Kleines Zwischenwort

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Der nächste Meilenstein spielt sich zu meinem 15. Lebensjahr ab. Es war eine Achterbahn von Gefühlen, das kann ich euch sagen. Mein Zimmer war weiterhin geschmückt mit Kelly Family Postern, die ich mittlerweile auch an der Decke anbrachte, da die Wände über keinen freien Platz mehr verfügten. Ich musste auf dieser Schule das Ganztagsangebot wahrnehmen, weil ich anscheinend nicht zuhause sein sollte. Danke für nichts! In der dort angebotenen Musik AG erlernte ich das Klavierspielen, bzw. Keyboardspielen. Ich bekam ein 08/15 Keyboard und übte fast Tag und Nacht. Ich lernte verdammt schnell, und weil ich irgendwann die Kelly Family und Roger Hodgson nicht mehr am Keyboard begleiten konnte, erlernte ich ein Jahr später das Gitarrenspiel. Ich habe von einem Betreuer dort, der selber ein herausragender Musiker ist, eine Zwölfsaitige Gitarre gestellt bekommen, und lernte innerhalb 5 Tage die Basics. Parallel dazu begann ich auch mit dem Singen, und Songwriting. Auf dem Abschluss meines älteren Bruders habe ich eine selbstgedichtete Version von Hallelujah gesungen. 600 Menschen für den ersten Auftritt ist schon ne Hausnummer. Es sollte mein bisher größter Auftritt bleiben.

Aber wie siehts eigentlich mit meinen dunklen Gedanken aus? Stimmt, die sind ja auch noch da. Die Musik, die ich machte, machte es mir schwer, ruhig zu sein. Jedes Klavier, jedes Keyboard musste ich bespielen. Ich konnte gar nicht anders. Es war ein Drang zu zeigen, was ich kann, und natürlich auch, um auszuprobieren und mich weiterzubilden. Das nächste emotionale Tief würde aber nicht mehr lange auf sich warten lassen. Nun habe ich nicht mehr nur über den Tod gelesen, sondern auch in Liedern davon gehört, und selber darüber gesungen. Ich habe verzweifelt auch nach meiner Mutter gesucht. Wir hatten weder eine Adresse, noch eine Telefonnummer oder so. Ich weiß, dass das komisch klingt, nach allem was sie getan hat, aber trotzdem fehlte sie in der Erziehung, bzw. es fehlte eine weibliche Bezugsperson. Ich habe Tag und Nacht alles durchforstet. Facebook war da noch nicht so beliebt, also war jede weitere Suche erfolglos. Ich fiel also von der Musik erhoben, wieder in das Loch zurück, was ich zu verlassen gedacht habe. Aber war der Tod schon wieder die einzige Möglichkeit? Ja, so war es.

Dieses Mal wollte ich es aber anders lösen. Ich habe mir also die Arbeitspläne meines Dads gemerkt, und wusste so, wann er nicht zuhause ist. Meine Brüder wären sowieso in der Schule. Ich habe Wochen im Voraus geplant, und mir das Datum sogar in meinen Kalender geschrieben. Mein Gott, wie ich darauf hingefiebert habe. Ritzen war nicht mehr mein Verlangen. Ich habe anders geplant, und der Tag war dann auch endlich da. Mein Dad ist, wie geplant, zur Arbeit gefahren, meine Brüder zur Schule, und ich, ja ich hatte die erste Stunde frei. Hatte ich nicht, aber „Ja ich sterbe heute", wäre nicht so die beste Antwort gewesen. Obwohl es keinen interessiert hat. Keiner hat sich je um mich gekümmert. Naja, kann und will ich auch nicht ändern. Auf jeden Fall, als alle aus dem Haus waren, habe ich mich langsam dafür bereit gemacht zu sterben; ein zweites Mal. Die Stunde, auf die ich hin geplant habe, war gekommen und ich zog mich aus. Nur die Boxershorts behielt ich an, damit man mich nicht komplett nackt finden würde. Ich drehte also das Wasser auf, wusch mich und sprach zu mir selber: „I will die, I am saying goodbye". „Ich werde sterben, ich sage auf Wiedersehen.", also genau das Gegenstück zu dem, was die Kelly Family gesungen hat, und was mich Jahre zuvor, beim ersten Versuch davon abgehalten hat. Als das Wasser lief, drehte ich heißer, und heißer, und heißer und immer wieder heißer. Oh achja, ich wollte mich verbrennen. Im Internet habe ich darüber gelesen, dass das geht, also warum nicht auch ich? Wenn andere das schaffen, dann würde ich das ja wohl auch hinkriegen. Ja Pustekuchen. Es hat weder geschmerzt oder irgendwas. Es war völlig belanglos. Ich dachte durch die Hitze bewusstlos zu werden und bald danach an der Himmelstür zu klopfen. Außerdem würde die Therme so lange, wie ich brauchte, gar kein warmes Wasser zur Verfügung stellen. Also blieb auch Versuch Nummer 2 lediglich beim Versuch. Ich erzählte natürlich niemandem davon und tat so, als wäre nichts gewesen.

Die Zeit änderte sich ein wenig, und es sollte ruhiger um mich werden. Ich versuchte mich zurück in den Alltag zu integrieren und hatte das Verlangen nach einem besten Freund oder einer besten Freundin. 2011 entwickelte sich dann eine solche Freundschaft, die aus Versehen passiert ist. Mit wenigen Höhen und vielen Tiefen hat sich das übrigens über 4 Jahre gezogen. Ich sollte also dessen belehrt werden, dass alles Gute auch Schlechtes mit sich trägt. 

The Waltz Of The Heroes - Mein Leben mit DepressionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt