieß sie zu Boden. "Fällt dir jetzt etwas ein, Dalor?" Als die Frau das hörte, hörte sie auf zu weinen und rief: "Dalor? Bist du da? Kannst du mich hören? Ich bin es, Gwiniel." Der Mann hob langsam seinen Kopf und blickte zu der Gefangenen. "Nein, bitte nicht", sagte er schwach und leise. Doch dann, in einer großen Anstrengung, schrie er mit seiner ganzen verbliebenen Kraft: "Lasst sie gehen!" "Dalor, meine Liebe", sagte die Frau und brach wieder in Tränen aus. "Nehmt mir das ab, nehmt mir das ab, bitte!", schrie sie. "Ich werde sie gehen lassen. Ich lasse sie nach Hause gehen, wenn ihr mir endlich sagt was euer Plan ist." Dalor schluchzte, doch sagte schließlich: "Vendregar, das Plenum." Felaim warf die Peitsche in Dalors Gesicht. "Wäre das nicht eher gegangen?" Er drehte sich um und sagte zu der Wache: "Tötet ihn. Und schickt sie nach Narog in die Minen." Er verließ den Raum und hörte noch die Schreie und das Rasseln der Ketten. Er schritt die Treppen hinauf und stand vor einer Eisentüre. Darin war ein kleines Gitterfenster und etwas Licht fiel auf ihn. er blickte an sich hinab. Sein Gewand war blutverschmiert. Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn, öffnete die schwere Türe und trat ans Tageslicht.

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