Ich rannte durch die Straßen Kölns. Der Tag war trüb und der Nieselregen ließ Tröpfchen auf meiner Brille hängen bleiben, die mir die Sicht erschwerten. Ständig rempelte ich Leute an, die sich daraufhin genervt zu mir umdrehten oder einen bissigen Kommentar von sich gaben, doch das alles blendete ich aus. Wie verrückt presste ich meinen Finger auf den Klingelknopf und sofort wurde die Tür von Sep aufgerissen, als hätte er dahinter gewartet. Ich trat ein und traf wie am vorherigen Tag alle im Wohnzimmer an. "Okay also was ist los? Was gibt es so wichtiges?", keuchte ich, noch ein wenig außer Atem. Ohne etwas zu sagen reichte mir Peter eine Karte. Sie war schon etwas vergilbt und zeigte eine riesige Fabrik aus dem 18. Jahrhundert. Dichter Rauch quoll aus den Schornsteinen. Verwundert drehte ich die Karte um und dann verstand ich die Dringlichkeit. Auf der Rückseite stand ich einer geschwungenen roten Handschrift ein kleines Gedicht.
In der alten Halle
Ist's dunkel und sehr kalt.
Dort unten sind sie alle,
Und sie kommen bald.Sie kommen ihn zu holen,
Mit Folter und mit Qual.
Dort unten bei den Kohlen,
Zum letzten grausam Mal.Darunter ein roter Fingerabdruck. "Scheiße", murmelte ich kaum hörbar. "Ganz ehrlich, langsam wird es echt gruselig. Was wird ihm denn angetan?" Sep war komplett aufgelöst. Auch Brammen war ziemlich am Ende. Verzweifelt versuchte er Worte zu finden, doch das endete damit, dass ihm stumm eine Träne über die Wange lief. Peter war neben ihm und legte seinen Arm um ihn. Nur kurz darauf hörte ich das plötzlich viel zu laut erscheinende Klingeln. Peter erhob sich, ging nach unten und kam nur einige Momente später mit zwei Polizisten im Schlepptau zurück. Es waren die selben wie beim letzten Mal. Ich hielt mich etwas abseits und versank langsam in Gedanken. Alles um mich herum verschwand in einem dichten Nebel, der Geräusche verschluckte und mich in meiner eigenen Welt zurück ließ. Das passierte immer, wenn ich anfing über etwas intensiv nachzudenken. Ich merkte nicht einmal, dass die Beamten schon gegangen waren. Doch eigentlich war mir das auch egal, denn es gab nur mich und einen entscheidenden Gedanken, der mir plötzlich in den Kopf schoss. "Sep?" Er hob ruckartig seinen Kopf und sah mich an. "Gib mir die Karte." Verwirrt blickte er mich an, reichte mir dann aber das Stück Papier herüber. Ich drehte es hin und her und sah mir noch einmal alles an. Die Schrift, den Fingerabdruck, das Bild auf der Vorderseite. Ich las jede Zeile noch einmal genau durch. Folter und Qual. Zum letzten grausam Mal. Das war eigentlich relativ eindeutig. Aber dann gab es noch Worte wie "alte Halle" oder "unten bei den Kohlen". Ich drehte die Karte noch einmal auf die Seite mit dem Bild. Und dann war es wie ein helles Licht, das sich in meinem Kopf ausbreitete. "Es ist eine Botschaft!", rief ich plötzlich und sofort waren alle Blicke auf mich gerichtet. Ich schaute in viele verwirrte Augenpaare. "Die Karte meine ich", fuhr ich fort. "Du meinst...?", sagte Peter langsam. "Ja richtig", unterbrach ich ihn, "Wir sollen Christian finden und die Karte beziehungsweise das Gedicht gibt die nötigen Hinweise. Je länger wir brauchen, umso mehr wird er leiden, also sollten wir uns beeilen." "Und wo genau sollen wir suchen?", fragte Jay ungläubig. "Wie viele alte Fabrikgelände gibt es ein wenig außerhalb von der Stadt?", fragte ich in die Runde und öffnete dann Google Maps.
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Er merkte kaum noch etwas. Halb bewusstlos wurde er irgendwo hin geschleift, doch es war ihm egal wohin. Eigentlich war ihm alles egal. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde er erneut auf kaltem Boden fallen gelassen. Er hörte noch ein paar Geräusche, die er nur gedämpft wahrnahm. Sein Körper war bereit aufzugeben und alles hinter sich zu lassen, aber eine zaghafte Stimme in seinem Kopf hielt ihn auf. Eine Stimme die ihn schon bald anschrie, er solle nicht aufgeben. Doch mit einem Mal verstummte die Stimme und alles um ihn war nur noch schwarz. Leere. Stille. Er wusste nicht wie lange er so zusammengesunken gelegen hatte, als er von einem heftigen Schmerz geweckt wurde. Er zuckte zusammen und alles in ihm ging drunter und drüber. Noch einmal dieser furchtbare Schmerz. Wieder kam die Angst. Die Panik. Erneut traf ihn der Schmerz und nun realisierte er auch, was den Schmerz verursachte. Immer wieder an verschiedenen Stellen wurde er von Stromschlägen getroffen und zuckte jedes Mal zusammen. Er wollte schreien, doch sein Mund war so trocken, dass es praktisch unmöglich war. Er wurde auf die Beine gezogen und diesmal waren es zwei Männer in schwarz, die hinter ihm standen und ihn festhielten. Erst jetzt fing er an, seine Umgebung genauer zu betrachten. Er befand sich in einem großen Käfig und eine flackernde alte Lampe hing von den Metallstreben an der Decke. Er sah den Mann mit der Maske auf sich zukommen. Sah ihn etwas aus seiner Innentasche nehmen. Er stand nun direkt vor ihm. "Weißt du Christian, es macht mir mehr und mehr Spaß, dich zu quälen. Und weißt du was noch schöner ist?" Vorsichtig schüttelte er den Kopf. "Du kannst nichts dagegen tun." Und kurz darauf schnitt ein Messer durch sein dünnes Hemd einmal quer über seine Brust. Er schrie auf und versuchte sich loszureißen, doch gegen die zwei Männer hinter ihm hatte er keine Chance. Fest hielten sie ihn gepackt, als das Messer auch auf seinem Oberarm einen Schnitt hinterließ. Sein Hemd färbte sich rot und er fühlte sich wie gelähmt. Blut tropfte auf den Steinboden. Das Messer strich über seine Wange und er sog scharf die Luft ein. Bloß nicht bewegen. Eine blutige Spur blieb auf seiner Wange zurück und er sackte plötzlich zusammen. Die Männer hatten ihren Griff gelöst und er konnte sein Gewicht nicht mehr halten. Er blieb einfach liegen. Der Mann mit der Maske kniete sich zu ihm herunter. "Ich weiß was du getan hast Christian. Ich kenne die Geschichte mit Sophie. Und ich weiß welche Schmerzen dir diese Erinnerung bereitet und ich werde dich dafür büßen lassen." Dann ging er und überließ ihn sich selbst. Am liebsten wäre er einfach eingeschlafen, doch gerade an dem Punkt, an dem er fast weggenickt wäre, durchfuhr ein Schrei die Stille. Erst nur eine Stimme, dann immer mehr, die zusammen ein Meer von kreischenden Schreien bildeten. Manche klar und deutlich, manche schrecklich verzerrt, so dass man sie nicht verstehen konnte. Er hielt sich die Ohren zu doch er wurde die Stimmen nicht los. Sie brannten sich in seinem Bewusstsein ein, machten sich Platz und verdrängten alles andere. Sie brüllten ihn an.
Es ist deine Schuld!
Du bist nicht gut genug!
Du hast alles falsch gemacht!
Du bist es nicht wert!
Er wollte, dass es aufhörte, wollte die Stille zurück. Nervös wälzte er sich auf dem Boden hin und her, in der Hoffnung er könnte die Schreie irgendwie verdrängen. Doch sie hatten sich schon wie ein Virus in seinem Kopf festgesetzt und so schloss er nur die Augen und blieb wimmernd auf dem Boden zurück. "Es tut mir doch leid.", flüsterte er. "Es war doch nicht so geplant."
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Im Auto herrschte Totenstille. Ich hatte mich zusammen mit Jay und Peter auf der Rückbank zusammen gequetscht, Brammen saß vorne und Sep fuhr. Auf meinem Schoß stand meine Tasche mit all dem Kram, den ich für eine Erstversorgung gebrauchen könnte. Verbände, diverse Medikamente und Spritzen, Handschuhe, Pflaster und viele weitere Dinge. Ich redete mir ein ruhig zu bleiben, aber so öfter ich mir das sagte, umso angespannter wurde ich. Wir waren auf dem Weg zu einer verlassenen Fabrik ungefähr zehn Kilometer außerhalb von Köln. Begleitet wurden wir von zwei Polizeiwagen. Wir hatten die Polizei sofort angerufen und um Unterstützung gebeten. Zwar war meine Idee am Anfang nur eine Vermutung, doch inzwischen war ich mir doch recht sicher. Außerdem hatte ich mir noch einmal Bilder der alten Fabrik angesehen und sie ähnelte stark der Fabrik auf der Karte. Wahrscheinlich war sie das auch, nur aus einem anderen Winkel fotografiert und mit einem Filter darüber.
Dann endlich Bogen wir von der Straße auf einen kleineren Weg ein und erreichten Bald das Gelände. Es hatte einmal ein Tor gegeben, dieses fehlte aber, genauso wie Teile des Metallzauns. "Wenn wir jetzt da rein gehen, dann bleiben Sie unbedingt hinter uns", ermahnte uns einer der Polizisten. "Ich werde einen Rettungswagen hierher bestellen, aber ich kann nicht sagen, wir lange es dauern wird, bis er hier ist", sprach er weiter. "Aber die erste Hilfe würden Sie dann übernehmen. Das hatten wir ja geklärt." Nun richtete er das Wort an mich. "Ja korrekt", antwortete ich. Im Vorfeld hatte ich den Beamten meinen Medizinerschein gegeben, der mich dazu berechtigte, eine ärztliche Erstversorgung durchzuführen und Medikamente zu besitzen, die man sich sonst nicht einfach so kaufen konnte. Das war ein besonderes Zertifikat, das ich in der 12. Klasse im Rahmen des Projektes "Junge Mediziner" bekommen hatte. "Also dann, verhalten Sie sich ruhig." Dies kam von einem anderen Polizisten. Ich nickte den Beamten zu bevor ich mich zu den Jungs umdrehte und ihnen ebenfalls zunickte. Wir hatten abgesprochen, dass Peter mitkommen würde. Die anderen würden draußen bleiben und warten. Mit einem letzten es-wird-alles-gut-Blick wendeten wir uns zum Gehen und folgten den Polizisten in das marode Gebäude.Schon nach den ersten Schritten machte sich eine beklemmende Atmosphäre breit. Die Wände waren teilweise schon kaputt oder mit Graffiti beschmiert. Es war dunkel und staubig und die Luft roch abgestanden. Immer tiefer drangen wir in das alten Labyrinth aus kleineren Nebenräumen und riesigen Hallen vor. Die Polizisten beleuchteten jeden Raum mit ihren Taschenlampen, doch als wir nach knapp einer halben Stunde immer noch keine Spur von Christian hatten, begann meine Hoffnung zu schwinden. Vielleicht hatte ich ja doch falsch gelegen. Wir waren in einem langen dunklen Gang angekommen. In einen Raum schien spärliches Licht durch ein schmutziges Fenster. Und plötzlich sah ich etwas, das meine Hoffnung wieder aufleben ließ. Ich erinnerte mich an die Karte. "Dort unten bei den Kohlen". Das war es. Hier musste er sein. "Moment", rief ich. "Können sie bitte hier schauen? Ich erinnere mich an einen Hinweis aus dem Gedicht." Ich wartete bis die Polizisten voraus gingen und dann folgten Peter und ich. In dem Zimmer, wo die alten Kohlen lagen, war nichts und auch im nächsten Raum nicht. Aber dann wurde eine schwere Tür aufgestoßen und wir standen in einer großen Halle, in deren Mitte eine Art riesiger Käfig stand. Einen Lichtschalter gab es nicht und so mussten die Taschenlampen ausreichen. Sofort fiel mir auf, wie furchtbar kalt es hier war. Ganz still lauschten wir und schließlich hörte ich etwas. Etwas wie ein zaghaftes Schluchzen. "Leuchten Sie auf den Boden und an die Wände", sagte ich zu den Polizisten. Gesagt getan. Und nur wenig später wurde ich fündig. Auf dem Boden lag ein Schlüssel mit einem kleinen Zettel daran. "Glückwunsch - Gefunden" stand in der selben geschwungenen Handschrift wie auf der Karte darauf. Ich ging zu dem Käfig und öffnete das Schloss. Die Polizisten traten hinter mich und leuchteten ins Innere. Und dort in der hintersten Ecke sahen wir ihn. Christian. Direkt bemerkte ich die rote Färbung seines Hemdes. Ängstlich zuckte er vor dem Licht zurück und presste sich an die Wand. "Bitte nicht", wimmerte er und sein Körper zitterte. "Du solltest zu ihm gehen", wendete ich mich an Peter, "es ist besser wenn er eine bekannte Stimme hört." Zögerlich nickte er und trat dann durch die Metalltür. "Hey Chris, ich bin's. Peter." Er ging einige Schritte vor Christian auf die Knie. Langsam nahm Christian den Arm herunter, den er sich schützend vor seinen Kopf gehalten hatte. Er sah Peter, der von den Taschenlampen angestrahlt wurde. Er stieß ein klägliches Schluchzen aus, das Erschöpfung aber gleichzeitig pure Erleichterung widerspiegelte, und kroch zu Peter, um ihm sofort um den Hals zu fallen. Er zitterte am ganzen Körper. Hilflos suchte Peter meinen Blick. Ich ging zu ihm und kniete mich auch auf den Boden. "Rede mit ihm. Beruhige ihn", flüsterte ich ihm zu. "Okay. Hey shhh." Er strich ihm über den Rücken. "Alles gut, wir sind da Christian." Ich legte meine Hand auf seinen Arm. Er war eiskalt. "Chris", sagte ich, "es ist alles gut. Wir bringen dich hier weg, es ist vorbei."
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Aloha ihr Schnittchen. ^^ Heute mal ein längeres Kapitel. Ich war so im Flow, ich hätte auch gleich weiter machen können aber ich glaube, das wäre dann doch zu lang geworden. :D
Ich habe übrigens keine Ahnung, ob es so einen Medizinerschein gibt. Ich glaube eher nicht, aber für die Story passt das schon. XDIch hoffe mal, euch gefällt die Story bisher und ich schau mal, wie schnell ich wieder ein neues Kapitel schaffe. Ich beeile mich :)
Kritik und Meinungen sind auch immer gerne gewünscht.Achso und fälschlicherweise habe ich dieses Kapitel schon gestern veröffentlicht, obwohl es erst halb fertig war. Also nicht wundern, dass gestern dann doch nichts kam. ^^
-Raven
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Guardian - She came to save us all [Pietsmiet Fanfiction]
Fanfiction- "Nicht alle Engel haben Flügel", sagte er sanft zu mir, bevor er mir noch einmal die Hand auf die Schulter legte und dann das Zimmer verließ. Eine Träne lief mir die Wange herunter und plötzlich spürte ich eine unendliche Leere und Dunkelheit in m...