Pling! Pling! Ich mochte das Geräusch, welches ertönte, wenn ich meinen Kopf gegen das Glas knallen ließ, auch, wenn es die Wachen außerhalb meines „Terrariums" nervös zu machen schien oder vielleicht genau deshalb. Der Maulkorb, der fest um meinen Mund geschnallt war, roch nach Leder. Ekelhaft. Mit meinen Armen wollte ich bereits versuchen, das widerliche Ding von meinem Kopf zu reißen, als mir wieder einfiel, dass ich meine Hände nicht bewegen konnte. Wie der Rest meines Oberkörpers waren sie in eine weiße, mit Schnallen verzierte Zwangsjacke gesteckt. Einer der Wachen klopfte gegen das Glas, damit ich zurückwich. Wie gesagt, es machte sie nervös. Kunstvoll machte ich eine Rückwärtsrolle, weg vom Glas und den Wachen, die mich beobachteten, als wäre ich ein gefährliches Tier.
Nach der Rückwärtsrolle blieb ich eine Sekunde auf dem Rücken liegen. Mir war wirklich langweilig, deswegen beschloss ich, mich im Kreis zu rollen. War sicher gut für die Muskulatur, jedenfalls für jene Muskulatur, welche fürs Rollen zuständig war. Der Arsch gehörte sicher dazu und wer kann zu einem knackigen Arsch schon „nein" sagen? So rollte ich mich noch schneller. Als ich die verstörten Blicke der Wachen auf mir spürte, musste ich lachen. Einer sah dümmer aus als der andere und da ihre Gesichter nicht zur Hälfte von einem Maulkorb bedeckt waren, konnte ich erkennen, dass ihnen eindeutig nicht zum Lachen zu Mute war.
Nach einigen weiteren rollenden Runden wurde auch das langweilig und ich begann zusätzlich das beliebte Kinderlied „Row, row, row your boat" zu singen, wobei meine Stimme so sehr gedämpft wurde, dass es sich in meinen Ohren nur wie ein tiefes Summen anhörte. Aus Wut darüber, dass der Maulkorb meine wunderschöne Singstimme dämpfte, schlug ich in der nächsten Runde meinen Kopf absichtlich und heftig auf den Boden, als ich an der Hauptwache vorbeirollte. Jeff zuckte erschrocken zusammen und wich von der Glasscheibe zurück. Erst als ich spürte, wie etwas Nasses an meiner rechten Gesichtshälfte herunterrann, wurde ich mir des leichten Schmerzes bewusst. Eine plötzliche Idee ließ mich innehalten. Ich hockte mich kurz hin und beugte mich mit dem Oberkörper leicht nach vorne. Der Blutstropfen zischte, als er mit dem Betonboden in Berührung kam. Das Gift in meinem Blut war also so effektiv wie eh und je. Interessant.
Bevor einer der Wachen bemerkte, dass ich mich völlig still hingehockt hatte, begann ich, mich weiterzurollen, wobei ich von nun an bei jeder Runde meinen Kopf gegen den Boden knallte. Somit würde auch keine Blutspur am Glas zurückbleiben. Die Wachen hatten langsam das Interesse an mir verloren, was mich irgendwie ärgerte. Ich hatte eindeutig ein Aufmerksamkeitsdefizit, so wie Liz immer behauptete. Als ich merkte, dass ich immer mehr blutete und dies Spuren auf dem Boden hinterließ, rollte ich mich kurzerhand unter mein Bett. Das Training hatte definitiv etwas gebracht, denn ich passte mühelos darunter. Ich schlitterte darunter wie ein Stück Butter in einer heißen Pfanne. Scheibenhonig, nun bekam ich auch noch Hunger auf Pfannkuchen!
Aus Angst, das Blut könne zu schnell trocknen, schlug ich in regelmäßigen Abständen meinen Kopf gegen das Bettgestell. Mein Blut hatte eine echt schöne Farbe, fast so schön wie meine giftgrünen Haare, welche vom Blut jedoch immer rötlicher gefärbt wurden. Diese Farbe und Blut erinnerten mich an Liz, die gerade verhört wurde. Und an das Gesicht von Marcus, welches immer so rot wurde, wenn er sich mit mir unterhielt. Wahrscheinlich freute er sich und wedelte unter dem Tisch mit seinem Schwanz, in jeglicher Hinsicht.
Völlig in Gedanken versunken, bemerkte ich im ersten Moment gar nicht, dass zwei Wachen mein Terrarium betreten hatten. Augenblickblich hörte ich auf, mir meinen Kopf gegen das Bett zu schlagen und beobachtete ihre Füße, während sie näher kamen. Der, seiner Stimme nach zu urteilen, Jüngere der Beiden, erkundigte sich angsterfüllt: „Wo ist sie?" „Wo ist es, wäre die bessere Frage"; schnaubte Jeff verächtlich. „Es ist unter dem Bett. Es steht auf diese Versteckspielchen. Geh besser ein Stück weg." Der Junge wurde nervöser: „Ist sie...ähm, ich meinte, es...denn wirklich so gefährlich. Auf den Fotos wirkte...es...nicht gerade wie geborene Tötungsmaschine." „Ist es aber. Es sieht zwar aus wie ein Mensch, ist aber durch und durch eine Schlange. Was glaubst du denn, wieso wir es in einem Terrarium halten?" Jeff lachte unterdrückt. Ich hörte den Jungen schlucken und kam mir zugleich besonders vor, weil andere über mich sprachen. „Wie holen wir es denn da raus?" Der Ältere seufzte wissend: „Es wird bald von selbst kommen. Ihm wird schnell langweilig." Wo er Recht hatte... „Traust du dich? Es ist vollkommen harmlos. Momentan jedenfalls." „Aber ich...", unterbrach er sich selbst, seufzte einmal kurz und machte sich zögerlich auf den Weg.
Als der Jüngere immer näher zum Bettgestell kam, fielen mir seine Yeezies auf. Sie waren offensichtlich fake. Ich schwor mir, wenn ich draußen war, würde ich mir Originale besorgen, vielleicht sogar von einem Toten, weil, wie ich gehört hatte, wurden sie nicht mehr produziert. Ich spürte regelrecht das kurze Zögern, als er nur noch einen Schritt vor meinem Bett stand. Warum zögerte er so? Er war nicht der Einzige, der nervös war. Zur Sicherheit schlug ich mir nochmals den Kopf an und mein Blut rann mir in die Augen und über meine Wangen. Einige Tropfen fing ich mit der Zunge auf. Glücklicherweise konnte es mir nichts anhaben. Da ich es lange nicht mehr ausprobiert hatte, war ich gespannt, wie es bei diesem Typen gleich funktionieren würde.
Wie erwartet, fuchtelte er zuerst mit seinem Schlagstock unter dem Bett herum, wobei ich zu weit hinten war, um von ihm getroffen zu werden. Dennoch sehnte ich mich irgendwie nach den Schmerzen, die er mir bereiten konnte. Kurzentschlossen, da ich nun wirklich ziemlich aufgeregt war, schoss ich von einem Moment auf den anderen wie eine gereizte Schlange unter dem Bett hervor und blieb mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen. Er sollte sich bücken oder wenigstens fragen, ob es mir gut geht. Immerhin war ich eine Lady, oder?
Jeff klang genervt: „Komm schon, du bist doch nicht gern schmutzig. Dein wöchentlicher Waschtag wartet." Bilder von einem nackten Ich inmitten vieler Wachen, wobei nur einer mit einem Wasserschlauch auf mich zielte, kamen mir vor Augen und ich kicherte wie ein kleines Schulmädchen: „Ihr wollt mich doch nur alle nackt sehen." Ich dachte an den einen sexy Typen, der zu meine Wachen gehörte und am Waschtag immer in der ersten Reihe stand, die Waffe schussbereit auf mich gerichtet. Er sah mir immer direkt in die Augen mit diesem konzentrierten Blick, der ganz offensichtlich von sexuellem Interesse sprach.
Jeff riss mich aus meinen Gedanken, indem er sagte: „Was gibt es da schon zu sehen?" „Ach, jetzt sei doch nicht so. Ich weiß genau, dass du mich liebst." „Muss dieses Geplänkel jetzt wirklich jedes Mal sein?" „Gib mir einen Kuss, dann bin ich still", kicherte ich wieder. Ein genervtes Seufzen entfuhr ihm: „Schnapp es dir." Ich hörte den Jungen, der zuvor zurückgewichen war, wieder näherkommen und wusste, dass dies meine einzige Chance war, um der Langeweile zu entkommen und nach so langer Zeit endlich wieder zu töten. Schauen, ob ich es überhaupt noch konnte.
Als er, meinem Gehör nach, nahe genug gekommen war und sich bückte, sprang ich auf und knallte mit meiner blutenden Stirn gegen seinen Unterkiefer. Zwei, drei Zähne gaben nach und fielen auf den Boden und er schloss den Mund, doch der war bereits mit unser beider Blut verschmiert. Jeff reagierte nur wenige Sekunden zu spät und schockte mich mit seinem Taser. Die Elektroden des Tasers klebten an mir wie Saugnäpfe und ich stürzte zu Boden. Der Ältere eilte sofort zum Verletzten, doch ich wusste, für ihn kam jede Hilfe zu spät.
Mein Blut, in welchem gleichzeitig mein Gift „Toxinit" war, wirkte bei jeglicher Einführung in den Blutkreislauf sofort und war immer tödlich. Mein Speichel war das einzige Gegengift, doch außer Liz und mir wusste das niemand. Würde ich die vergiftete Stelle küssen oder, wie ich es normalerweise tat, wenn ich aus Versehen Liz vergiftete oder auch eine meiner Schlangen, was allesamt öfters passiert, als man glaubt, ablecken, wäre das Opfer geheilt. Vom Taser noch ein wenig benommen, konnte ich nur verschwommen die letzten Momente des vielleicht Zwanzigjährigen genießen.
Im selben Moment, in dem seine Zähne auf dem Boden aufgeschlagen waren, traten bereits die ersten Symptome auf und er fiel gelähmt zu Boden. Momentan hatte er schmerzhafte Krämpfe, die aussahen, als würde er tanzen. Zwar würde er jetzt nicht bei „Let's dance" gewinnen, aber ich fand es trotzdem wunderschön. Es war, als würde er nur für mich tanzen. Während Jeff aufgeregt nach Hilfe rief, spuckte mein Opfer bereits das erste Blut. Er war sehr schwach, wenn er bereits mit dem Blut spucken begann. Normalerweise dauerte es länger. In wenigen Minuten würde er sterben. Schade irgendwie, er war ein hübscher Bursche gewesen. Zwei Sanitäter stürmten in mein Terrarium und trugen ihn auf einer Bahre davon.
Noch ein bisschen verwirrt wegen des Stroms, der noch vor kurzer Zeit durch meinen gesamten Körper gejagt worden war, konnte ein weiterer Sanitäter mühelos auf mich zukommen und meine Stirn verbinden. „Und desinfizieren ist zu viel verlangt?"; murmelte ich mit halb geöffneten Augen. „Dann gibt's diese Woche halt keine Dusche", zischte mein guter Kumpel Jeff wütend. Als alle gegangen waren, lag ich immer noch ein wenig schwach auf dem Boden und atmete zur Hälfte Staub ein. Wenigstens hatte der keine Kalorien.
Bald schon wurde es leise und mir wurde wieder langweilig.
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Poisonous Road
Science FictionRoadkill und die Viper: zwei Namen, die in den USA berühmt-berüchtigt sind. Es heißt, sie wären verrückt und gefährlich, sie könnten nicht bluten, fühlen keinen Schmerz und essen Menschenherzen. Wenn man ihre wahren Namen nennt, ist man schon so...