16. ~Something about him~

131 5 3
                                    

You lost a part of your existence in the war against yourself.
~ Troye Sivan "The fault in our stars" 

Behutsam schloss ich die Tür hinter mir und ging in die Küche. Dort wartete Peter bereits erwartungsvoll auf mich. "Und? Alles gut soweit?" "Ja geht schon", antwortete ich. "Ich konnte ihn immerhin mit der Salbe einreiben und ich mache ihm jetzt erstmal einen Tee." Peter nickte. "Der ist aus Gewürznelken und dürfte seinen Appetit etwas anregen", ergänzte ich, während ich Wasser aufsetzte. "Und, konntest du mit ihm reden?", fragte Peter dann. "Nein nicht wirklich." Ich machte eine Pause. "Aber wir müssen dann reden, über Christian." "Ähh okay", gab Peter zögerlich zurück.
Es entstand Stille zwischen uns und es war unschwer zu erkennen, dass Peter sich Sorgen machte. Ich ließ den Tee ziehen und brachte ihn dann zu Christian. Als ich die Tür öffnete, sah ich allerdings, dass er eingeschlafen war. Also stellte ich die Tasse vorsichtig auf dem Nachttisch ab und verließ leise das Zimmer.
Zurück in der Küche sah ich Peter an der barähnlichen Kücheninsel sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben. Ich setzte mich neben ihn. Langsam drehte er den Kopf zu mir und schaute auf. "Also, du wolltest reden?" "Ja, wollte ich. Naja, als ich bei Christian war und ihn eincremen wollte, ist er total zusammen gezuckt, als ich ihn anfassen wollte. Ich hab ihn beruhigt und gesagt, dass ich ihm nicht weh tun würde und dann hat er etwas komisches gesagt", redete ich einfach drauf los. Mit seinem Blick gab Peter mir zu verstehen, dass ich fortfahren sollte. "Er sagte, er habe Angst, dass er mir weh tun könnte." Mein Sitznachbar wendete den Blick zum Fenster. "Ich glaube, ich sollte dir etwas über Christian erzählen." Seine Stimme war leise geworden, als wollte er nicht, dass jemand anderes zuhören könnte. "Okay", antwortete ich, gespannt was jetzt kommen würde. "Bitte, denk danach nichts Falsches über ihn." Ich nickte.
"Wie du wahrscheinlich weißt, habe ich Chris an der Uni kennengelernt", begann Piet mit seiner Erzählung. "Wir wurden schnell Freunde und er stellte mir seine damalige Freundin Sophie vor." Sophie. Dieser Name kam mir sofort bekannt vor. "Leider hatte sie eine angeborene Krankheit, die nicht heilbar war und war oft im Krankenhaus. Es gab viele Tage an denen es ihr schlecht ging und sie musste auf vieles verzichten. Die Ärzte gaben ihr schließlich nur noch wenige Wochen. Aber trotz allem hat Christian sie wahnsinnig geliebt und war immer für sie da." Er machte eine Pause. Seine Miene war trauriger geworden. "Eines Tages ging es ihr so schlecht, dass alle quasi schon wussten, dass sie sterben würde. Ich erinnere mich daran, wie ihre Mutter Chris anrief und ihm sagte, sie wolle ihn noch einmal sehen. Es war abends und wir waren gerade auf einer Party. Ein paar Kumpels von uns hatten Chris dahin mitgenommen, um ihn etwas abzulenken. Er hatte sich anfangs gewehrt aber schließlich hatte er doch einiges getrunken. Ich hatte ihn im Laufe des Abends in der Menge verloren und als ich nach Hause wollte habe ich ihn gesucht und wollte sehen, ob er noch da war. Er muss aber alleine irgendwann losgegangen sein. Auf dem Weg hab ich ihn dann gefunden. Völlig unterkühlt irgendwo am Straßenrand." Wieder machte Peter eine Pause. "Ich hab ihn dann nach Hause gebracht, ich meine was hätte ich denn tun sollen. Am nächsten Tag war seine Freundin dann tot. Sie ist in der Nacht gestorben. Christian war komplett am Ende. Verständlicher Weise. Er hat tagelang geweint und sich von allem und jedem abgekapselt. Er kam nicht mehr zur Uni, er redete nicht, er aß nicht. Er fiel in ein riesiges dunkles Loch, an dessen Boden er in Selbsthass und Trauer ertrank. Er wollte zu ihrer Beerdigung, aber ihre Mutter hat ihn weggeschickt und ihm solche Vorwürfe gemacht, dass ich dann wirklich Angst hatte, er könnte sich was antun. In den ersten Tagen und Wochen ließ er auch mich nicht an sich ran, aber ich habe letztendlich so lange auf ihn eingeredet, bis er sich wenigstens mir anvertraut hat. Er hat sich immer die Schuld für ihren Tod gegeben und auch wenn die Trauerphasen weniger wurden, und irgendwann ganz aufhörten, glaube ich, dass er das bis heute noch nicht ganz verarbeitet hat und sich immer noch Vorwürfe macht." Damit beendete Peter die Geschichte. Seine Augen waren glasig geworden. Ich hatte kein Wort gesagt und auch jetzt fiel es mir schwer, etwas zu sagen. Das war wirklich eine heftige Sache und so sagte ich schließlich: "Wow, das tut mir leid." Mir wollte einfach nichts Besseres einfallen. Nach einer Weile der Stille, in der ich noch einmal darüber nachgedacht hatte, sagte ich dann: "Du hast gesagt, irgendwann wurden die Trauerphasen weniger." Peter nickte. "War er dann einfach so wie vorher?" "Naja", begann er, "eigentlich schon. Es ging recht schnell, irgendwann hat er kaum noch über sie gesprochen und konnte wieder lachen. Ich glaube in dieser Zeit hat er den Charakterzug entwickelt, den er bis heute hat." "Der da wäre?", hakte ich nach. "Er hat wahrscheinlich alles verdrängt, alles begraben unter einem riesigen Berg aus Fröhlichkeit. Weißt du warum keiner von uns Christian je wirklich wütend oder traurig erlebt seit dieser Zeit?" Ich schüttelte den Kopf. "Weil er alles tief in sich einschließt. Alles in seinem Inneren versteckt. Und auch wenn in ihm die Hölle kochen würde, würde das keiner bemerken, weil er einen anlächelt, als wäre es der schönste Tag in seinem Leben. Ob das nun eine gute oder schlechte Eigenschaft ist, darüber kann man streiten. Meiner Meinung nach wird er sich damit kaputt machen. Er ist eine Zeitbombe, es braucht nur einen Zünder, der alles hochkommen lässt. Und dann wird er in dem Krater, den er verursacht hat versinken und in ein genauso tiefes Loch fallen wie damals. Nur weiß ich nicht, ob ich ihm dann nochmal raus helfen kann."
Peter stand auf und nahm sich ein Glas Wasser. "Weiß von der Sache jemand außer dir?", fragte ich. "Nein und ich würde dich bitten, es auch dabei zu belassen. Eigentlich hatte ich ihm versprochen, über all das kein Wort zu verlieren, solange es nicht unbedingt nötig ist." "Und warum erzählst du mir das dann alles und den Jungs nicht?" Diese Frage brannte schon die ganze Zeit auf meiner Zunge. Es verwunderte mich, auch wenn es mich schon ein bisschen stolz machte, dass er es mir erzählte und so ehrlich war. "Weil ich glaube, dass du ihn aus dem Krater helfen kannst, wenn es soweit ist." Diese Antwort sorgte für mehr Verwunderung in mir. "Ich? Warum ich, obwohl ich ihn erst seit einigen Wochen kenne und ihr jahrelang?" Das ganze ließ mich gerade nicht los. "Nach dieser ganzer Sache entwickelte Chris nicht nur die Eigenschaft, alles wegzulächeln. Er begann allen neuen Leuten zu misstrauen. Er verlor die Fähigkeit sich anderen zu öffnen. Zu seinen Freunden war er ganz normal, aber bei Fremden war er vorsichtig. Wenn einer von uns jemanden mitbrachte, war er anders. Verschlossener. Er begann sich selbst damit zu schützen, vor allem wenn es Mädchen waren. Er hatte sich geschworen, nie wieder jemanden so zu im Stich zu lassen und zu verletzen. Das ist auch der Grund, warum er seit Jahren keine Freundin mehr hatte. Es brauchte viel Zeit bis er jemanden wirklich vertraute und viele erreichten diesen Status erst gar nicht. Er begann sorgfältig auszuwählen, mit wem er etwas zu tun haben wollte", erklärte Peter. "Und was hat das mit mir zu tun?" "Ich weiß nicht ob es mir nur so vorkommt, aber es scheint, als hättest du dir in kürzester Zeit eine Menge an Vertrauen erarbeitet, für die Andere Jahre brauchten. Du hast eine besondere Wirkung auf ihn und ich glaube du bedeutest ihm was." Er machte eine Pause. "Und ich glaube er wird dich brauchen. Du kennst jetzt den Grund, warum er jetzt noch so reagiert wie er reagiert, aber du bist auf einem sehr guten Weg."
In mir stand alles still. Jeder Gedanke wurde hineingesogen in das tiefe schwarze Loch, bis nur noch der eine Satz zurückblieb. Ich glaube du bedeutest ihm was. Alles drehte sich nur um diesen einen Satz. War es das, was ihm Angst machte? Ich spürte wie meine Beine drohten einzuknicken. "Nele? Hey ist alles gut?" Peters Stimme kam von sehr weit weg. Das Bild vor meinen Augen wurde unscharf. Und ich merkte nur noch, wie ich leicht nach vorne kippte und Peter mich mit einem entsetzten Geräusch auffing und ich sicher in seinen Armen lag.

Nach nur wenigen Sekunden kam ich wieder zu mir. Ich lag immer noch in Peters Armen. Er hatte sich auf den Boden gekniet und sah mich besorgt an. Seine Hand lag auf meiner Stirn. "Oh Gott, bist du okay?" Ich nickte langsam. "Was war denn los? Scheiße eyh mein Adrenalinspiegel ging grad hoch wie sonst was." Er half mir auf die Beine und plötzlich berührten meine Füße nicht mehr den Boden. Er trug mich zum Sofa und setzte mich darauf ab. "Danke", war das erste, was ich sagen konnte. Und dann umarmte ich ihn. Das was Peter mir da erzählt hatte, hatte meine Welt kurz aus den Angeln gehoben. Zögerlich legte auch er seine Arme um mich, drückte mich dann aber auch etwas fester. Er gab mir Sicherheit. "Bist du sicher, dass alles gut ist? Du bist echt blass geworden", bemerkte er. "Ja alles gut. Tut mir leid wenn ich dir einen Schrecken eingejagt habe." Ich zögerte kurz. "Das was du mir gesagt hast, das war nur gerade... Ganz schön heftig." Ich löste mich aus der Umarmung. "Warum denkst du, dass gerade ich so wichtig für ihn bin?" Irgendwie wollte das alles noch nicht richtig in meinen Kopf hinein. "Ich glaube ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, wann da was passiert. Und außerdem habe ich schon lange nicht mehr so einen Blick bei ihm gesehen", antwortete er. "Was für einen Blick?" "Vielleicht ist es dir nicht so sehr aufgefallen, aber da ist etwas, wenn er dich ansieht. Und auch wie du mit ihm umgehst. Du hast ihm das Leben gerettet und ihn aus diesem Keller da befreit. Das geht nicht einfach an ihm vorbei." Er legte einen Arm um mich. "Und auch wenn er manchmal abweisend ist, dann hat das wirklich nichts mit dir zu tun. Du bist ihm wichtig. Du bist uns allen wichtig. Schließlich warst du die ganze Zeit für uns da und wenn du uns auf der Gamescom nicht geholfen hättest, dann-" Er brach ab. "Daran will ich lieber nicht denken." Ich lehnte mich an ihn an. "Willst du hier schlafen? Ich will dich eigentlich nicht noch mal raus gehen lassen. Oder wenn dann fahre ich dich." "Nein, dass musst du nicht, ich bleib hier. Wenn das okay ist." "Na klar", sagte er und lächelte. Dann brachte er mir eine Decke und ich machte es mir auf der Couch bequem. "Na dann schlaf gut", sagte er noch sanft zu mir, bevor er die Lichter ausmachte.

Guardian - She came to save us all [Pietsmiet Fanfiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt