Ich bin schon lange nicht mehr getragen worden, obwohl ich Liz immer wieder darum bat. Sie war jedoch der Meinung, dass ich zu schwer für sie sei. Also hatte sie mich auch noch „fett" genannt. Tolle Freundin. Mein Kopf hing von einem muskulösen Arm runter umd ich sah, wie Autos immer wieder an uns vorbeifuhren. Wenigsten hatte die Welt aufgehört, sich zu drehen und die Farben waren auch wieder so, wie sie sein sollten. Ich würde mich ja wundern, wieso ich getragen wurde, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass ich es verdient hätte. Doch die Frage, wer mich da trug, beschäftigte mich lange genug, sodass ich letztendlich die Kraft fand, den Kopf ein wenig zu heben. Doch bevor ich in das Gesicht meiner Sänfte blicken konnte, traf mich ein Wassertropfen ins Auge.
Nachdem ich mir das Gesicht gewaschen und abgetrocknet hatte, trottete ich zurück in das Zimmer, welches ich mir mit vier anderen Mädchen teilte. Das einzige, was mich dazu brachte, hier durchzuhalten, war ohne Zweifel meine einzige Freundin. Als ich mich auf mein Bett setzte, musste ich daran denken, Shaggy, den ich unter den losen Dielenbrettern versteckte, zu füttern. Es würde wieder Haferflocken geben. Nicht das, was eine Schlange eigentlich brauchte, aber wenn ich es ihm brachte, aß er es dennoch. Unsere Verbindung war schwer zu beschreiben. Ich würde es ja Liebe auf den ersten Blick nennen, wenn ich an so was Lächerliches wie Liebe glauben würde. Als ich gerade zu meinem Buch greifen wollte, hörte ich das Gekicher der anderen beiden Mädchen am einen Ende unseres Zimmers. Ich wusste genau, über was sie lachten, nämlich über mich. Die grünen Haare, die Schlitzaugen,...das war so abnormal, dass man nur darüber lachen konnte. Im gleichen Moment öffnete sich die Tür mit einem Knall, worauf Kim und Anna einen Satz machten. „Kannst du nicht vorsichtiger sein? Es gibt Kinder, die schon schlafen wollen", giftete Anna Liz an, die nicht den Anschein machte, als würde sie auf irgendjemanden Rücksicht nehmen. Konnte ich gut verstehen, immerhin war sie gerade wieder zur Heimleiterin zitiert worden. Missmutig warf sie den beiden einen giftigen Blick zu und trottete grimmig auf das Bett neben dem meinen zu. Da ich auch gerade keine Lust auf Konversation hatte, ließ ich das grimmige Mädchen grimmiges Mädchen sein und widmete mich wieder meinem Buch. Nach einiger Zeit einigten wir uns alle stumm darauf, schlafen zu gehen und das Licht wurde gelöscht.
Bereits im Halbschlaf, bemerkte ich das leise Klopfen beinahe nicht. Anders als Liz, die immer einen eher leichten Schlaf hatte. „Was soll das denn jetzt?", grummelte sie vor sich hin. Kurz verstummte es, bis es, etwas lauter diesmal, wieder anfing. Jemand schmiss eindeutig was gegen unser Fenster. Seufzend stand ich auf und taumelte halb schlaftrunken zum Fenster. Ich erschrak, als erneut ein kleines Steinchen das Fenster traf. Verwundert öffnete ich es und blickte starr in die Dunkelheit, in der Hoffnung, etwas oder jemanden zu erkennen. „Was ist da los?"; erkundigte sich Kim wütend. „Ich hab keine Ahnung", zischte ich zurück, als mich im gleichen Zeitpunkt ein Steinchen an der Stirn traf. „Aua", beschwerte ich mich und rieb mir die Stirn. „Julia?", rief eine männliche Stimme von unten, die ich nicht kannte. „Ist das dein heimliches Verehrer?", spöttelte Kim. „Wenn ja, dann ist mein heimlicher Verehrer so heimlich, dass ich nicht mal selbst von ihm weiß." „Julia, wer ist das?", kam es nun auch von Liz. Ich zuckte nur mit den Schultern und rief nach unten: „Wer ist da?" „Damien Wilde...vom Zoo!"
Das Bild von einem jungen und rotblonden, recht hübschen jungen Mann kam mir ins Gedächtnis. Er arbeitete im gleichen Zoo, in dem ich mich gelegentlich um die Reptilien kümmerte. Als Koch in einem der zahlreichen Zoorestaurants war er mir schon öfter aufgefallen, weil...wie soll ich sagen...ich liebe Essen. „Was machst du hier?", fragte ich in angemessener Lautstärke. „Ähm...ich wollte dich auf ein Date entführen?" „Und bei Tageslicht bin ich dir wohl zu hässlich, was?" „Ja, nur bei Tageslicht", schnaubte Anna, die inzwischen ebenfalls erwacht war. Sein Lachen hallte bis zu mir nach oben: „Nein, aber in der Nacht kann man die Sterne sehen." Das war ein gutes Argument, obwohl ich von Zeit zu Zeit auch Sterne sah, wenn ich zu tief ins Glas geschaut hatte. Aber das konnte man eindeutig nicht vergleichen. Inzwischen stand Liz neben mir: „Was hast du jetzt vor?" Ohne auf ihre Frage zu antworten, wartete ich gespannt auf seinen nächsten Zug. „Und, was sagst du?" „Ich komme. Aber ich muss springen", warnte ich ihn im Anbetracht des Fensters im ersten Stock. „Als würde dir noch ein weiterer Schlag auf den Kopf so gut tun": Anna. „ Wenn du unten ankommst, roll dich ab": Liz. „Warte, was?!": Damien. Doch ich hörte sie alle zu spät, denn ich war schon gesprungen. Ich hätte mich wirklich abrollen und nicht so springen sollen, als wäre ich auf einem Sprungbrett. Mein Kopf donnerte heftig aufs Gras und mir wurde kurz schwarz vor Augen. „Julia!", tönte es von allen Seiten, bis ich mich in seinen Armen wiederfand. „Ich hab mir gar nicht wehgetan", murmelte ich benommen. „Leg mich nur auf eine Bank." „Ich bring sie vor dem Morgengrauen zurück", versicherte Damien Liz. Sie würde sicher dafür sorgen oder besser gesagt, ihnen drohen, damit Kim und Anna mich nicht verrieten. Am Himmel braute sich ein Gewitter zusammen und die Wolken begannen, die Sterne zu verdecken. „Lügner", flüsterte ich Damien zu.
„Was?", kam es von der Gestalt, die mich trug. Es war peinlich, dass ich meine Vergangenheit so sehr mit der Gegenwart verflochten hatte. Vor allem, wenn man bedachte, dass mir dieser Damien nie etwas bedeutet hatte. Obwohl er ein echt hübscher Kerl gewesen war, bevor er gestorben war. Und vielleicht selbst dann noch. Ich stellte mich wieder schlafend, damit ich der grusligen Gestalt nicht antworten musste. Zum Teil war ich mir sicher, dass er der Mörder war, vor dem ich Liz immer gewarnt hatte. Nur, dass ich durchs Fenster gekommen war. Der Typ schien nicht weiter nachzuhaken und wanderte weiter mit mir auf den Armen. Ich wusste, dass ich mich eigentlich wehren sollte, doch einerseits war ich noch ziemlich benommen und andererseits hatte ich inzwischen so lange keinen Sex mehr gehabt, dass es für mich nicht übermäßig schlimm wäre, vergewaltigt zu werden. Außerdem war der Typ ziemlich groß und ich bezweifelte, dass sich seine Größe nur auf seine reine Körpergröße beschränkte.
Eigentlich müsste ich in seinen Armen ziemlich herumgeschleudert werden, doch ich spürte die Bewegungen kaum. Er musste ziemliches Muskeln haben. Muskeln, die sich in meinen Rücken bohrten und dennoch fühlte ich mich geborgen und plötzlich wollte ich seine Arme nie wieder verlassen. Doch kurz darauf, bevor es richtig zu regnen beginnen konnte, trug er mich unter ein Dach. Dem Geruch nach Abgasen nach zu urteilen, befanden wir uns in einem Parkhaus. Der perfekte Ort für eine Vergewaltigung plus gratis Sextape, wenn man die Sicherheitskameras bedachte. Vorsichtig legte der Mann mich auf eine raue Oberfläche, die sich anfühlte, wie die Ladefläche eines Pick-ups. Woher ich das so genau wusste? Ich war schon in bzw. auf mehreren Autos gelegen. Ich hielt die Augen noch fest geschlossen. Das erschien mir sicherer. Neugierig strich er mir meine Haare aus dem Gesicht, so als wollte er sichergehen, ob ich wirklich die Person war, die er suchte.
„Du hast eine echt besondere Haarfarbe. Wie bist du darauf gekommen, sie so zu färben?", erkundigte sich Damien, während er mit einer meiner Haarsträhnen spielte. Ich wusste nicht, wie lange wir bereits auf der Picknickdecke lagen, die er bereits Stunden zuvor im Central Park ausgebreitet hatte. Natürlich durften eine Flasche Wein(weißer, wohlgemerkt) und einige Snacks nicht fehlen. „Das war nicht meine Entscheidung, sondern die meiner Eltern." Er runzelte die Stirn, doch er schien zu merken, dass ich nicht darüber reden wollte. Es schockierte mich bereits die ganze Zeit, wie ehrlich ich zu ihm war. Auch, wenn ich ihm noch lang nicht alles erzählte, war ich doch bei dem, was ich erzählte, immer bei der Wahrheit geblieben. Ich wusste zwar noch nicht, was genau ich von ihm halten sollte, aber ich mochte ihn auf eine Art und Weise, die ich nicht erklären konnte.
Er schaute mir so sehr in die Augen, dass ich nicht anders konnte, als zurückzuschauen. Eigentlich vermied ich soweit es ging jeglichen Augenkontakt, doch es war irgendwie hypnotisierend. Seine Augen waren von einem warmen Schokoladenbraun mit einzelnen goldenen Sprenkeln darin. „Deine Augen sind das Schönste an dir...vor allem, weil ich mich darin spiegle." Da sein Humor dem meinen sehr ähnlich war, lachte er darüber, wobei sich ein Grübchen auf seiner rechten Wange bildete. Seine Haut sah extrem weich aus. So weich, wie keine Männerhaut sein sollte und kein einziger Pickel, oder gar Furunkel , entstellte sein Gesicht. Selbst seine Stirn, die Problemzone vieler Jugendlicher, war glatt wie Alabaster, wobei diese von einigen seiner hellen Haare verdeckt wurden. Ich wusste, dass er für mich im Moment perfekt aussah, aber es in Wirklichkeit keinesfalls war. Nur war ich noch nicht in der Lage, seine Fehler zu sehen. Und dessen war ich froh. Mein ganzes Leben war ich mit der harten Realität konfrontiert worden. Da waren so ein paar Momente in dieser schützenden Seifenblase eine Wohltat. Sein Gesicht war meine so nah, dass ich dachte, er würde mich küssen.
Doch stattdessen starrte er mich nur an. Und nun konnte ich endlich sein Gesicht erkennen. Mehr als die Hälfte davon war vollkommen entstellt. Es waren nicht viele kleine Narben, sondern eine einzige, die sich über seine rechte Gesichtshälfte zog. So als wäre sein Gesicht von innen aufgebrochen und das innere rohe Fleisch wäre wieder über sein Gesicht gewachsen. Und sie war einfach nur ekelerregend und das sagte ich, der nie irgendetwas zu eklig war. Sein rechtes Auge war weiß und offensichtlich blind, doch sein anderes bedachte mich mit einem stechenden Blick. Seine Nase war so krumm, dass sie wahrscheinlich schon öfter gebrochen und nie ganz verheilt war. Seine Haare waren schwarz, so wie die Kampfmontur, die er trug, die schon einer Uniform gleichkam. Das Gesicht war so bekannt, wie das von Roadkill und mir. Und mindestens ebenso furchterregend. Schlussendlich hatten die Drogen und der Alkohol keinen Einfluss mehr auf mich und ich murmelte erstaunt: „ Deathless!"
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Poisonous Road
Sci-fiRoadkill und die Viper: zwei Namen, die in den USA berühmt-berüchtigt sind. Es heißt, sie wären verrückt und gefährlich, sie könnten nicht bluten, fühlen keinen Schmerz und essen Menschenherzen. Wenn man ihre wahren Namen nennt, ist man schon so...