XII

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Michael ging leicht beleidigt durch die Internatsgänge, die Hände verborgen in den Hosentaschen. Was erlaubt Lucifer sich bitte, solche Kommentare von sich zu geben? Er kann es sich doch gar nicht beurteilen ... Ich kriege ansehen! Zwar nicht in der Schule, aber zuhause! Meine Geschwister mögen mich. Gut, meinen Eltern sind meine Leistungen zwar nicht perfekt  genug, aber das macht doch nichts. Ich muss mein Leben nicht danach ausrichten, wonach sie es wollen. Er war mittlerweile im Computerraum angekommen und setzte sich an einen der freien Tische, wo er den Computer anstellte und wartete, bis dieser hochgefahren war. Hoffentlich hat Naomi mir endlich geantwortet. Ich mache mir langsam echt sorgen ... Als der Rechner endlich hochgefahren war, tippte er den Nutzernamen und das Passwort ein, woraufhin er sich in seinem Schulkonto befand. Als er sein E-Mail Konto öffnete, jubelte er innerlich auf, da ihm angezeigt wurde, dass er eine neue Nachricht bekommen hatte. Bitte lass mit ihnen alles in Ordnung sein. Bitte, bitte, bitte ... Ja! Die Nachricht kam tatsächlich von Naomis E-Mail Adresse und war auch gestern Abend erst angekommen. Michaels Freude darüber, wurde jedoch beim Lesen nach und nach gebremst:


Lieber Bruder,
Ich entschuldige mich vielmals dafür, dass es so lange gedauer hat, bis ich mich wieder bei dir gemeldet habe, jedoch kam ich früher nicht dazu. Die Scheidung von Mutter und Vater ist beinahe vollendet, was einigen Stress bereits mindert. Jedoch zieht es momentan nur mehrere, neue Probleme mit sich.  Mutter hat ihre Würde verloren und verfällt in eine Art Trauerphase, welche beinahe schon Anzeichen für Depressionen aufweißt. Noch dazu greift sie immer öfter zu Vaters teuren, alten Wein, mit welchem sie ihre Trauer wohl versucht zu ertränken.
Vater ist noch launischer als bisher, nichts ist ihm mehr Recht und er hat an allem etwas auszusetzen, egal wie sehr wir uns bemühen. Darunter haben vor allem Castiel und Samandriel zu leiden. Er hat es sozusagen auf sie abgesehen und redet alles schlecht was die beiden tun. Mutter hat jedoch ebenfalls darunter zu leiden, da ihn ihre aufziehende Alkohol abhängigkeit zuwider ist.
Ich wünschte, dass dies nun alles mit den schlechten Nachrichten ist, allerdings stimmt dies nicht. Seit drei Tagen ist Gabriel verschwunden, nachdem er sich am Vorabend heftig mit Vater gestritten hatte, da ihm dessen Vorwürfe zu viel wurden. Nach der Schule ist er nicht mehr heimgekehrt, als ich in seinem Zimmer nach Hinweisen gesucht habe, habe ich jedoch nur feststellen können, dass die Sachen die ihm am Wichtigsten waren verschwunden sind. Ich hoffe, dass er sich vielleicht bei dir gemeldet hat, da ihn niemand hier bei uns erreichen kann.
Doch erneut habe ich eine weitere Nachricht und diese ist noch schlimmer als zuvor. Annas Zustand hat sich in den letzten zwei Wochen verschlechtert, woraufhin wir sie zu einem Arzt gebracht haben. Jedoch hat all dies nichts gebracht. Sie hat verloren. Wir haben sie verloren. Sie ist heute Mittag im Krankenhaus von uns gegangen.
Es tut mir leid, dir diese Nachrichten hier zu übermitteln. Vater meinte übrigens auch noch, dass du nicht zu Annas Beerdigung erscheinen sollst, da du sonst nur unnötige Fehlstunden hättest, du sollst dich auf die Schule konzentrieren.

Ich entschuldige mich vielmals dafür, dass ich mich erst jetzt und mit so negativen Nachrichten melden muss. Trotzdem wünsche ich dir alles Gute.
Auf bald,
Naomi


Beim lesen der E-Mail war Michael immer unwohler und schlechter geworden und er starrte fassungslos auf den hell leuchtenden Bildschirm, während er von seiner Umwelt kaum noch etwas mitbekam. Anna ... Gabe ist weg ... Du wirst deine kleine Schwester niemals wieder sehen. Was ist wenn Mama dummheiten baut? Wo ist er nur hin? Du kannst dich niemals von Anna verabschieden. Papa sieht keinen mehr als Lebewesen. Warum ist er weggelaufen? Michael war nicht in der Lage einen wirklich zusammenhängenden Gedanken zu verfassen. Zitternd stand er auf, nicht genau wissend wo er hingehen sollte, bis ihm ein Ort einfiel, welcher definitiv an diesem Tag leer sein sollte. "Bücherei ..." Murmelte er sich leise selbst zu, bevor der schwarzhaarige Junge stolpernd den Raum verließ. Dabei machte er sich nicht einmal die Mühe den PC herunter zu fahren.
Glücklicherweise war auf dem Gang nichts los, so dass Michael auf seinem Weg zur Schulbibliothek niemandem begegnen musste. Als er die schweren Holztüren des Raumes öffnete, streckte er zögernd den Kopf herein und sah sich um. Niemand war dort, genau so wie er es sich gedacht hatte. Zögernd trat er ein und ging langsam durch den Raum, bis er ganz hinten angekommen war. Dort sank er langsam auf die Knie und starrte ins Nichts, bevor seine Augen sich langsam mit Tränen füllten.


"Man, wie lange braucht er denn?" Lucifer lag, mittlerweile gewaschen und umgezogen, auf seinem Bett und starrte gelangweilt die Decke an, auf Michaels Rückkehr wartend. "Ach, wen juckt's. Ich geh nachsehen." Mit diesen Worten kletterte Lucifer aus dem Bett und verließ das Zimmer, während er denselben Gang entlang ging, welchen Michael vor einigen Minuten lang gegangen war.
Als er jedoch im Computerraum ankam, fand er Michael dort nicht auf. Die einzige Person, welche sich noch in dem Raum befand, war ein Junge mit braunblonden Haaren und grünen Augen der im selben Physik Kurs war wie er und Michael. "He, du. Hast du Michael gesehen?" Der Junge sah daraufhin, etwas weniger begeistert, auf. "Der ist vor vielleicht fünf Minuten aus dem Raum gegangen. Naja, eher geschwankt." "Wieso geschwankt?" Der Junge zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Sieh doch nach, der Rechner ist nämlich noch an." Er nickte in die Richtung des Computers, welcher tatsächlich noch an war.  Zögernd sah Lucifer zum Bildschirm. Soll ich? Das gehört sich eigentlich nicht, schließlich ist das wahrscheinlich sein Schulaccount. Aber ich bin so neugierig ... Zögernd streckte Lucifer die Hand nach der Maus aus, schüttelte jedoch energisch den Kopf, bevor er die Fenster öffnen konnte. Lucifer, nein. Das gehört sich nicht. Schnell, damit er es sich nicht anders überlegen konnte, schloss er die Fenster und fuhr den PC herunter. "He, Junge dessen Name ich nicht kenne, weißt du wo-" "Dean." "Okay, Dean, weißt du vielleicht wo Michael hingegangen ist?" "Der murmelte irgendwas von der Bibliothek." Lucifer nickte daraufhin. "Danke sehr." Dann verließ er den Computerraum und machte sich auf den Weg zur Bücherei.


Michael erstarrte als er hörte, wie sich die schweren, dunklen Holztüren der Bibliothek öffneten und er presste sich schnell die Hände vor den Mund, nicht wollend, dass ihn jemand weinen hörte. Er hatte Glück, er saß weit genug hinten um nicht gesehen zu werden, jedoch konnte auch er den Eingangsbereich nicht sehen. Deshalb saß er nur stumm und zitternd in der hintersten Ecke und hoffte, dass man ihn nicht bemerken würde. "Michael?" Lucifer! Er wollte eigentlich keinen Laut von sich geben, jedoch entrutsche ihm vor erstaunen ein unterdrücktes Schluchzen. "Mike?" Soll ich was sagen? Nein. Du kennst ihn nicht gut genug, wer weiß wie er reagiert, wenn er dich so am Boden sieht. "Hier hinten ..." Murmelte er jedoch leise. Wieso hörst du eigentlich nie auf dich selbst? Michael hörte Schritte, welche näher kamen, und kurz darauf tauchte auch Lucifer in seinem Sichtfeld auf. "Michael-" Er brach erstaunt ab, als er Michael hinten in der Ecke erblickte. Tränen liefen ihm über die Wangen und er hielt sich selbst umklammert. "Was ist los?" Lucifer sah ihn verwirrt an, und setzte sich vor ihn auf den Boden. Der ältere versuchte die richtigen Worte zu finden, brach jedoch nur erneut in Tränen aus, was dafür sorgte, dass sich Besorgnis auf Lucifers Gesicht ausbreitete. "He, Mike ..." Er wirkte kurz verwirrt, entschied sich jedoch dann einfach dazu, den anderen Teenager zu umarmen, welcher dies innerlich dankend annahm und sich an ihm festklammerte, während er sein Gesicht in dessen T-shirt verbarg.


If Heaven falls for hell [Michifer]Where stories live. Discover now