Einige Minuten lang setzten Tama und Midori abwechselnd ihre Steine, während Yui dabei zusah. Gerade als der Knabe seinen nächsten Zug machen wollte, räusperte sich die Krankenschwester. »Dort kannst du nicht setzen.«
Er studierte das Spielfeld, dann nickte er. »Stimmt. Tut mir leid.«
»Wieso kann er nicht setzen? Das Feld ist doch frei.« Verwundert legte die Mittelschülerin ihre Stirn in Falten.
»Es wäre Selbstmord«, erklärten die Go-Spieler aus einem Mund, danach blickten sie einander an und kicherten.
»Also bisher habe ich nur festgestellt, dass ihr alternierende Züge macht.«
Ein wissendes Grinsen legte sich auf Midoris Gesicht. »Jetzt haben wir ihr Interesse geweckt.« Sie deutete auf die Stellung. »Im Moment hat jeder von uns eine Kette, die einander in Schach halten. Ich konnte seine Kette von dieser Seite einkreisen, also wenn Tama-kun dort legt, verliert er seine letzte Freiheit und die ganze Kette wird von mir gefangen genommen.«
»Ich bin so ein Idiot«, nuschelte der Knabe und schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. »Ich wollte Ihre Kette gefangen nehmen, aber habe die Augen nicht berücksichtigt.«
»Augen?«, hakte Yui nach.
Erneut zeigte Midori eine Stellung. »Diese Formation wird Auge genannt. Meine Steine halten einander den Rücken frei.«
»Aber er könnte doch dort einen Stein legen, dann wären deine Steine von seinen eingekreist... oh, das wäre auch Selbstmord.«
»Genau.«
»Und wenn du dort legst, nimmst du seine Steine gefangen. Weil... dort hat deine Kette noch eine Freiheit.«
»Ich sagte doch, dass du es schnell begreifen wirst.«
Yui zuckte die Schultern. »Wieso machst du den Zug dann nicht?«
»Wozu soll ich meinen Zug an diese Stellung verschwenden, wenn ich damit Tama-kun an einem anderen Ort weiter in Bedrängnis bringen kann?« Sie wartete seinen nächsten Zug ab und legte danach ihren Stein etwas abseits davon.
Er schielte zu ihr hinüber und schluckte nervös, während sie ihn siegessicher anlächelte. »Ähm...« Unsicher wartete er mit seinem nächsten Zug und studierte angestrengt das Spielbrett.
»Ah. Ich sehe was du meinst«, gab Yui zu, worauf Tama sie anstarrte. Unschuldig lächelte sie zurück.
»Das ist gemein. Sonst spiele ich immer gegen den Computer«, nuschelte Tama.
»Ja, ich hätte wohl erwähnen sollen, dass ich sehr gerne und viel Go spiele, Tama-kun.«
Die Blonde betrachtete das Spielbrett mit ganz anderen Augen, während sie mehrere geplante Züge von Midori erkannte. »Darf ich ihm helfen? Also... zumindest ein paar Tipps geben?«
»Hm.« Der Vormund studierte nochmals das Spielbrett. »Noch könnte er das Blatt wenden.«
»Bitte, Midori-san.«
»Meinetwegen.«
»Also, Kanade-san. Hier, hier und hier hat sie bereits Vorbereitungen für gesicherte Stellungen gemacht.«
»Das sind nur ein paar einzelne Steine.«
»Ja, aber wenn sie hier und an den beiden Stellen einen legt, dann hat sie zwei Augen.«
»Stimmt. Oh man. Was habe ich bloss die ganze Zeit gemacht?«
Yui sah zu Midori, welche augenrollend nickte. »Du hast dich viel zu sehr auf ihre Ketten hier und hier versteift. In der Zwischenzeit konnte sie immer mal wieder einen Stein da setzen.«
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Ein japanisches Sommermärchen
FantasyEs hätte ein langweiliger, aber erholsamer Urlaub am Meer werden sollen. Doch kaum erreichen Yuna Masuda und ihre Freunde das Dorf am Meer, werden sie von Geschichten über Yōkai, die junge Frauen entführen, beunruhigt. Dazu kommt, dass ihr Domizil e...