Roadkill -XI-

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Immer noch mit Teddy in den Armen und die Schlange um den Hals, machten wir uns, ohne nochmals auf Romeo zu achten, auf in unser Zimmer. Dieses kleine Fellknäuel hatte ich wirklich vermisst und es mich anscheinend auch. Julia machte einen kurzen Abstecher in dem Zimmer, in dem Veronica immer noch liegt, um den Händebehälter zu holen, den sie vorhin dort vergessen hatte. Ich beobachtete sie genau, für den Fall, dass sie erneut so erstarren würde wie vorher. Zwar kannte ich sie sehr gut, doch so hatte ich sie noch nie gesehen. Was war da nur in ihr vorgegangen? Der immer noch trauernde Romeo riss mich aus meinen Gedanken und folgte uns die Treppe hinauf, in den Händen ein paar tote Fledermäuse. „Könntet ihr bitte darauf achten, dass eure...Haustiere...nur in eurem Zimmer bleiben? Ich kann nicht auf noch mehr Fledermäuse verzichten." „Das ist nicht ihre Schuld! Sie hatten nur Hunger!", verteidigte Julia sie. „Aber ich hab sie doch gefüttert. Während sie hier waren, haben sie sogar besseres Essen bekommen als ich!" Da ich Romeo mochte und nicht an dem Bankrott seiner Tequilafirma beteiligt sein wollte, versprach ich ihm: „Wir werden dir all die toten Fledermäuse durch Lebende ersetzen." „Danke!", seufzte er erleichtert und schon war der Frieden wiederhergestellt.

In unserem Zimmer angekommen, ließ ich Teddy auf den Boden, der sich sogleich auf dem Bett zusammenrollte. Auch Shaggy schlängelte sich von Julias Schulter und rollte sich neben Teddy zusammen. Die Freundschaft von den beiden konnte ich mir immer noch nicht erklären. Sie war fast so rätselhaft wie die von Julia und mir. Julia stellte die Taschen mit dem Geld, sowie den Handbehälter in die Ecke und holte dann das Kokain aus der Tasche. Nachsichtig auf unsere Tiere herunterlächelnd, verließen wir leise das Zimmer, vor welchem Romeo schon auf uns wartete: „Wo ist das Kokain, das ihr mir versprochen habt?" Anscheinend war er immer noch deprimiert wegen seiner Fledermäuse. Der arme Kerl.

Sogleich warf Julia ihm das Säckchen mit dem weißen Pulver zu und erwiderte: „Und wo ist der versprochene Tequila?" Er lachte: „Überall." Hastig griff er mit der freien Hand hinter einem Blumentopf und zog eine Flasche hervor. Das war also wirklich wortwörtlich gemeint. „Wäre es okay, wenn ich noch ein paar Leute einlade?" „Je mehr, desto besser", lachte Julia und Romeo schnappte sich gleich das Telefon, um mit irgendwelchen „Geschäftspartnern" zu reden. Julia holte sich derweil das Säckchen aus Romeos Hand und riss es über dem kleinen Couchtisch auf, mal abgesehen davon, dass viel davon auf dem Teppich fiel. Sie befeuchtete ihren Finger, steckte ihn ins weiße Pulver und leckte ihn ab. Ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis es bei ihr wirkte, doch ich wusste, dass ich heute gut auf sie achtgeben musste, da sie die nervige Angewohnheit hatte, wenn sie Drogen nahm, wegzulaufen. Was sonst eigentlich nicht so schlimm wäre, aber momentan befanden wir uns auf der Flucht und zwar nicht auf der Flucht vor mir. Auch wenn ich die Tür abschließen würde, gäbe es da immer noch Fenster. Und dann wäre Julias Befürchtung, dass ein Mörder durchs Fenster klettert, gar nicht mehr so weit hergeholt.

„In einer halben Stunde werden ein paar meiner Freunde kommen", lächelte Romeo. Da uns eine halbe Stunde warten zu lang erschien, fingen wir bereits an, bis unsere Münder weiß und unsere Gehirne schon vernebelt waren. Als es stürmisch an der Tür klingelte, war das Kokain auf dem Tisch bereits aufgebraucht, aber wir mussten uns keine Sorgen machen, da unter Romeos Freunden auch der ein oder andere Drogendealer dabei war, der sicher etwas dabeihatte und bereit war, zu teilen. Fünfundzwanzig Minuten später war Romeos kleine Wohnung voller fremder Menschen, die uns immer wieder verstohlene Blicke zuwarfen, doch da sie alle auch irgendwie kriminell waren, befürchtete ich nicht, dass sie uns verpfeifen würden.

Der Alkohol floss in Strömen und die Menschen wurden immer unbekleideter, bis einige bereits anfingen, überall ein wenig rumzumachen. Die Frauen, die anwesend waren, wirkten auf mich vielmehr als Prostituierte, als als Ehefrauen, was vielleicht auch daran lag, dass ihnen immer wieder ein Geldschein zugesteckt wurde. Und ehrlich gesagt, würde ich mit keine dieser Männer freiwillig etwas haben wollen. Überraschenderweise war Julia noch anwesend, jedenfalls körperlich. „Was ist mit dem Geld? Wenn das jemand nimmt?", lallte Julia mir ins Ohr und spuckte mir dabei auch noch ins Auge. „Shaggy und Teddy werden darauf aufpassen." „Und wenn ihnen was passiert?"; hakte sie nach und hängte sich bereits an meinen Arm, dass sie mich beinahe von den Füßen riss. „Es gibt nichts, womit die beiden nicht klarkommen könnten", versicherte ich ihr und tätschelte beruhigend ihren Kopf.

Da wir mitten im Wohnzimmer standen, konnte Romeo uns gleich entdecken und kam mit jemanden an seiner Seite auf uns zu. Ich bekam zwar nicht mehr viel mit, doch ich starrte trotzdem auf die Fremde, die kleiner war als wir. Ihre langen dunkelbraunen Haare waren geglättet und ihre ebenfalls dunklen großen Augen wirkten abwesend. Wahrscheinlich war sie ebenfalls betrunken, bekifft und was weiß ich noch alles. Ihre Haut war gebräunt und die Ähnlichkeit mit Romeo war nicht zu leugnen. Ihr schwarzes Top war bauchfrei und ihr Bauchnabelpiercing glitzerte im spärlichen Licht. Das, was am meisten auffiel, war jedoch der knallrote Lippenstift, der einen großen Kontrast zu ihrer Haut bildete. Dafür, dass ich nicht mehr ganz da war, kam ich dennoch ganz gut mit, als Romeo Anstalten machte, uns die Fremde vorzustellen. Ich nahm Julia beim Arm und zog sie neben mich, doch ihr Kopf drehte sich nur weiter.

„Meine Freunde, das ist meine Schwester Vivian." Durch die laute Musik, die irgendein Depp zuvor angeschaltete hatte, konnte ich ihn nur schwach verstehen, doch das Wort „Schwester" hallte in meinem Kopf wieder. „Du hast eine Schwester?", rief Julia aus. „Und ich einen Bruder", sagte Vivian und lächelte. Irgendwie fand ich sie auf Anhieb sympathisch. „Meine kleine Schwester arbeitet für Fishman, den Drogenboss. Sie wird es irgendwann noch ganz weit bringen!" Stolz lächelte er auf sie herab und sie errötete leicht. Ach, Geschwisterliebe. „Nennt mich Vivi", bot sie herzlich an und reichte uns die Hand. Naja, mir reichte sie die Hand, während Julia immer wieder ihre Hand verfehlte, weshalb sie sich zum Schluss einfach abklatschten. „Ich geh mal ins Bett...mir ist schlecht!", kam es von meiner halbtoten Freundin und ich beschloss, sie bis ins Bett zu bringen. Erst als ich sie zugedeckt hatte, ihr noch einen Kuss auf die Stirn gab, sie die Augen geschlossen hatte und Shaggy es sich auf ihr gemütlich machte, konnte ich sie guten Gewissens alleine lassen.

Die Verbindung zwischen Julia und ihren Schlangen wirkte immer noch ungewöhnlich auf mich, da sie eindeutig von Zuneigung von beiden Seiten sprach. Jedoch konnten Schlangen nicht Gefühle für Menschen entwickeln, sondern sich nur an sie gewöhnen, so wie es ihre Schlangen mit mir taten. Also musste es daran liegen, dass Julia mehr Schlange als Mensch war. Liebevoll lächelte ich, als ich die Tür schloss und machte mich bereit, noch mehr zu trinken, als mich Romeos Stimme drängte: „Roadkill, komm mal schnell her! Das musst du sehen!" Neugierig stapfte ich ins Wohnzimmer, da ich nicht wusste, was ich noch sehen sollte. Außerdem war die Musik aus und alle Menschen sehr leise. Romeo deutete stumm auf den inzwischen eingeschalteten Fernsehbildschirm.

Eine Nachrichtensprecherin stand vor dem Alcatraz und sprach: „Heute, am 25. Juni 2020, konnten zwei der gefährlichsten Verbrecherinnen der USA, aus dem Alcatraz-Gefängnis fliehen! Wir fordern größte Vorsicht im Umgang mit den Flüchtigen und bitten jeden, der Hinweise hat, sich unverzüglich bei der unten eingeblendeten Hotline zu melden." Sie blendeten unsere zwei Einweisungsbilder ein, wobei Julia das Namensschild ableckte. „Zu unser aller Glück ist Deathless bereits auf der Suche nach den beiden, nachdem die Polizei ihre Spur nach der Explosion der Golden Gate Bridge verloren hat und wie wir wissen, wird er uns nicht enttäuschen. Kommen wir nun zurück zu Daniel ins Studio!"

Der Fernseher wurde ausgeschaltet und ich rief entrüstet: „Was heißt hier „zwei der gefährlichsten"?!" In Gedanken jedoch war ich aufgeregt, dass Deathless, der unsterbliche Superheld, auf unserer Spur war. Das würde die Flucht um einiges komplizierter machen. Noch immer sagte keiner ein Wort und starrten mich noch mehr an, als vorhin schon. Ich beschloss, ins Bett zu gehen, damit wir morgen zeitig starten konnten.

Als ich im Zimmer war, wollte ich das Licht nicht anmachen, um Julia nicht zu wecken. Julia hatte sich anscheinend unter der Decke zusammengerollt. Ein Grunzen ließ mich wissen, dass Julia doch noch wach war und ich setzte mich auf die Bettkante: „Morgen müssen wir bald starten. Deathless ist uns auf der Spur. Ich bin froh, dass du dieses Mal nicht abgehauen bist. Das können wir uns gerade wirklich nicht leisten." Ein Luftzug wehte mir durch die Haare und ich starrte zum Fenster. Es war sperrangelweitoffen. Ich starrte noch mal auf die Beule unter der Decke und riss die Bettdecke zurück. Teddy sprang überrascht auf und war Shaggy von seinem Rücken. Julia war nirgends zu sehen. Fassungslos rannte ich ans Fenster und blickte in die dunkle Gasse, die an das Fenster grenzte und leicht von den Laternen beleuchtet wurde. Doch Julia war weg. Wo zum Teufel war sie nur?

Poisonous RoadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt