Kapitel 1: Vendregar - Die Hallen der Oandrim

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Es war ein wunderschön warmer und sonniger Tag in den Nordländern der Oandrim – in Nostrelar. Doch von Westen her zogen dunkle Wolken auf, noch zu weit entfernt als dass sie die Ratsmitglieder hätten sehen können. Und außerdem waren die Fürsten der Hochmenschen gerade mit Wichtigerem beschäftigt. Sie standen in Aviul, vor den großen Hallen und warteten auf den Beginn des Plenums. Vor den Hallen wurden wichtige Geschäfte getätigt und Verträge abgeschlossen. Denn auf den prächtigen Straßen von Fenor und Beldran tummelten sich viele Oandrim, auch aus dem Süden.  Immerhin reiste Fürst Felaim von Erivon auf diesem Wege zu den Hallen von Vendregar. Und natürlich wollten alle den Fürsten des hohen Reiches sehen, jenen der den König der Menschen in Schach halten konnte.
Als Felaim mitsamt seinem Gefolge durch das Tal in Richtung Vendregar ritt hatte er ein ungutes Gefühl. Es war ganz ruhig. Kein Windhauch durchzog das schnurgerade Tal, welches direkt nach Aviul führte. Er hielt seine schwarze Stute an. Seine Reiter und sein gesamter Tross hielten ebenfalls.
Felaim blickte nach oben. Der Himmel war wolkenlos und leuchtete in prächtigem azurblau. An den Seiten des Tales fielen die Wände der Berge steil ab. Es war nichts zu hören und nichts zu sehen. Seine Gefolgschaft begann zu flüstern und sich umzublicken doch der Fürst lies sich nicht ablenken.
Er nahm seinen Bogen und griff sich einen seiner silbernen Pfeile aus dem ledernen Köcher. Er spannte die Sehne seines Bogens und zielte in den Himmel. Seine Gefährten murmelten in ihren Bart und das Flüstern wurde lauter. Der Fürst schoss den Pfeil ab – mitten in den blauen Himmel – und gerade in diesem Moment kam ein Adler über die Bergkante geflogen und überquerte das Tal. Der Pfeil flog gerade in die Luft und in dem Moment als der Vogel genau über dem Tal war , traf ihn der Pfeil in die Brust, ein letztes Kreischen war zu hören, dann stürzte der Adler ins Tal hinab. Er landete vor dem Ross des Fürsten. Doch er hatte nichts Prachtvolles mehr an sich. Mit seinen letzten Flügelschlägen wirbelte er noch ein wenig Staub auf, doch dann verließ ihn die Kraft und er starb.
Felaim stieg von seinem Pferd und trat zu dem Adler vor, er bückte sich zu ihm hinab und löste ein zusammengerolltes Stück Papier von seinen Krallen. Felaim öffnete den Brief und las ihn. Danach zerknüllte er das Schriftstück und warf es neben sich hin. Er deutete der Gesellschaft mit einem Wink, weiter zu reiten  und der Tross setzte sich wieder in Bewegung. Bald schon konnte man am Ende des engen Tals von Eneg die riesigen Hallen von Vendregar sehen – dem Sitz der Gegenregierung der Oandrim.
Auf den Dächern der kolossalen Hallen glitzerten riesige goldene Statuen und der Marmor der vielen Säulen blendete sogar die Augen der Hochmenschen. Fürst Felaim schritt auf einer langen Prachtstraße die mit weißem und schwarzem Stein gepflastert war entlang. Die Menge die sich inzwischen vor der großen Halle versammelt hatte teilte sich um dem Herrscher Platz zu machen.
Die Hochmenschen des Westens versammelten sich nicht oft in den Hallen. Doch nun standen die Zeichen auf Krieg. Es war kein Aufschub mehr möglich. Die Fürsten des Nordens und des Südens reisten alle nach Vendregar um zu beschließen was beschlossen werden musste. Die Unterjochung durch den König der Menschen musste beendet werden. Schon bald sollte die Versammlung beginnen.
Es dämmerte bereits als Trened, Fürst von Etolén eintraf. „Felaim, mein Freund! Wir beide hatten schon lange nicht mehr die Ehre“. „Trened, wie froh bin ich dich hier zu sehen. Lange Jahre sind vergangen und nun benötige ich deinen Rat. Geh ein Stück mit mir“. Trened stieg von seinem Pferd, wandte sich Felaim zu und die beiden gingen die große Stiege hinab und schritten den langen Platz entlang, der quer zu den Hallen verlief. Am Ende des Platzes machten sie nicht Halt, Felaim führte Trened immer weiter in die staubige Landschaft. "Wo gehen wir hin, Felaim?", fragte er. "Folge mir einfach", sagte Felaim.
Die beiden Fürsten waren schon von klein auf gute Freunde, ja fast wie Brüder waren sie. Als Kinder spielten sie zusammen in den Gärten von Etolèn. Denn der Vater von Felaim war Fürst in Erivon, sein Weib jedoch fand er im Norden, in Etolèn. Und dorthin zog sich Trayia, Felaims Mutter, oft zusammen mit ihrem Sohn zurück. Dort spielten die Kinder in den wunderschönen Gärten und im Wasser der seichten Bucht.
„Ich habe eine Nachricht abgefangen. Ein Rifdoladler – so wie ihn die Königstreuen benutzen – flog über die Schlucht", sagte Felaim. "In Ordnung, mein Freund. Aber was machen wir hier auf diesem Hügel?" "Zu Hause in Erivon habe ich etwas in Erfahrung gebracht." "Und was?" "Die Königstreuen greifen uns an, diese Verräter. Ich nehme an sie wollen vor allem uns beide. Doch dazu wird es nicht kommen." "Was soll das Felaim, wo wollen sie uns angreifen?" "Hier und heute, komm mit." Trened wirkte verstört. Er folgte Felaim über einen weiteren Hügel. Auf der Trockenwiese dahinter eröffnete sich ihm ein überraschender Anblick. Zweihundert Mann in schwarzer Rüstung und unter Waffen standen dort in Reih und Glied. Du kennst ja meine Leibwache. "Also alle auf einmal hab' ich sie noch nie gesehen", sagte Trened. "Die besten Männer Nostrelars. Sie beobachten Aviul seit Tagen." "Dann schick sie runter um die Fürsten zu beschützen." "Ach weißt du Trened, ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die Verräter ihre Arbeit machen lassen werde." "Was? Bist du verrückt geworden?" "Hör mir zu! Die Fürsten von Ildror, Anbol und Embalor sind hier, samt ihren Söhnen. Ich denke, der Titel Herr über Embalor, würde deinem Sohn auch ganz gut gefallen." "Das kannst du doch nicht ernst meinen, Felaim." "Oh, ich meine es ernst. Diese Städte sind die Tore nach Verelar. Wir haben zu wenig Einfluss im Süden. Komm nun, lass uns nach unten sehen." Sie gingen um den Hügel über den sie gekommen waren herum. Von dort sah man hinunter auf die Hallen. Felaims Leibwache hielt sich bereit.
"Was ist mit den nördlichen Fürsten?", fragte Trened. "Keine Sorge, Karon von Seref und Radael von Nablar wissen bescheid, sie sind in Sicherheit. Angrod ist ein Nest voller Verräter und Verbrecher und hiermit ist Feled aus Fenor wohl abgesetzt. Wenn das hier vorbei ist marschiere ich nach Angrod, ich werde es säubern und wieder zu einer Stadt machen die den Oandrim des Westens würdig ist." "Du hast einen vergessen, mein Freund. Wo ist Arjan?" "Ahaha", lachte Felaim hinterhältig, natürlich da unten." Plötzlich ging es los, dutzende Männer zogen ihre Schwerter und töteten die Fürsten und deren Gefolge. " Sieh nur!", sagte Felaim. "Es hat den Anschein als wäre dieser ewige Streit zwischen dir und Arjan beendet." Er lachte abermals. Er hob seine rechte Hand und riss sie wieder nach unten. Daraufhin liefen die Männer im Hintergrund los und stürmten den Hügel hinunter. "Und nun bist du Herr über Wendrog." Trened musste lächeln. "Es scheint, als hättest du alles durchdacht", sagte er.
Als die Attentäter die Männer der Leibwache des Hochfürsten auf sie zustürmen sahen, wollten sie durch die Täler der Umgebung fliehen. Doch diese waren von Soldaten versperrt und so fanden sie ein blutiges Ende im Staub von Aviul.
"Eines noch Felaim." "Was denn? Sag schon." "Was war das für eine Nachricht?"

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