Das ständige Schweigen der Silberschwinge

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„Guten Morgen", flüsterte mir jemand ins Ohr, „oder sollte ich eher guten Abend sagen?"

Ich stöhnte und wollte mich auf die andere Seite drehen, als ich das warme Etwas bemerkte, das neben mir lag. Verwirrt blinzelte ich und als mir schlagartig bewusst wurde, was das warme Etwas war, wurde ich sofort knallrot und hellwach.

Ich spürte, wie Damian meinen Körper mit seinem sanft umschlang. Mein Rücken schmiegte sich an seine starke Bauchmuskulatur. Er hatte einen Arm besitzergreifend um meine Taille gelegt und mein Kopf lag auf seinem Oberarm.

Ob er erst jetzt anfing, mich von meinem Nacken aus bis zu meinem Mund und den Augenlidern zu küssen oder ob er das schon eine ganze Weile getan hatte, wusste ich nicht. Ich konnte nur das Prickeln meiner Haut spüren und erneut stieg eine feuchte Hitze in mir auf.

„Na, bist du jetzt wach?" Spielerisch knabberte er an meinem Ohr herum und ich stieß die Worte beinahe wie ein Fluch aus als ich antwortete: „Ich bin ja schon wach!"

„Was denn? Stört es dich etwa?", fragte er lachend und knabberte mit Absicht weiter an meinen Ohr herum. Dabei zog er das Ohrläppchen für einen Moment sogar sanft in seinen Mund.

Ich sah mich gezwungen, so schnell wie möglich zu antworten, denn ich wusste nicht, wie lange ich noch unserer Sprache mächtig war, wenn er so weitermachte. „Ob es mich stört, dass du an mir schon wieder herum knabberst, als sei ich ein Hundeknochen?", meinte ich also schnippisch, in der Hoffnung er würde aufhören. Denn um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, ob ich den heutigen Tag überleben würde, wenn er das von gestern wiederholte.

„Ich würde dich niemals mit einem Knochen verwechseln, obwohl du vielleicht wirklich etwas mehr essen könntest", erwiderte Damian und schien nun nicht nur Gefallen an meinem Ohr, sondern auch an meinem Hals zu finden.

Ich krallte mich in das Bettlaken und fragte gespielt gekränkt: „Was soll denn das heißen?" Natürlich wusste ich jedoch, dass meine langzeitige Ernährung aus dem Billigsten vom Billigsten und dann minimal Nahrung unter maximaler Anstrengung im Trainingscamp nicht gerade gesundheitsförderlich gewesen war.

Er lachte und leckte nun sanft über meinen Hals. In Gedanken fing ich an, einige Stellen aus Jane Austen zu zitieren, in der Hoffnung, dass mein Körper sich so nicht mehr weiter erhitzen würde. Nur geradeso am Rande bekam ich mit, wie Damian fragte: „Das heißt, dass du so viel essen kannst, wie du willst. Was möchtest du eigentlich zum Frühstück?", während er mich spielerisch weiter neckte.

In meinem Gehirn ratterte ich hinunter: „Sie war vernünftig genug einzusehen, daß ein Mann von fünfunddreißig die Zeit der überschwenglichen Gefühle und ausschweifenden Amüsements wohl bereits hinter sich gelassen hatte."

Erst als er erneut seine Frage stellte, erkannte ich, was er gefragt hatte, trotzdem hakte ich leicht irritiert nach: „Zum Frühstück?"

„Ja, du isst doch immer vor einem Arbeitstag, oder etwa nicht?" Damians Stimme wurde misstrauisch. Anscheinend war das Frühstück für ihn so etwas wie die erste Bürgerpflicht oder besser Lehrlingspflicht.

Ich antwortete also rasch, bevor ein Missverständnis aufkam: „Schon, nur normalerweise bringt man mir ein ganz normales Frühstück in mein Zimmer." Das ganz normale Frühstück bekam soweit ich wusste jeder. Es wurde in der großen Küche zubereitet und jedem auf sein Zimmer geliefert.

Damian wirkte wieder entspannt und erklärte mit einem zufriedenen Grinsen: „Nur heute ist eine Ausnahme, du hast hier unten geschlafen."

„Ja, und? Ich kann doch einfach zu meinem Zimmer hoch laufen, oder?", fragte ich nach und wusste nicht, worauf Damian aus war.

Gemahlin der Nacht - 2. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt