Roadkill -IX-

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Kaum waren wir in Romeos kleinem Haus angekommen, begab er sich zuerst in die Küche, um die Tacos zuzubereiten, damit er sie sogleich in den Ofen schieben konnte. Wir setzten uns währenddessen auf das grüne Sofa im offenen Wohnbereich, der direkt an die Küche angrenzte. An den Wänden hingen verschiedene Auszeichnungen für seine Brennerei, sowie verschiedene berühmte Persönlichkeiten, die alle bereits seine Brennerei besucht hatte, uns eingeschlossen. Da wir in seinem Haus nicht besonders gut auskannte, warteten wir darauf, dass Romeo zurückkam, bevor wir Anstalten machten, den Raum zu verlassen. Die verschiedenen Topfpflanzen, die in den Ecken mehr schlecht als recht gediehen, ähnelten der allseits beliebten Hanfpflanze. Auch, da ein unverwechselbarer Geruch von ihnen ausging. Egal, wie normal wir auf diesem gewöhnlichen Sofa aussahen, wir würden es nie sein. Und genau das war es, was ich an uns am meisten mochte.

Julia hatte ihren Blick fest auf eine der Hanfpflanzen geheftet, sodass es mich nicht wunderte, als sie Romeo, der immer noch in der Küche herumhantierte, zurief: „Du, Romeo, verkaufst du deine Hanfpflanzen auch?" „An Freunde doch immer!", rief dieser zurück und kurz darauf erklang ein lautes Scheppern. Anscheinend hatte er länger Arbeit als gedacht. „Darüber reden wir später", flüsterte ich Julia zu. „Ihr könnte doch währenddessen zur Kleinen gehen. Ich werde noch ein wenig brauchen und komme dann nach. Ihr müsst die Trepper runtergehen und dort die erste Tür rechts nehmen. Der Schlüssel liegt auf dem Türrahmen!" Eine kurze Pause trat ein, bis er sich erinnerte, dass wir heute bei ihm übernachten würden. Die Polizei würde automatisch davon ausgehen, dass wir in so kurzer Zeit wie möglich so weit weg wie möglich fliehen würden. 

„Euer Gepäck könnt ihr inzwischen im Gästezimmer ablegen. Einfach den Gang entlang die zweite Tür links. Tut mir leid, aber ich hab nur ein Doppelbett." „Geht in Ordnung." „Vielleicht lassen wir dir was übrig. Wenn du dich beeilst", lachte Julia hämisch. Mit unseren Sachen, die man eigentlich nicht wirklich als „Gepäck" bezeichnen konnte, folgten wir der Wegbeschreibung und fanden uns schon bald in einem unauffälligem Schlafzimmer mit cremefarbenen Wänden wieder. Wir ließen unsere Sachen in einer Ecke liegen, weil keine von uns groß Lust hatte, auszupacken. Das Bett lag direkt an der Wand unter einem kleinem Fenster. Es war zwar wirklich nur ein Doppelbett darin, doch es war ziemlich groß, sodass zwei Julias und zwei Ichs hineinpassen würden. Doch wie ich Julia kannte, würde sie sich bestimmt ganz nah an mich ankuscheln. Bei einer etwas weniger giftigen Freundin würde es mir nicht so viel ausmachen, obwohl ich nicht der größte Fan von Körperkontakt bin.

Durch das quadratische Fenster konnten wir nur die Straße und die Nachbarshäuser sehen, die viel größer waren, als Romeos Haus. Alles in allem nicht annähernd so reizvoll, wie die Unterkünfte, die wir ansonsten gewohnt waren. „Endlich Ferien!", reif Julia aus und warf sich sogleich auf die Bettseite, die am Fenster war: „Ich schlaf an der Wand! Falls ein Mörder kommt." Ohne zu fragen, wieso, erkundigte ich mich nur: „Und was machst du, wenn der Mörder durchs Fenster kommt?" Julias Gesicht verfinsterte sich: „Lass mir meine Illusion der Sicherheit!" Lachend erwiderte ich: „Tut mir leid. Und wir haben keine Ferien. Wir werden sehr lange keine Ferien mehr haben, wenn alles nach Plan läuft. Und dessen sollten wir uns nicht beschweren." „Unsere Arbeit ist für mich wie Ferien. Und die Berufsberaterin aus der vierten Klassen meinte immer, ich würde nie erfolgreich werden." Nachsichtig lächelnd sagte ich: „Los, kümmern wir uns um die Kleine!"

Voller Elan sprang sie wieder vom Bett auf und schnappte sich nur den Kühlbehälter. Da wir unsere Messer bei uns trugen, konnten wir auf die Pistolen getrost verzichten. Aus Rücksicht zu Romeo würde ich keine Explosion verursachen. Der Gang, den wir entlanggingen, war ziemlich kurz und schon bald trafen wir auf eine steinerne Treppe, die in den Keller führte. Dank des Platzmangel fragte ich mich immer mehr, wo er unsere restlichen „Sachen" untergebracht hatte. Vor der richtigen Tür, streckte Julia sich, um auf den Türrahmen gelangen zu können und hielt plötzlich einen kleinen bronzenen Schlüssel in der Hand. „Ich bin so aufgeregt. Das ist ja wie an Weihnachten!", rief Julia aus und steckte den Schlüssel ins Schloss. Kühle Luft wehte uns entgegen, als wir durch den schmalen Türspalt schlüpften. Der Raum war nur spärlich mit einer kleinen Glühbirne von oben beleuchtet, was vielleicht auch besser so war. Ich wollte nicht wissen, welche Viecher sich in den Ecken versteckten. Klischeehaft unter der nackten Glühbirne saß Veronica auf einem Stuhl gefesselt.

Ihre hellen Haare waren gar nicht mehr so hell. Ob dies nun vom Dreck oder vom inzwischen getrocknetem Blut von der Platzwunder auf ihrem Kopf stammte, war schwer zu sagen. Wahrscheinlich von allem zusammen. Auf ihren Wangen zeichneten sich deutlichen Tränenspuren ab und sie hob den Kopf nicht, als wir näher traten, sondern versteifte sich bloß und kniff die Augen fest zusammen. Der Klebestreifen auf ihrem Mund verhinderte, dass sie nach Hilfe schreien konnte, auch wenn ich bezweifelte, dass sie jemand hören würde. Julia stellte die Box auf den Boden und ich glaubte, Tränen des Mitleids in ihren Augen zu sehen. Verblüfft fragte ich sie: „Weinst du etwa?" Es war das Letzte, was wir jetzt brauchen konnten, wenn sie ausgerechnet jetzt ihre Menschlichkeit wiederfinden würde. Schniefenden wischte sie sich mit der Faust über die Augen: „Ja...ich war schon lange nicht mehr so glücklich!" Ich lächelte. Das war schon eher die Viper, die ich kannte. Julia hockte sich vor die Kleine hin und streichelte beruhigend ihr Knie. Das Kind versuchte ohne Erfolg verzweifelt, Julias Berührung auszuweichen und begann vor Furcht, hysterisch zu weinen. Ich rollte mit den Augen und riss ihr mit einem Ruck den Klebestreifen vom Mund. Sogleich begannen ihre trockenen Lippen zu bluten, doch das schien ihr gar nicht mehr aufzufallen. Mir fiel auf, wie Julia das Blut der Kleinen mit einem beinahe schon hungrigem Blick betrachtete, wie es langsam von ihrem Kinn tropfte. Konnte es wirklich sein, dass sie ihre Blutgruppe erschnüffeln konnte?

 Langsam streckte sie einen Finger aus und fing einen der Tropfen auf, bevor er den Boden berühren konnte. Blitzschnell leckte sie ihren Finger ab und lächelte: „Ein kleiner Snack zwischendrin." Das Mädchen wurde nur noch hysterischer und unverständliche Worte quollen zwischen ihren Schluchzern hervor, bis ich etwas verstehen konnte: „Ich will zu meinem Daddy!" Julia, welche diese Bitte scheinbar vorausgeahnt hatte, öffnete den Kühlbehälter und holte die Hand heraus. Ihre Worte: „Aber dein Daddy ist doch hier...jedenfalls ein Teil von ihm", gingen beinahe in dem Kreischen von Veronica unter. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit erreichen wollte, aber manchmal wünschte ich mir wirklich, in ihr krankes Gehirn sehen zu können. Da die Kleine nicht so wirkte, als würde sie sich nicht eher beruhigen, bis dass die Hand verschwunden war, flüsterte ich Julia zu: „Pack sie besser wieder ein. Ich kann das Geschrei nicht ausstehen." Artig warf sie die Hand zurück in den Behälter und schloss diesen. Während ich auf das Mädchen herabblickte, hockte Julia immer noch auf Augenhöhe vor ihr. Eine neue Folge von fieser Cop und verrückter Cop.

 „Also, Veronica, weißt du, wieso du hier bist?", säuselte ich mit süßer Stimme. Sie zitterte so sehr, dass ich nicht sagen konnte, ob sie nickte oder den Kopf schüttelte. „Es ist unhöflich, Erwachsenen nicht zu antworten. Ich frage dich nochmal, weißt du, wieso du hier bist?" „Ich weiß doch nicht mal, wieso sie hier ist", unterbrach Julia. „H-h-hat es w-w-was mit D-daddy zu tun?", kam es schließlich aus ihrem Mund. Beeindruckt nickte ich: „Ja, genau. Du scheinst ein kluges Mädchen zu sein. Bist du ein kluges Mädchen, Veronica?" Zum ersten Mal blickte sie auf und sah mich mit ihren kornblumenblauen Augen direkt an. Meine Narbe schien sie nicht so sehr zu schockieren wie Julias blaue Augen, die, dank den Schlitzpupillen, einer Schlange ähnlicher waren, als einem lieb war. Ich war dennoch beeindruckt, dass dieses kleine, schwache Mädchen, welches eindeutig Angstzustände durchmachte und nur noch neun Finger hatte, es wagte, mich direkt und ohne mit der Wimper zu zucken anzusehen. „Ja, ich bin die Beste in meiner Klasse!" „Naja, du warst die Beste in deiner Klasse", verbesserte Julia. Nun zitterte die Kleine doch. Julia schaffte es auch immer und immer wieder. Eine ihrer vielen liebenswürdigen Eigenschaften.

 „Oh, das ist aber schade...weißt du denn, wieso?" Ermutigend lächelte ich sie an. „N-nein"; flüsterte sie mit wackelnder Stimme. Ihr Mut schien so schnell zu schwinden, wie er gekommen war. „Hmmm...es ist nämlich so, dass kluge Mädchen wie du sich an Dinge erinnern...an Orte und an Gesichter. Orte und Gesichter, die sie eigentlich vergessen sollte." Bevor sie noch irgendetwas sagen oder um Gnade flehen konnte, was ich eigentlich am Liebsten hatte, wenn ich Leute verhörte, hatte Julia bereits eines ihrer Messer gezogen und die Kehle des Mädchens durchgeschnitten. Mit gurgelnden Geräuschen quoll das Blut nicht nur aus der Wunde, sondern auch aus ihrem Mund. Wenigstens hielt Julia Abstand von dem Blut, welches dann floss. „Hmm...das riecht gut!" Verwirrt, da ich schon lange aufgegeben hatte, in Julias Gegenwart verstört zu sein, hakte ich nach: „Meinst du das Blut?" „Aber nein, für was hältst du mich? Ich meinte die Tacos!" Während wir uns zur Tür umdrehten, um Romeos Tacos zu verschlingen, hörten wir hinter uns den letzten Atemzug des siebenjährigen Mädchens.

Poisonous RoadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt