Nachdem mein Hals vom Singen ganz rau geworden war, wandte ich mich an Roadkill, die das Lenkrad fest umklammerte: „Hast du zufällig ein Halsbonbon?" „Schau im Handschuhfach nach", riet sie mir und heftete ihren Blick wieder auf die Straße. Sie fuhr wirklich schnell, doch für mich war es nicht schnell genug. Die spärliche Küstenvegetation raste nur so an uns vorbei. Ich öffnete das Handschuhfach und allermögliches Zeug fiel mir in den Schoß. Darunter eine kleine Damenpistole, die wirklich feminin aussah. Sogar femininer als Roadkill. Außerdem befanden sich darunter auch die Fahrzeugpapiere, die ich vorerst beiseitelegte, ein bereits verfallenes Kondom, welches ich sofort einsteckte, ein Säckchen Kokain, welches noch relativ gefüllt war und ich in mein Täschchen stopfte(dafür musste immer noch Platz sein), Tempos, eine CD von Justin Biber, die ich unverzüglich aus dem Fenster schmiss(besser gar keine Musik, als Justin Biber) und zu guter Letzt eine halbleere Schachtel grüner Minzbonbons. Vorsichtig holte ich mir zwei der Bonbons aus der Schachtel und steckte sie mir in den Mund. Der Minzgeschmack verbreitete sich augenblicklich in meinem Mund und führte zu einem minzig-frischen Atem. Wie in den Werbungen atmete ich laut aus und lehnte mich zurück.
Der ganze Wagen war wirklich luxuriös, von den ledernen Sitzen, bis zu der enormen Beinfreiheit. „Hast du irgendetwas Brauchbares gefunden?", kam es von der Seite. „Nur ein Säckchen Kokain. Das wird uns heute den Abend versüßen!" Ohne die Fahrzeugpapiere zu beachten, stopfte ich den Kram wieder in das Fach und konzentrierte mich besser auf die Straße, als wenn ich fahren würde. Meine Freundin warf mir nur einen schnellen Blick zu, sagte jedoch nichts wegen des Kokains. Naja, mehr für mich. „Wo hast du eigentlich diesen Kratzer her?" Lächelnd erwiderte ich: „Mir war langweilig." Augenrollend wechselte sie das Thema: „Freust du dich schon darauf, Romeo wiederzusehen?" „Wie könnte ich diesen verrückten, liebenswerten, alkoholabhängigen Mexikaner nicht lieben? Natürlich freue ich mich. Und du?" „Klar." Sie lächelte, als hätte sie etwas zu verbergen, doch mir war es im Moment relativ egal. Wenn es etwas Wichtiges wäre, würde sie es mir schon erzählen. Außerdem mochte ich Überraschungen.
„Wir werden bald da sein. Richtest du schon mal unsere Sachen her?" „Natürlich, Boss!", salutierte ich. Zuerst griff ich nach meinem Täschchen, Roadkills Ruckssack und den Behälter mit Thomas' Hand. „Was hast du denn in diesem Kühlbehälter?" Stolz öffnete ich den Deckel und hob die gekühlte Hand heraus, die Roadkill aus dem Augenwinkel und einer gehobenen Augenbraue begutachtete: „Musstest du sie wirklich mitnehmen?" „Ja, wie will ich denn sonst einen Handbaum pflanzen?" „Hanfbaum?", fragte Liz nach. „Nein, nein. HANDbaum." „Du weißt schon, dass Hände nicht wachsen? Jedenfalls nicht in diesem Sinn?" „Bei mir wird sie wachsen. Ich werde sie mit Blut gießen." „Aber nicht mit deinem. Wir wollen den Handbaum doch nicht vergiften." „Deswegen wollte ich dich fragen..." „Du willst doch auch nicht, dass der Baum in die Luft fliegt. Ich kann dir doch welches aus meinem Folterraum geben." „Ja, das wäre perfekt", strahlte ich. „Aber nicht B+...das gehört mir. Und ich teile nicht. Nicht einmal mit meinem Handbaum." Eine Weile sagte keiner von uns beiden was, während ich die Hand wieder im Behälter verstaute. „Du...wie wäre es überhaupt mit einem Hanfbaum?", unterbrach ich die Stille und wir lachten. Kurz darauf erhob sich die Großstadt San Jose direkt vor unseren Augen. Sie sah aus wie eine typische, kalifornische Großstadt an der Küste. Ein Ort zum Urlaub machen.
„Wir fahren direkt ins Glenmorangie. Er weiß ja nicht, wie spät wir heute kommen wollten." Ich konnte nur nicken, weil ich mich innerlich so sehr freute, in die beste Tequilabrennerei der Stadt, wenn nicht des ganzen Landes, zu fahren. So freute ich mich eindeutig mehr auf den Alkohol als auf Romeo, doch er würde das verstehen. Immerhin hatte er seine gesamte Familie bestohlen, um an das Startkapital für die Brennerei zu kommen. Die Atmosphäre erinnerte mich so sehr an San Francisco, dass ich schon damit rechnete, gleich wieder verfolgt zu werden. Die Hochhäuser säumten die Straßen und ab und zu war eine Grünanlage zwischen den grauen Betonklötzen. Meine Schlangen, sowie ich, würden sich hier eindeutig nicht wohlfühlen. Irgendwann bog Roadkill links in eine Einfahrt ein und hielt mit quietschenden Bremsen in der Ladezone vor der Brennerei. Ein gigantisches, buntes Schild wies das nachkommende Gebäude als „Glenmorangie" aus. Zeitgleich stiegen wir aus und Roadkill begann, sich auszurüsten. Mein Täschchen legte ich mir um, während Liz dabei war, sich ihren Dolch um die Seite zu schnallen und die Pistole in die innere Jackentasche zu stecken. Ihre schwarze Daniel Wellington Uhr schnallte sie sich ums rechte Handgelenk, in dessen Gehäuse sich ein kleiner Vorrat Schießpulver befand. Nur für den Notfall. Als sie fertig war, knallte auch sie die Tür zu. Sie war eindeutig nicht für dieses Wetter angezogen, dachte ich mit Blick zum blauen Himmel, doch ihr schien es nichts auszumachen.
Der Asphalt war warm unter meinen nackten Füßen. „Lassen wir das andere Zeug im Auto." „Und was ist mit der Hand? Was ist, wenn sie jemand stehlen will?" Ernst schaute Roadkill mir über das Autodach in die Augen: „Es wird niemand wissen, dass eine abgetrennte Hand in diesem normal aussehenden Behälter steckt. Keine Sorge." „Aber ich warne dich, wenn diese hier weg ist, besorg ich mir eben eine Neue! Nicht, dass du dann meckerst!", drohte ich ihr mit erhobenen Zeigefinder. „Mach das." Zusammen hielten wir auf die Tür zu, die uns im wahrsten Sinne des Wortes ins Paradies geleitete. Drinnen angekommen, begrüßte uns geschäftiges Treiben und der durchdringende Geruch von frischem Tequila schlug uns entgegen. Kaum hatten wir drei Schritte getan, klebten die Blicke sämtlicher Arbeiter auf uns. Wir fielen eindeutig auf und ich konnte nicht sagen, dass mir das missfiel. Ohne uns um die anderen zu kümmern, passierten wir die Kisten, mit den Rohzutaten, Brennkessel und vieles weitere, was half, Gottes Werk zu vollenden. „Sind sie das wirklich? Ich dachte, man hätte sie geschnappt!" „Na klar sind sie das. Sind schwer zu verwechseln, aber sei still, sie könnten uns hören!" Das Geflüster neben mir schmeichelte mir auf interessante Art und Weise und ich stolzierte plötzlich mit hocherhobenem Kopf weiter, was barfuß nicht besonders leicht war.
Roadkill warf mir nur wieder einen ihrer Blicke zu, sagte jedoch nichts. Am Ende des Ganges führte eine stählerne Wendeltreppe nach oben in Romeos Büro. Zwar war ich lang nicht mehr hier gewesen, dennoch kannte ich Romeos Hang zur Machtdemonstration noch sehr gut. Nun, wo wir auf dem Weg waren, erinnerte er sich hoffentlich, dass er in der Hierarchie unseres Netzwerkes (so wie jedes menschliche Wesen) unter uns stand. Roadkill erklomm die Treppe vor mir, welches mir die perfekte Gelegenheit gab, ihr kräftig auf den Arsch zu schlagen. Aufgedreht lachte ich, doch Roadkill seufzte nur. Sie war das gewohnt. Dank der Glasfront von Romeos Büro, welche eine gute Sicht über die ganze Fabrik bot, konnte der gute Mann uns sogleich entdecken und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Meine Freunde, Roadkill und die Viper!", rief er aus und öffnete dich gläserne Tür. „Wie schön, dass ihr schon hier seid." Liz schaute auf ihre Uhr und auch ich konnte einen Blick erhaschen. Halb sechs. Wir waren wirklich schnell gewesen. Überschwänglich umarmte ich den Mexikaner und er tätschelte mir freundschaftlich den Rücken. Selbst Roadkill umarmte ihn und kleines Lächeln stahl sich auf ihr entstelltes Gesicht. „So, was kann ich zuerst für euch tun?", fragte er mit einem freundlichen Lächeln. Es bildete sich ein Grübchen auf seiner Wange, seine Augen leuchteten und seine dunklen Locken umrahmten sein Gesicht. Er war wirklich ein süßer, kleiner Kerl. Da ich mich schon die ganze Fahrt über auf seine Brennerei gefreut hatte, meinte ich: „Wie wär's mit einem Begrüßungsshot?" „Für euch, habe ich sogar zwei", zwinkerte er mir zu und ich lachte. „Deswegen kann ich dich so gut leiden", klopfte ich ihm auf die Schulter. Schnell drehte er sich zu seinem Schreibtisch um, auf dem natürlich bereits eine Flasche stand und zog sechs Gläser aus einem Kasten hinter seinem Schreibtisch hervor. Aus einer der Schreibtischschubladen holte er einen Salzstreuer und einige Zitronenscheiben. Er war echt auf alles vorbereitet. Behände schüttete er das hochwertige Gesöff in die Gläser und kameradschaftlich stellten wir uns neben ihn.
„Arriba, abajo, al centro y a dentro!" Keiner von uns beiden wusste genau, was es bedeutete, doch wir wussten, dass es ein typischer mexikanischer Tequilatrinkspruch war. Nachdem wir die Shots geext hatten, waren wir alle noch besser drauf. „Sag mal, Romeo. Was hast du eigentlich mit der Kleinen gemacht?" Ich seufzte, da sich das Gespräch nun wieder auf Geschäftliches konzentrierte. Die Kleine...damit war Thomas' Tochter gemeint. Wir hatten Thomas' Tochter, Thomas' Schlüssel, Thomas' Hand...ein Wunder, dass er überhaupt noch etwas besessen hatte. Romeo grinste: „Ich hab sie bei mir zu Hause eingesperrt. Mir kam es nicht richtig vor, ein minderjähriges Kind in eine Alkoholbrennerei mitzunehmen!" Ich staunte über sein Taktgefühl. „Ist sie bei dir auch sicher aufbewahrt?" „Klar, sie ist nicht die Erste, die ich bei mir zu Hause gefangen halte." Roadkill wirkte beruhigt. „Und wo hast du den Rest?", murmelte Liz. „Auch bei mir zu Hause. Ich lade euch zum Abendessen ein. Es gibt eine mexikanische Spezialität." Geheimnisvoll lächelte er. „Noch mehr Tequila?", fragte ich verwirrt, dennoch in freudiger Erwartung. Romeo lachte: „Nein, Tacos."
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Poisonous Road
Science FictionRoadkill und die Viper: zwei Namen, die in den USA berühmt-berüchtigt sind. Es heißt, sie wären verrückt und gefährlich, sie könnten nicht bluten, fühlen keinen Schmerz und essen Menschenherzen. Wenn man ihre wahren Namen nennt, ist man schon so...