Todesrosen

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Ich schwebte dahin in einer vollkommen dunklen Welt. Mein Körper wurde von dunklen Schlingen aus purer Finsternis geborgen. Endlich konnte mein Kopf wieder etwas zur Ruhe kommen, endlich musste ich nicht mehr über Tod und Leben entscheiden. Ich war in dieser Finsternis nicht verantwortlich für meine Taten oder gar für die Handlungen eines anderen. Hier würde mein Gewissen mich nie finden, zu dunkel war dieser Ort, zu verborgen vor den Augen der Lebenden. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich hier zwar für immer bleiben konnte, doch nicht zu lange verweilen durfte, aber die Finsternis war zu verlockend. Die Schmerzen meines Lebens und der gesamten Welt konnten mich nicht mehr berühren. Ich war geborgen in den Ranken der Dunkelheit. Niemand würde hier etwas von mir verlangen, für das ich nicht bereit war. Die Stille und das Vergessen taten meinem Verstand mehr als gut, bis mir bewusst wurde, dass noch etwas fehlte. Etwas, dass ich nicht missen konnte. Es existierte an diesem Ort auch nichts Fröhliches, kein Lachen, keine feurige Hoffnung, kein noch so einfacher Traum hatte in dieser Dunkelheit bestand. Ich war geschützt vor allem Bösen, vor dem gesamten Übel der Welt, doch auch vor jeder noch so kleinen Nettigkeit, vor jedem Lächeln, vor jedem noch so winzigen Funken Liebe. Etwas in mir begann sich zu regen und gegen die dunklen Ranken anzukämpfen, doch sie wollten mich nicht mehr gehen lassen, hielten mich fest, als wäre ich bereits ein Teil von ihnen. Ein Teil der alles verschlingenden Dunkelheit. Verzweifelt versuchte ich meinen Körper mit purer physischer Kraft aus den Ranken herauszureißen, doch jeder noch so kleine Muskel verweigerte seinen Dienst. Etwas presste meine Luftröhre zusammen. Ich konnte eine weitere Ranke spüren, die meinen Brustkorb fest zusammenquetschte, als wollte sie jedes Leben aus ihm herausdrücken. Japsend versuchte ich Luft zu bekommen, meine Lungen mit den überlebenswichtigen Sauerstoff zu füllen, doch was in mich eindrang war nur blanke Finsternis. Verzweifelt versuchte ich meine wenigen verbliebenen Kräfte zu mobilisieren, um vielleicht für einen winzigen Moment einen klaren Gedanken zu bekommen, eine Lösung, etwas, an dem ich mich festklammern konnte.

Ein verzerrtes Rauschen drang an meine Ohren, scheinbar von weit her. Der Ursprung musste weiter von mir entfernt sein, als der Abstand zwischen Mond und Erde und doch durchbrach dieses winzige Geräusch die Schichten der Welten und drang in mein Gehirn vor: „Polarfuchs!"

Das war mein Name. Falsch, erinnerte ein winziger Teil meines Gehirns mich, das war nicht mein Name. Mein Name war Kate. Polarfuchs war meine Tarnung, meine Maske, ein Fake. Aber es war auch der Name, der die Veränderung in mir beschrieb, den ich mir mit Schweiß und Blut verdient hatte und unter den meine Freunde mich immer erreichen würden, wenn sie Hilfe brauchten!

Verzweifelt versuchte ich mich auf den Ursprung des Rauschens zuzubewegen. Die Stimme hatte den dunklen Zauber der Ranken geschwächt, doch es fühlte sich immer noch an, als würde ich mit bleischweren Armen durch ein Becken gefüllt mit zähen schwarzen Morast schwimmen. Ich kam kaum voran und versuchte meine Taktik zu ändern, indem ich anfing, mich wie eine Schlange zu winden, um mich durch die dunklen Fäden zu winden, doch immer wieder wurde ich von ihnen festgehalten. „Polarfuchs! Wach auf!" Die Stimme in dem Rauschen wurde klarer.

„Wir brauchen dich!" Ich hatte es fast geschafft. Endlich konnte ich den mir so bekannten Klang erkennen. Damian rief mich. Er brauchte mich! Ich musste zu ihm!

„Das hat doch so keinen Sinn. Lass mich mal. Ich weiß, wie man mit Menschen umzugehen hat, wenn sie zu tief ins Glas geschaut haben. Das funktioniert immer." Das war eindeutig Elfe. Ich musste zu ihnen!

„Ich bin mir nicht sicher ob das wirklich dasselbe ist. Sie hat nicht zu tief ins Glas geschaut, sondern ist krank und steht unter starkem medikamentösen Einfluss." „Ach, Stephan! Sei doch kein Spielverderber; das ist doch genau dasselbe. Das eine ist eine Droge und das andere auch."

Gemahlin der Nacht - 2. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt