16. Nordisches Volk

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Das Volk lebte in einer Schlucht, geschützt vor dem eisigen Wind des Nordens.
Umschlungen von den kalten Wänden, hatten sie Hütten aus Fellen, Leder und Knochen gebaut. Die Wände der Hütten waren mit roter und blauer Farbe bemalt, welche von alten Geschichten und Sagen zu erzählen schienen. Man konnte große steinige Kreaturen, nordische Wölfe und auch deren Götter erkennen. Ihr Begleiter hatte auf dem Weg zu seinem Volk von ihren Göttern und dessen Geschichten erzählt.
Zwischen den vielen Hütten standen noch riesige bemalte Totems zu Ehren derer Tiere welche sie jagten. Jedes Tier,welches sie auf ihrer Jagd töteten wurde verehrt und gefeiert. Die Nordmänner nahmen sich alles von ihrer Beute. Von den Gedärmen bis hin zum Felle.
Jeder hatte hier seine Aufgaben. Während die Männer jagten und Hütten bauten, sammelten die Frauen Kräuter und Beeren, kümmerten sich um die Kinder, sowie das wenige Vieh welches sie im Dorf hatten und wuschen die Kleidung.
Die Jungen lernten hier schnell wie man aus einem Ast und einem Stein ein Speer baute. Wie man Fische fing und anhand der Wolken und Sonne erkannte wann der nächste Schneesturm kam. Die Ältesten waren die Weisen, welche um Rat gebeten wurde oder auch die Aufgabe als Medizin- und Kräuterkunde trugen.
Sie heilten die Kranken des Volkes und versorgten die Wunden der Jäger.

Rhaask hatte alles ganz genau beobachtet und den Erzählungen gelauscht.
Es war ein kleines, einfach lebendes Volk mit einer Geschichte welche Millionen von Jahren zurückreichte.

Bram hatte ihr sein ganzes Dorf gezeigt. Sein halbes Leben. Er hatte ihr mehr von sich erzählt als ihr lieb war, denn desto mehr sie von ihm erfuhr, desto gefährlicher wurde es.

Zur Abenddämmerung saßen sie mit den Ältesten sowie den Jägern am Feuer und aßen. Rhaask hatte zuvor noch nie mit Menschen an einem Feuer gesessen. Menschen waren Feinde, eine kranke und verdorbene Rasse. Doch diese hier schienen nicht so. Anstatt mit den Maschinen zusammen zu leben, lebten sie mit der Natur und dessen Geiste vereint.

Der Clanführer, Bram's Vater, beobachtete Rhaask. Sie spürte seinen Blick auf sich wie Gift welches sich durch Knochen fraß. Gänsehaut breitet sich über ihrem ganzen Körper aus.
Im Schein des Feuers wirkte sein Gesicht unheimlich verzerrt. Seine Augen schienen düster und bedrohlich.
Er hatte lange graue Haare. Und wie auch bei Bram, waren sie mit Perlen und Eisen verziert. Seine Schultern waren mit dem grau braunen Felle eines Bergwolfes bedeckt.

Rhaask aß langsam ihre Suppe.
So viele fremde Gerüche und Gewürze. So viele Stimmen und Worte, welche sie nicht kannte. Dennoch fühlte sie sich nicht unsicher oder bedroht. Trotzdem spürte sie eine gewisse Unruhe in sich. Sie war hier eine Fremde und vielleicht auch ein Dämon, wenn Bram seinem Volk schon von Rak'Sha erzählt hatte, welcher in ihr tobte.
Bram saß neben ihr und schien sie zu bewachen. Er hatte ihre Unruhe bemerkt und war näher an sie heran gerutscht. Sie spürte seinen ruhigen Atem und den kräftigen langsamen Herzschlag. Rhaask fühlte wie auch nun hier Herz immer ruhiger schlug und sie entspannter atmete.
Sie blickte zu Bram auf.
Er sorgte sich gut um sie.

Die Jäger sprachen auf ihrer Sprache mit den Ältesten, während ein Teil von ihnen um das Feuer schritten und mit den Flammen tanzten.
Rhaask deutete ihre Handbewegungen und glaubte, dass sie über eine Jagd sprachen.

„Willst du noch etwas?", Bram's Stimme zog sie aus ihren Gedanken.
Er lächelte.
„Nein. Nein danke.", ein Zucken durchlief ihre Lippen. „Ich bin satt."
„Nun gut."
Er musterte sie kurz.
„Sage mir wenn du etwas brauchst."
Mit diesen Worten wandte er sich einem anderen Jäger zu.
Er war groß und schlank.
Ein noch junger und unerfahrener Jäger, denn seine Haut hatte noch keine Narben.
Narben waren hier ein Zeichen der Erfahrung und der Jagd. So hatte es ihr Bram erklärt.
Bram. Wieder schmeckte sie die Silben auf ihrer Zunge.
Und wieder dieses Verlangen, begleitet von einem Ziehen in ihrem Herzen.
Er würde ihn töten. Sobald er den passenden Moment gefunden hatte, würde er in töten.

Stumm stand Rhaask auf und ging vom Feuer fort.
Ohne Worte entfernte sie sich von den anderen.
Niemand folgte ihr, doch spürte sie die Blicke einzelner in ihrem Rücken.

Sie lief aus dem Dorf hinaus so weit sie konnte. So weit bis ihr Weg von einem Rande einer Schlucht unterbrochen wurde.
Rhaask blickte hinab. Nichts als die hungernde Schwärze. Sie schien nach ihr greifen zu wollen. Als wolle sie verlangen dass Rhaask sprang.
Wie tief würde sie wohl fallen?
Der kalte Nordwind zog an ihrer Kleidung und wisperte ihr unklare Worte zu.
Sie setzte sich hin und blickte zum Nachthimmel hinauf.
Sterne, welche in tausenden Farben funkelten. Es war lange her, dass sie einen solchen klaren Nachthimmel gesehen hatte.

„Wunderschön. Der Nachthimmel."
Es war die Stimme des Clanführers. Er war ihr gefolgt. Rhaask wusste nicht ob seine Anwesenheit ihr gefiel oder doch eher belästigte. Eigentlich wollte sie allein sein.
„Ja das ist er." Rhaask sah seine Gestalt im Dunkeln.
Groß und kräftig.
Er setzte sich neben sie und hüllte sich in seinem Wolfsfell ein.
„Mein Name ist Freyl."
„Rhaask. Aber das wusstest du wahrscheinlich schon."
Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.
Vielleicht war sie unruhig. Vielleicht aber auch, wusste sie einfach nicht, was sie sagen sollte.
Wieder durchbohrte sein Blick sie, brannte sich bis zu ihren zornigen Seele und ihrem schwarzen Herzen.
„Ich weiß wer du bist. Auch wenn deine Hülle die einer jungen verletzten Frau ist, habe ich dich gesehen und erkannt Rak'Sha."
Ein eisiger Schauer durchzog Rhaask. Hatte sie richtig gehört?
„Rede nicht so zu mir." ihre Stimme war zittrig und doch waren ihre Worte scharf.
„Du bist eine Gefahr für mein Volk Mädchen. Dein Inneres kannst du nicht kontrollieren. Es schreit danach wieder auszubrechen und zu töten."
Seine Worte waren wie ein Schlag in ihre Magenkuhle. Rhaask bewegte sich nicht und blickte zornig in die Schlucht.
„Glaubst du ich habe es mir ausgesucht? Glaubst du ich bin glücklich mit dem was ich in mir trage?" Ihre Hände formten sich zu einer Faust.
„Es ist mir egal was du glaubst, denkst oder willst. Ich will das du noch heute Nacht verschwindest. Lass Augen von meinem Sohn, denn du wirst ihn nur in den Tod treiben. Komm meinem Volke nicht zu nahe, denn dann werde ich dich töten."
Rhaask blickte zu ihm auf. Langsam erhob sie sich. Ihr Herz brannte vor Wut.
„Du kannst mich nicht töten. Ich bin schon zweimal gestorben, doch wieder erwacht. Diese ganze verdammte Reise wollte man mich töten, doch sind es meine Jäger gewesen welche starben. Die Antwort darauf müsstest du wissen." Sie blickte ihm noch immer in seine wütenden Augen.
„Es war der Wolf welcher mich beschütze und rettete. Der Wolf welcher mir sein warmes Fell in dieser bitteren Kälte schenkte. So wie bei dir Freyl."
Der Anführer baute sich vor ihr auf und legte seine Hand auf den Knauf seines Schwertes.
„Mein Wolf war kein Mörder und kein Dämon. Das ist der Unterschied. Diese Schwärze in dir macht dich zu einem Objekt seiner Begierde. Du glaubst er beschützt dich, doch dabei frisst er dich langsam auf. Geh hinfort Kind und komme nie wieder."
Rhaask war so wütend. So voller Zorn. Ein kurzer Gedanken ihm sein Genick zu brechen.
Es wäre einfach, denn er war nur ein Mensch.
Sie schloss die Augen und atmete durch. Sah vor ihren Augen wie sie sein Kopf und Hals griff. Hörte und spürte wie die Knochen brachen. Sein lebloser Körper fiel zu Boden.
Rhaask atmete kurz durch und öffnete wieder die Augen.
Freyl stand noch immer vor ihr mit der Hand auf seinem Schwertknauf.
Sie drehte sich ohne Worte um und ging in die kalte Schwärze der Nacht.

Freyl.
Dieser Name schmeckte wie Gift auf ihrer Zunge.

Rhaask ~ Im Bann des WolfesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt