Trauer. Da war sie wieder.
Rhaask's Herz war erneut von tiefer Trauer erfüllt.
Sie griff nach ihr und schien sie verschlingen zu wollen.
So viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf.
Es waren zu viele um sie alle zu verstehen oder gar beantworten zu können.
Noch immer lag der Kopf des Hirsches schwer und leblos in ihren Armen.
Sie wollte ihn nicht loslassen.Seine treuen Augen geschlossen, sein goldener Glanz verblasst. Er fühlte sich so schrecklich kalt.Rhaask hatte nach seinem Tode stundenlang geweint.
Ihre Augen brannten und ihr Hals war trocken , doch sie wollte nicht damit aufhören. Warum auch.
Sie wollte nicht weitergehen. Weigerte sich ihn hier allein zulassen.
Er war doch ihr einziger Freund, ihr einziges Licht in dieser dunklen Zeit. Ihr Retter.„Bitte.... bitte steh wieder auf. Lass mich nicht allein. "
Worte voller Hoffnung welche sie immer und immer wiederholte.
Ihre verweinten Augen sahen in Richtung Norden. Man konnte schwach die Umrisse der mächtigen Berge des Nordreiches erkennen, welche noch so fern waren.
Ihr Blick wanderte langsam weiter. Sie waren auf einer großen Wiese, welche mit vielen lieblichen Lilien bestückt war. Ein wahrlich viel zu schöner Ort für dieses Leid und Elend. Alles schien hier unberührt und wirkte wie ein Traum.
Lilien ... Sie erinnerte sich.
Im Walde lebten einst kleine Blumenkinder, welche viele Art von Blumen sammelten und diese zu einem wunderschönen Haarkranz flochten. Doch ihre liebsten und schönsten Kränze waren die aus Lilien.
Rhaask lachte kurz. Sie dachte so gerne an ihre Heimat zurück.
An ihre Wärme und Geborgenheit und den Glanz sowie die vielen leuchtenden Farben.
Die Liebe und Hoffnung welche sie barg bevor sie zerfiel.
Rhaask hatte den Wald verloren und nun, hatte sie auch ihren Gefährten verloren.
Ihre Gedanken wurden wieder trüb und sie blickte erneut auf den toten Leib des Hirsches herab.
Alles schien nahezu verloren und ohne Hoffnung.
Hatte sie dies hier verdient? War dies ihr Schicksal?Ein kalter Wind zog an dem zarten, grünen Gras der Wiese.
Es war als wolle er die Seele des toten Gefährten von seinem Leibe reißen und mitnehmen. Rhaask zitterte und schmiegte sich dichter an den Hirsch.
Wie lange würde sie hier noch sitzen bleiben wollen und warten.
Ein Schmerz durchzog ihr Herz und ließ es wild und doch langsam pulsieren.
Es fühlte sich an als wolle es sich selbst zerreißen und ihren Brustkorb durchstoßen.
Sie griff an ihre Brust, stöhnte auf und schnappte nach Luft.
Und da war es wieder. Diese Stimme, welche für all dies verantwortlich war.
„Rhaask, warum bist du so traurig? Das tut dir doch nicht gut. ", knurrte der Wolf tief aus ihrem Inneren. Ein Lachen folgte seinen verlogenen Worten.
~Geh fort! ~ Ihre Gedanken verloren sich in dem Lachen des Wolfes.
Sie spürte dass der Fluch sich von ihren Schmerzen ernährte und er würde wieder entkommen wenn sie nicht wachsam blieb und dies musste sie um jeden Preis verhindern. „Warum so unfreundlich und rau?" Seine Stimme war dunkel und boshaft.
~Ich sagte du sollst gehen! Ich lasse nicht zu, dass du noch einmal Leid über mich und andere bringst. Wegen dir habe ich alles verloren. Und nun auch meinen letzten Freund. ~
„Nein.",knurrte er „Nicht wegen mir. Wegen dir!"
Rhaask's Körper bebte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
„GEH FORT!". Ihre Gedanken schienen in die Leere zu schreien und ihre Stimme wurde vom Winde fort getragen - über die Wiese hinaus in die kalte Weite.
Sie vergrub ihre Finger krampfhaft in das matte, kalte Fell des Hirsches.
„Steh doch auf! Worauf wartest du? Steh auf!"
Bei jedem Wort welches sie sprach lief eine weitere Träne über ihre kalte Wange.
Und bei jeder Träne welche in sein mattes Fell fiel, verlor sie langsam an Hoffnung.
Sie wartete darauf, dass der Fluch wieder etwas sagen würde und über sie lachen, sich amüsieren würde. Aus ihrem dunklen und verletzten Inneren sprach.
Doch nichts kam.
Rhaask schluchzte und ihre Stimme zitterte als sie sprach. Sanft rüttelte sie am Leibe ihres Begleiters. „Du musst aufwachen, bitte. Steh auf. Ich weiß du kannst es."
„Er ist tot Rhaask." Die Stimme des Wolfes klang amüsiert.
~Nein, ist er nicht! Du lügst. Jedes Wort welches zu sprichst ist eine Lüge. ~
„Sei nicht so naiv und unfreundlich. Er ist tot. Oder spürst du sein Herz, welches einst so lebendig war, schlagen?"
Ein Moment der Ruhe.
Warum kam dieser Fluch in ihr Leben und warum sie? Warum dies alles?
Sie wollte schreien.
„Ich kann dir helfen." , knurrte es aus ihrem Inneren.
~Du kannst gar nichts! Du kannst nur Leid und Kummer bringen.
Verderben über jedes Lebewesen. Über alles was mir lieb war. Verschwinde. ~
„Aber Rhaask, hörst du mir nicht zu? Ich kann dir helfen.
Lass mich frei und ich schenke deinem geliebten Hirsch sein Leben zurück." Seinen Worten folgte ein leise Lachen.
Rhaask ignorierte dies denn sie musste nachdenken.
Sie wollte seinen Worten kein Glauben schenken. Es musste ein Lüge sein
Unmöglich.
~Wie willst du ihm das Leben zurückgeben? Das ist lächerlich. Niemand außer der Phönix kann dies.~
„Habe ich dir nicht auch ein weiteres Leben geschenkt nachdem du den Speer durch dein Herz rammtest? Habe ich nicht dein kleines, jämmerliches Herz wieder pochen lassen?"
Rhaask durchlief ein Zucken als der Wolf ihren Speer erwähnt hatte und glaubte den Schmerz erneut in ihrem Herzen zu spüren.
„Ahhhh. Der Speer. Du konntest ihn nicht benutzen als der Mitros kam." Sein Knurren ließ ihren ganzen Körper vibrieren.
„Du warst zu schwach nicht wahr? Deswegen konntest du nicht.
Hättest du gekonnt, wäre dein Freund jetzt noch am Leben."
Er lachte erneut.
~Hör auf zu lachen! Du hast kein Recht dazu. Lass mich allein trauern. Lass mir wenigstens das. ~
Erneut durchzog ein Schmerz ihr Herz.
„Überlege dir mein Angebot gut Rhaask."
Mit diesen Worten verschwand der Fluch aus ihrem Kopf.Die Wächterin war nun wieder allein.
Und für eine kurze Zeit vermisste sie den Wolf, denn sie war einsam und dies wollte sie nicht mehr sein. Rhaask schloss die Augen, welche von dem Weinen brannten.
So verweilte sie Minuten der Stille. Sie musste nachdenken.
~ Denk nach. ~
Sie wusste nicht mehr was richtig oder falsch war.
Auch schien sie den Unterschied zwischen der Wahrheit und einer Lüge nicht mehr erkennen zu können. Die Stille schien ihr die Luft zum atmen zu nehmen - als griffen Hände nach ihr und wollten sie ersticken. Sie musste sich beruhigen. Entspannt bleiben auch wenn es gerade nahezu unmöglich schien.
Doch dann entschied sie und hoffte dass dies nicht ein erneuter Fehler sei.
~Wolf? ~
Sie wartete doch es kam keine Antwort.
Er spielte mit ihr - wie konnte es anders sein.
~Wolf, antworte mir. ~
Eine Träne rollte erneut über ihre blasse Wange.
„Ich mag wie du mich anflehst.". Seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder.
~Hör mir zu. Ich... Ich will dein Angebot annehmen. ~
Sie sprach diese Worte langsam und unsicher.
„Willst du das? Was ist wenn ich nun aber nicht mehr will?"
Die Wächterin spürte wie er sich an ihrer Verzweiflung labte.
Rhaask war verzweifelt und wusste nicht mehr weiter. Sie wusste nicht einmal mehr wer sie überhaupt war. Doch was sie wusste war, dass sie ihren Hirsch wiederhaben wollte.
~Bitte hilf mir. Ich gebe... Ich gebe dir deine Freiheit. ~
„Du kleines, dummes Ding.
Ich kann meine Freiheit noch nicht haben. Nein Rhaask, dafür brauche ich dich und deswegen will ich dir helfen.", antwortete der Wolf ihr spöttisch und knurrte. Erneuter Schmerz, welcher ihr Herz zum verkrampfen brachte. Doch diesmal breitete er sich in ihrem ganzen Körper aus.
Rhaask wollte schreien.
~Dieser Schmerz. Diese Kälte. ~
Ihr ganzer Körper zitterte und sie spürte wie sie die Kontrolle über ihn verlor. Langsam und quälend.
„Du wirst einen Preis bezahlen. Du wirst uns zu dieser Hexe bringen, wie du es vorhattest. Und du wirst mit deinem Leibe bezahlen."
Ein Grinsen zog sich über ihr Gesicht. Nur war es nicht ihres, sondern seines.
Rhaask's Herz pulsierte. Sie überlegte nicht lange, denn sie hatte keine andere Wahl.
Die Wächterin musste ihren Begleiter retten. Er hatte es schon oft genug getan und nun war sie an der Reihe.
~Tu es. Gib ihm sein Leben und ich dir meinen Leib.~
Dann ließ sie los und ließ sich fallen.
Erneut diese Dunkelheit, welche nach ihr griff und sie festhielt.
Sie musste nun dem vertrauen, der alles vernichtet hatte und es wieder tun könnte.
Ihre Augen welche einst weiß waren und leuchteten wie hunderte Diamanten nahmen nun eine andere Farbe und Form an.
Rhaask schloss ihre immer fremder werdenden Augen langsam und als sie sie wieder aufschlug waren es nicht mehr ihre - sondern die des Wolfes und der der Dunkelheit.
Ein tiefes Grollen drang aus ihrer trockenen Kehle, gefolgt von einem dunklen Lachen.
„Ich danke dir Rhaask für dein wunderbares Geschenk. Nun, löse ich mein Versprechen."
Rhaask's Körper beugte sich über den kalten Leib des Hirsches.
Der Wolf fuhr mit ihrem Arm an der Brust des Tieres entlang bis er bei der Stelle angelangte wo einst das Herz schlug. Dort hielt er mit seiner Bewegung inne.
Worte, welche sie nicht verstand da es eine andere Sprache zu sein schien, drangen aus Rhaask's Munde.
Sie wusste nicht was geschah. Das einzige was sie konnte war zusehen.
Ihr Körper war unter der Kontrolle des dunklen Wolfes.
Der Wolf sprach weiter seine Worte und während er es tat, durchzog eine schwarze Farbe den Körper des Hirsches.
Ein Zucken und ein weiteres folgte. Es durchlief den ganzen Körper des Tieres.Rhaask wollte nicht glauben was sie sah. Konnte es wirklich möglich sein?
„Fühle.", sprach der Wolf.
Rhaask erlangte langsam wieder Macht über ihren Körper und spürte einen Herzschlag dort wo ihre Hand den Hirsch berührte.
Tränen liefen aus ihren brennenden und fremden Augen.
„Wie?", fragte sie schluchzend.
Doch sie bekam keine Antwort, denn der Wolf war wieder fort.
~Danke~
Der Leib des Hirsches wurde langsam wieder warm - die Schwärze, welche sein Körper durchzog verschwand und zum Vorschein kam wieder der ganze Glanz seines goldenen Felles. Der vertraute Glanz welchen sie einst zwischen der Asche erblickte.
Er fing an zu atmen, riss die Augen auf und erwachte.
Rhaask hielt ihn sanft fest und streichelte sein nun wieder warmes, weiches Fell.
„Willkommen zurück mein Freund."
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Rhaask ~ Im Bann des Wolfes
Fantasía"Verzeih mir", flüsterte sie und rammte sich den silbernen Speer tief in ihre Brust. Diese Geschichte erzählt von einer Welt, in der die Fabelwesen gegen die Menschen und deren Maschinen im ständigen Krieg sind. Ein Mädchen namens Rhaask wurde in di...