Ein Ausflug nach Ghultropolis

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Kaum zu glauben, dass ich das mal sage, aber als ich aus dem Bett aufstand, fühlte ich mich endlich mal wieder gut in meiner Haut. Nach dem vorherigen Tag musste ich mich dringend ausruhen und das Bett war wirklich außergewöhnlich gemütlich gewesen, zumindest dafür, dass es aussah, als wäre es schon krankheitserregend, die Matratze nur anzugucken. Mein Pip-Boy spielte "Rocket 69" ab, der Tag konnte beginnen. Doch was sollte ich mir heute auf die To-Do-Liste schreiben? Schließlich war ich jetzt der glorreiche Anführer einer bisher Ein-Mann-Armee. Gut. Den komischen Farmer mal ausgenommen. Dieses Amt hatte mir gleich eine Reihe neuer Aufgaben von Preston beschert. Außerdem hatte er sich bereit erklären wollen, mich zu begleiten. Aber mal ehrlich, da hätte ich auch Codsworth fragen können, ob er mitkommt. Und mal ganz davon abgesehen hatte ich doch Dogmeat bei mir.
Naja, zurück zum Tagesgeschäft. Ich durfte nicht vergessen, dass mein Sohn entführt wurde. Und einen Zielort hatte Preston mir bereits geliefert: Diamond City. Auch wenn ich die Blasen an meinem Fuß jetzt schon entstehen fühlen konnte beim Blick auf die Entfernung zu dieser Stadt. Aber ich sollte wohl aufgeben, mich darüber ständig aufzuregen. "Der erste gute Gedanke, seit du aufgetaut bist." Jep. Auch meine Kopfstimme war bereit für den Tag.
Nach kurzem Fußweg war ich am Ortsschild von Sanctuary angekommen. "Hast du dich schon bei der Siedlung umgesehen, zu der ich dich geschickt habe?" Hatte dieser Möchtegern- Sheriff des nuklear verseuchten Amerikas wirklich nichts besseres zutun gehabt als da tagtäglich rumzustehen und mich an meine "Pflichten" zu erinnern? "Nein.", antwortete ich, "Und wenn du mich nochmal danach fragst, seid ihr die nächste Siedlung, die Hilfe braucht." Ja, ich war üblicherweise zu nett. Aber nicht zu Leuten, die ich (leider) länger als ein paar Minuten kenne und die wie Preston sind. Ok, und nicht zu Codsworth. Aber der hätte auch einen deutlich größeren Nutzen gehabt, wenn ich ihn einfach ausgeschlachtet hätte, um ein wenig an Ressourcen dazu zu gewinnen. "Ok. Sag mir einfach Bescheid, wenn du da warst."
Endlich war ich ihn erstmal los. Denn vor mir lag eine lange, wirklich sehr lange Strecke, die mein treuer Hund, meine lästigen drei inneren Begleiter und ich zu bewältigen hatten. Was würde nur auf uns dort draußen warten? Wie sah wohl das schillernd klingende Diamond City wirklich aus? Und warum musste ich das alles zu Fuß raus finden? "Er tut's schonwieder. Ich glaub's nicht." Genervtes Stöhnen machte sich von allen Seiten in meinem Kopf breit. Das konnte noch heiter werden...

Ich schaute auf meinen Pip-Boy, der natürlich fortwährend Musik abspielte, aktuell "Uranium Fever", um den Weg auf der Karte erkennen zu können. Bald war ich vorbei am Rathaus von Concord, in dessen Nähe noch immer die Trophäe meines Sieges lag. Die Manifestation meines Erfolgs. Der Beweis für meine Heldenhaftigkeit. Das- "mutierte Riesenvieh, das du nur mit Hilfe einer fetten Rüstung und einer Minigun mit 5mm Patronen aus einem sicheren Gebäude heraus besiegt hast." Nichtmal dieser erfolgreiche Kampf schützte mich wohl vor der niederschmetternden Schlagfertigkeit meiner Kopfstimme.
Der Weg durch das zerstörte Nichts führte mich weiter zu einem Ort namens "Starlight Drive- In". Von dem hatte ich schon gehört, damals soll das hier der Treffpunkt schlechthin für Besitzer von teuren Autos gewesen sein. Heute waren davon jedoch nurnoch wenige, selbsverständlich fahrunfähige Autos- "Reicht's jetzt, Heulsuße?" Jaja... ich meinte verrostete Autos übrig. Der Parkplatz wies ein mittelgroßes Loch auf, das über die Zeit wohl einen kleinen Teich angesammelt hatte durch... was auch immer. Ich wollte mir etwas Wasser genehmigen, als ich mehrere Uranfässer vor mir schwimmen sah. "Wie zur Hölle... Ich geb's auf." Dann halt kein Wasser für mich. Bis auf Kronkorken und ein paar Tuben billiger Superkleber war hier auch bisher nicht großartig viel zu finden gewesen, weshalb ich auf direktem Wege weiterzog durchs Ödland.
Ich hatte mich bisher stark gewundert, dass mir noch nicht ein Feind über den Weg gelaufen war. Nun gut, sonderlich bedauerlich war das nicht, schließlich fehlten mir sowohl die Munition als auch das Geschick, die Patrone auch in meinen Gegner zu befördern. Es dauerte langsam gefühlt nichtmehr so ewig, wie zu Beginn meiner Reise, von Ort zu Ort zu pilgern. Vielleicht konnte ich mich ja doch noch an das Leben als Land-... naja Ödlandstreicher mit seinem treuen Hundegefährten gewöhnen.
Bald war ich auch schon am nächsten unfreiwilligen Zwischenstopp angekommen, "Lexington" hieß die zerfallene Stadt hier. Es war der größte Ort im Umkreis von Sanctuary, früher war ich hin und wieder hier hin gefahren, um mir beispielweise meine Anzüge zu kaufen. Mal ganz abgesehen vom einzigen "Super-Duper Mart", den ich überhaupt kannte. Ich weiß nicht, ob ich das noch erwähnen muss aber: jetzt sind nurnoch Ruinen davon übrig.
Mein Vorteil war, dass ich den Ort einigermaßen gut kannte, weshalb ich schnell die einzelnen Läden durchsuchen konnte. Mitlerweile hatte ich auch den Super-Duper Mart entdeckt, doch mit dem Shopping wollte ich, wenn übrhaupt, noch warten. Gerade als ich im Begriff war, den zweiten Stock eines Modegeschäfts zu erkunden, sah ich aus der Entfernung einen Ghul, der scheinbar umherstreunte. Mit dem V.A.T.S. konnte ich ihn nicht von meiner aktuellen Position aus erreichen, deshalb sammelte ich schnell die umherliegende Beute auf und begab mich zu meinem Feind, leider mit Fallschaden, den ich vergessen hatte, einzukalkulieren. "Kann ja mal passieren", dachte ich, was meine Kopfstimme mit: "Ja... vor allem dir.", beantwortete. Es war wirklich nicht gerade leichter mit ihr an meiner Seite, vor allem weil mein freundlicher innerer Engel sich auffallend ruhig verhielt. Anscheinend hatte selbst das Gute in Person den Glauben an mich verloren.
Kurz nach meinem Sprung aus dem Zweiten Stock auf die Hauptstraße war ich bereits dabei, meine Impro-Pistole auf den Kopf des Ghuls zu richten und einen Schuss nach dem anderen abzufeuern. Plötzlich tauchte ein weiterer roter Punkt auf meiner Pip-Boy Minikarte auf. "Ich nehm's auch mit zwei von euch auf." Dann noch ein Punkt. "Schön. Dann halt mit drei von euch!" Und dann war von einem auf den anderen Moment meine gesamte Map rot gefärbt. "Und was ist mit 20 von ihnen?" Ich mochte es noch nie das zu sagen aber... meine Kopfstimme hatte Recht. Jetzt hatte ich wirklich ein winzig kleines Problem. Eine wahre Ghul- Invasion strömte auf den Hauptplatz von Lexington. Von überall krochen die Untoten aus den Ecken der Stadt. Oder die Halbtoten. Oder... was auch immer diese Dinger waren. Die größte Herausforderung lag darin, dass meine Munition nicht endgültig verbaucht wurde. Viel hatte ich nicht mehr übrig, die übrigen Ghule jedoch waren zahlreich. Taktischer Rückzug schien mir die sinnvollste Option, also rannte ich zurück in den Modeladen und schoss verzweifelt auf alles, was mir in einem wahnsinnigen Tempo hinterher sprintete. Je mehr Ghule ich besiegte, desto mehr kamen auch hinzu. Ein Ende des Kampfes war nicht in Sicht. Ich schoss und schoss und schoss und plötzlich... nichts mehr. Munition leer. "Verdammt!", fluchte ich, während die Ghule immer weiter zu mir rannten. Panisch schweifte mein Blick durch den ganzen Raum, doch in meiner Not fand ich absolut nichts brauchbares. "Komm' schon, denk' nach Ben. Irgendwas musst du machen." Die Ghule standen fast schon auf der Türschwelle, als meine Kopfstimme sich zu Wort meldete. "Der Baseballschläger! In der Vitrine rechts! Jetzt!" Ich konnte erst nicht realisieren, dass das wirklich meine Kopfstimme gesagt hatte. Allerdings riss mich das ekelhafte Schreien eines Ghuls, der durch die nicht vorhandene Tür des Modeladens gestürmt war, aus meiner Verwunderung. Sofort rannte ich zur Vitrine und nahm den Baseballschläger heraus. "Du kannst das Ben. Du kannst das", redete ich mir zu, während ich den Griff fest umklammerte. Ich hatte schon ewig keinen Schläger mehr in der Hand gehabt, das letzte Mal war, als ich mit meinem Vater gespielt hatte. Und das war immerhin schon über 200 Jahre hergewesen! Ok... der war jetzt vielleicht tatsächlich schlecht. Vergessen wir das. Jedenfalls fokussierte ich mich mit aller Kraft auf den Ghul, holte aus und schlug mit voller Wucht auf ihn ein. Zwei konzentrierte Schläge auf den Kopf reichten, um ihn auszuschalten. Doch es sollte nicht bei einem bleiben, immer mehr der Viecher überfluteten meinen kurzfristigen Unterschlupf. Schnell sprintete ich zur Treppe, um mir etws Zeit gegen die Menge zu verschaffen, während ich einen nach dem anderen erledigte. Der Schläger war tatsächlich deutlich effektiver, als ich gedacht hätte und so war es zwar kräftezehrend, aber dennoch schnell vorüber mit der Ghulhorde (Oder sind Ghule in Herden unterwegs? Oder in Rudeln? Ich schweife wohl wieder ab...). Als der letzte von ihnen endlich geschlagen war, setzte ich mich kurz auf den Boden, um eine Pause zu machen, und legte die Wunderwaffe, die mir mein Leben gerettet hatte, neben mich. "Hast du... mir geholfen?", fragte ich in mich selbst hinein, worauf hin ich nur ein leises "Gewöhn' dich lieber nicht dran" als Antwort erhielt. "Naja... danke." Möglicherweise bestand ja doch noch die Hoffnung, dass wir beide uns versöhnen würden.
Kurz danach überlegte ich, wie es jetzt weitergehen sollte mit der Reise. Vermutlich konnte ich nicht gegen jeden mit meinem neuen Baseballschläger ankommen. Somit brauchte ich Munition, und das sogar ziemlich dringend. Und wo kriegt man in Amerika Patronen her, außer aus Mülleimern und Maulwurfsrattenleichen? Richtig, im Supermarkt neben der Gemüseauslage. Damit war mein Ziel klar, nächster Programmpunkt: Einkaufsbummel.

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