Die Besserwisser

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Wir gehen zu einem Arzt, wenn wir krank sind, zu einem Schlosser, wenn wir uns ausgesperrt haben, und zu einem Bäcker, wenn wir richtig leckeres Brot essen wollen - und wieso? Weil wir den Experten vertrauen. Da liegt es nahe, dass man in einen Buchladen geht, um professionell zum Thema Bücher beraten zu werden. Doch in den Augen der Kunden sind nicht immer die Verkäufer die Experten...


Ein älteres Ehepaar betritt den Laden. Sie schauen sich zuerst ein wenig um, bevor sie zu mir an die Kasse kommen.

Ich: Guten Tag! Kann ich Ihnen behilflich sein?

Kundin: Ja, guten Tag. Ich bin auf der Suche nach einem Buch, das mir eine Freundin empfohlen hat.

Ich: Okay, können Sie mir sagen, wie das Buch heißt oder um was es geht?

Kundin: Warten Sie, ich habe es mir extra aufgeschrieben. (Sie kramt in ihrer Handtasche) Ah ja, hier ist es: der erste Band von Simon Beckett, „Leichenblässe".

Ich: Der erste Band von Simon Beckett ist „Die Chemie des Todes", „Leichenblässe" ist der dritte Band der David Hunter Reihe. Wenn Sie also mit dem ersten Buch anfangen möchten, müssen Sie mit „Die Chemie des Todes" beginnen.

Kundin (verwirrt): Nein, meine Freundin hat mir gesagt, „Leichenblässe" wäre der erste Band, deshalb habe ich es mir ja aufgeschrieben. Sie müssen sich irren.

Ich: Ich habe die David Hunter Reihe selbst gelesen und kann Ihnen sagen, dass „Leichenblässe" der dritte Band ist. Das ist aber überhaupt nicht schlimm, Becketts erstes Buch ist auch hervorragend geschrieben, ich bin mir sicher, sie werden es mögen. Und falls Sie doch dem Rat Ihrer Freundin folgen möchten, können Sie auch „Leichenblässe" zuerst lesen, da die Bücher zwar aufeinander aufbauen, aber nicht zwingend in der richtigen Reihenfolge gelesen werden müssen.

Kundin: Aber ich beginne lieber mit dem ersten Band einer Reihe.

Ich (lächelnd): Das verstehe ich, ich nämlich auch. Also soll ich Ihnen „Die Chemie des Todes" bestellen? Wir haben es leider momentan nicht vorrätig.

Kundin (leicht gereizt): Nein, ich habe doch gerade gesagt, ich möchte mit dem ersten Buch anfangen, und meine Freundin hat zu mir gesagt, das wäre „Leichenblässe".

Ich: Ich kann Ihnen gern die Erscheinungsdaten der beiden Bücher zeigen, damit Sie sehen, dass dieser Band tatsächlich nicht der erste ist. (Ich tippe etwas in den Computer ein und drehe den Bildschirm zu der Kundin hin) Hier, sehen Sie, „Leichenblässe" erschien in der Originalfassung 2009, „Die Chemie des Todes" dagegen bereits 2006, das heißt –

Kundin (richtig wütend): Also, unter Kundenfreundlichkeit stelle ich mir etwas anderes vor. Sie haben ja gar keine Ahnung, und dann stellen Sie meine Freundin auch noch als Lügnerin hin. Ich bin eigentlich immer gern hierhergekommen, aber Sie können mir nicht einmal das bestellen, was ich haben möchte. (An ihren Mann gewandt) Komm, Dieter, wir gehen. Tschüss.

Ich (mit zuckersüßer Stimme): Tschüss, und noch einen schönen Tag!

Beim Hinausgehen schenkt mir ihr Mann hinter ihrem Rücken noch ein kleines Lächeln und winkt mir zu.


Tja, ich bin gespannt, ob sie ihr Buch noch irgendwo gekauft hat. Bei mir jedenfalls nicht.

Mein irrer Alltag als VerkäuferinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt