Held No. 2 & 3: Dennis & Flauschel

75 4 0
                                    

Nun war es soweit. Ich würde also in eine Psychiatrie gehen. Ein Ort, von dem man bisher nur gehört hat. Ein Ort, den man sich bisher nur vorgestellt hat. Ich ging also in die Kirche, und saß, wie immer, allein dort und betete zum Kreuz. Als ich wieder nach Hause ging, fotografierte ich einen lilanen Himmel, der mir die Antwort auf mein Gebet gab. Zuhause wieder angekommen, packte ich dann meine Sachen, und am nächsten Tag saß ich im Auto in Richtung Krankenhaus. Mir gingen verschiedene Gedanken durch den Kopf. Manchmal können Depressionen auch schon besser werden, wenn man nur mal schon wieder einen geregelten Tagesablauf hat, und einen vernünftigen Schlafrhythmus hat. Dort würde ich beides wiederherstellen. Ich kam also da an, und musste erstmal ein paar Papiere unterschreiben. Und da ich noch nicht wusste, wie lange man im Schnitt pro forma dableibt, war ich sehr geschockt, als auf meiner Krankmeldung ein Zeitraum von 6 Wochen stand. Ich sollte also 6 Wochen da verbringen. 6, also in Zahlen Sechs. Six, Seis, Sei. SECHS! Naja okey. Verbleiben wir so. Ich wurde auf Station Nr. 25 – Psychiatrie und Psychotherapie aufgenommen. Mir wurde mein Zimmer gezeigt, und meine Zimmergenossen vorgestellt. Der, für mich zuständige, Pfleger begrüßte mich und machte mit seiner ekelhaften Art gleich klar, wer hier wem zu gehorchen hat. Er war kein unbeschriebenes Blatt, denn von den Genossen auf der Station hörte ich Geschichten von seiner Unfreundlichkeit und ekelhaften Art, dass mir die Ohren schlackerten. Da fragt man sich, warum darf so jemand mit psychisch kranken arbeiten? Who cares. Meine Diagnose also: Starke Depressionen. Ausgelöst durch die fehlende Bindung zu meiner Mutter und der Mangel an sozialen Kompetenzen. Ich befand mich also in einem nie endenden Loch, welches ich auch in den nächsten Jahren noch nicht verlassen würde. Aber dazu später mehr. In der Sozialassistenz habe ich Dennis kennengelernt. Unsere Freundschaft zeichnete sich aus durch intellektuelle, intelligente und lange Gespräche. Es war fast wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass nach der Schule geskyped wird. Zu unserem absoluten Hoch zählten dann Gespräche, in denen wir beide eine halbe Stunde geredet haben, und der andere zugehört hatte und dann seine Redezeit in Anspruch nahm. Es war mir immer eine Ehre. Auch wenn ich oft das Gefühl hatte, dass er mich nicht versteht, habe ich trotzdem Rat bei ihm gesucht. Sein Mangel an Kompetenz beim Antworten auf Nachrichten hat sich übrigens nie verbessert. Wir machten also unsere Freundschaft auf nicht dran fest, wie viel wir miteinander zu tun haben, sondern dass wir etwas miteinander zu tun haben. Das Krankenhaus war im gleichen Ort in dem Dennis wohnte. Ich hatte es mir so ausgewählt. Also sahen wir uns jeden Tag, weil ich immer zu ihm gehen konnte. Wir haben schon vorher viel über meine ständige Trauer und Selbstmordgedanken philosophiert, aber als der Shit real wurde, fühlte ich mich erstmals richtig ernst genommen von ihm. Hatte ich auch oft das Gefühl, er würde mir etwas klein bzw. ausreden wollen, kann ich trotzdem nichts Schlechtes finden, auch wenn ich suchen würde. Diese ganzen Skypesessions die wir gestartet haben, bleiben eine der schönsten Erfahrungen die ich gemacht habe. Wir haben alles besprochen. Ihn habe ich zum Beispiel auch als erstes angesprochen, als ich meinen kleinen Erfolgssong „Sixteen" geschrieben habe, und ihn gefragt wie er ihn findet. Er machte mir die Tage im Krankenhaus um einiges angenehmer. Das erste Wochenende durfte man nicht weg. Also über Nacht. Ich hab mein Wochenende natürlich bei Dennis verbracht.

Dauernde Fragen wie: Was ist der Sinn meines Lebens? Wo will ich hin? Lohnt es sich überhaupt zu kämpfen? Warum bin ich noch hier? kamen immer wieder in meinen Kopf. Die Therapeutin, die für mich zuständig war, ging einen Tag nach meiner Anreise in den Urlaub. Schlechtes Timing, denn gerade jetzt brauchte ich doch jemanden der mit mir redet, der sich um mich kümmert. Ich fühlte mich verdammt fehl am Platz. Mir ging es zunehmend schlechter, und hello again Selbstmordgedanken, schön, dass ihr auch wieder da seid. Ich suchte also nach einem schnellstmöglichen Weg, die Klinik wieder zu verlassen. Mit Dennis habe ich zwar viel gesprochen, aber helfen konnte er mir nicht. Vielleicht wollte ich mir auch gar nicht helfen lassen? Denn ich habe in der Visite dem Arzt erzählt, dass es mir gut geht, und zwei Tage später bekam ich meine Entlassungspapiere und war raus. Nach 8 Tagen. Wie gut, dass ich auch einfach keinen Plan hatte, wie ich sonst da rauskommen sollte. Lügen haben mein Leben bis hierher viel begleitet. Aber das sollte sich ändern. Als mein Dad mich dann abgeholt hat, und ich wieder zuhause war, habe ich endlich wieder einen stillen, intimen Moment in der Kirche genießen können. Es fühlte sich so gut an, vor das Kreuz zu treten und einfach den Geruch der Kirche wahrzunehmen. Ich saß 5 Stunden da, und ging als komplett anderer Mensch wieder heraus. Diese acht Tage haben mir doch etwas gelehrt. Ich hatte zwar immer noch Selbstmordgedanken und den Wunsch zu sterben, aber ich versprach mir, es nicht selber zu tun. Sollte es allerdings passieren, wäre ich bereit. Ich machte an diesem Satz also eine komplett neue Lebenseinstellung lebendig. Eine weitere Heldin, die auf jeden Fall noch Erwähnung finden muss, ist Flauschel. Eigentlich heißt sie nicht so, aber das ist mein Spitzname für sie. Sie ist ein Jahr zuvor in mein Leben gekommen, und hat mich auch durch die Anfangszeit begleitet. Sie ging auch auf die Schule, zu der ich ging, aber sie war schon weiter als ich, sie machte die Erzieherausbildung. Ich erinnere mich an viele schöne Momente mit ihr. Aber besonders zu erwähnen ist, dass wir auch morgens zusammen zur Schule gefahren sind, und sie so wunderbar verklatscht war, als sie in die Prüfungsphase ging. Wie viele Wochen wir damit verbracht haben, jeden Tag Rommé oder Phase 10 zu spielen und und und. Wir haben immer etwas neues gefunden, was uns beschäftigt. Lego Harry Potter auf der Wii oder Mario Kart auf der Wii. Wir haben ständig gesuchtet! Umso größer war der Schock, als ich von der Klinik erzählte. Mit dieser neuen Lebenseinstellung kehrte ich zurück und wir machten genau das Gleiche wie sonst auch. Zocken, rauchen und essen. Wir sprachen öfter mal darüber was so los ist, aber Hilfe war halt schwer. Wie sollte man auch jemandem helfen, der gar keinen Willen mehr hat, und kämpfen als sinnlos sieht?

Ich hatte also eine neue Lebenseinstellung. Selbstmord war keine Option mehr, aber falls der Tod kommt, bin ich dafür bereit. Also bereitete ich mich insofern vor, dass ich auch wirklich bereit war. Ich sprach mit Flauschel darüber, habe Dennis erzählt was es zu erzählen gab, und fühlte mich abfahrbereit. Ich hatte allerdings noch keinen der Kelly Family live im Konzert gesehen. Aber auch das rückte irgendwann in den Hintergrund. Ich wusste zwar nicht wofür ich lebe, aber ich lebte. Tag ein, Tag aus. Die nächsten die jetzt an meine Tür klopfen, war natürlich das Arbeitsamt. Ging ja nicht, dass ich einfach zuhause bin und nichts tue. So einfach war das auch gar nicht. Aber naja. Ich nahm also jeden Termin wahr, und man nahm sich tatsächlich meiner an. Die Sachbearbeiterin, die für mich zuständig war, ist eine unglaublich nette Frau. Sie hat sich buchstäblich den Arsch aufgerissen für mich. Wir haben überlegt, wo mein Weg hingehen könnte. „Irgendwas mit Musik wäre halt cool", sagte ich immer. Der Plan war also, mich bei einem großen Musikladen zu bewerben. Ich machte also, innerhalb von 4 Wochen, meinen Führerschein und zum August 2015, würde die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann losgehen. In der Annahme gesund zu sein, startete ich da auch relativ motiviert. Immer im Gespräch mit meiner Sachbearbeiterin natürlich. Ich startete in der Abteilung für Blasinstrumente, obwohl ich gar nichts mit Blasinstrumenten zu tun hatte. Aber egal, dachte ich. Ich verkaufte also von nun an Querflöten und Saxophone. In einem Musikladen kommen so viele Charaktere zusammen, dass da gar nicht alles rund laufen kann. So war es auch. Ich eckte sofort mit einem Kollegen an, der zuletzt auch einer der Gründe war, warum das Arbeitsverhältnis beendet werden musste. Auf Deutsch heißt es dann einfach: Ich wurde rausgemobbt. So lange fertig gemacht, bis ich halt selber nicht mehr wusste, was ist jetzt wahr und was nicht. Resultat? Ich saß also nach einem Jahr wieder zuhause. Schön war aber diesmal, dass ich bei meiner Sachbearbeiterin auf totales Verständnis gestoßen bin. Ich wurde nicht, wie die Jahre davor, behandelt wie Scheiße! Das war schonmal ein Erfolg. Jetzt sitzen wir allerdings schon wieder hier und wissen nicht was wir tun sollen. Mein Selbstbewusstsein war wieder im Minusbereich und ein Misserfolg stapelte sich auf den Nächsten. Allerdings hatte ich jetzt einen Führerschein und ein Auto, also konnte ich auch andere Sachen in Angriff nehmen. In der Zwischenzeit arbeitete ich an meiner Karriere in der Kirche. Ich brachte mir selber Orgelspielen bei, und würde nun auch bei Haupt- und Taufgottesdiensten eingesetzt werden. Ich war erstmals Mitarbeiter bei einer Konfirmandenfreizeit, und war nun voll drin im Jugendbereich der Mitarbeiter. Ende 2015 und Ende 2016 gaben wir jeweils ein Konzert, welche ich konzipiert und geplant hatte. Die Ursprungsidee war eigentlich, mein eigenes Album vorzustellen. Aber so war es auch schön. Es war eine richtig schöne Atmosphäre, bei beiden Konzerten, hatte ich doch bei dem Konzert 2016 einen Stich im Herzen, da ein Tag vor dem Konzert die Beerdigung meiner, plötzlich, verstorbenen Oma war. Meine Mädels, die bei dem Konzert mitsangen, halfen mir den Abend durchzustehen und es war super! 

The Waltz Of The Heroes - Mein Leben mit DepressionenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt