Blutroter Mond

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Ein und aus. Ein und aus. Langsam, entspannend. In ruhigen Zügen geht meine Atmung, ich fühle die frische, leicht salzige Luft. Ein und aus. Ein und aus. Ein leichter Wind weht durch meine Haare, in einiger Entfernung zirpt eine Grille ihr Lied. Die meisten Vögel sind bereits verstummt, der warme Schein der Sonne ist schon fort. Ein und aus. Ein und aus. Entspannt sitze ich auf dem Boden, die Finger verschränkt, die Ellbogen leicht auf meinen Knien. Vor mir liegt der Rand der Klippe, das blaue Meer erstreckt sich weit. Ein und aus. Ein und aus. Meine Augen sind geschlossen, nur mein Atem bewegt meinen Körper, nur die Natur ist sanft zu hören. Ein und aus. Ein und aus. Meine ruhigen Züge stoppen als ein Geräusch die Stille bricht. "Du bist spät." Ich spreche noch bevor sich meine Augen öffnen. Ich erhebe mich aus meiner Haltung, wende mich zu dem Mann der hinter mir steht. "Der Mond geht bereits auf." Dort steht er, der jenige auf den ich gewartet hatte, der Mann den ich töten werde.
Seine leichte Rüstung schillert in schwachem Licht, sein Körper hat sichtbar an Muskeln zugelegt. Seine Hand liegt auf dem Griff des Langschwertes an seiner Seite, sein Blick direkt auf mir. Es sind einige Meter die uns trennen und doch ist seine Stimme klar. "Ich werde nicht mehr Zeit brauchen. Dein Leben wird vorbei sein noch bevor der Blutmond endet." Ein leichtes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Das ist gut, das ist sehr gut. Er hatte sich meinen Rat zu Herzen genommen, er hatte trainiert, das sieht man ihm an. Nicht nur sein Körper zeigt deutliche Spuren auch in seinem Blick kann man es sehen. Entschlossenheit, Stärke, Willenskraft so vieles liegt darin, so stark sind diese Gefühle. Doch das ist nicht alles, das ist es nicht was mein Herz vor Begeisterung höher schlagen lässt. Ich sehe es, ich sehe es so deutlich in seinen Blick. Dieses Gefühl, das ich selbst so sehr liebe, das ich so gut kenne. Es ist dort, es ist so stark, es ist so unbeschreiblich schön. Mordlust. Nur deshalb ist er hier, nur wegs mir, nur um mein Leben zu beenden, um mir dieses wundervolle Gefühl zu nehmen. Ja, er hatte trainiert, lange hatte er trainiert, hart hatte er trainiert, dass sieht man ihm an, dass hatte ich erwartet. Aber all sein Training, all die Mühe die es ihm gekostet hatte, es würde ihm nichts bringen, würde sein Leben nicht retten, denn auch ich hatte viele Stunden hinter mir. Auch ich hatte trainiert, trainiert nur für diesen einen Zweck, dieses eine Ziel. Seinen Tod.

Sekunden verstreichen, Minuten vergehen und noch immer stehen wir uns gegenüber. Keiner bewegt einem Muskel, keiner spricht auch nur ein Wort. Unsere Blicke liegen aufeinander, unsere Hände jederzeit bereit nach den Waffen zu greifen. Der schwache Mond am Horizont steigt langsam höher, wird immer heller, gewinnt an Farbe. Doch noch immer steht das Blut zu tief, mein Körper verdeckt ihn vor Arons Sicht. Sekunden verstreichen, Minuten vergehen und noch immer stehen wir uns gegenüber. Der leichte Wind rauscht in den Blättern, die letzten Vögel sind verstummt. Eine Grille zirpt ihr Lied, man hört die Wellen der Brandung schlagen. Sekunden verstreichen Minuten vergehen als mein schwarer Mantel fällt, das rote Licht des Mondes offenbart.
Noch bevor der Mantel liegt erklingt ein helles, klares schleifen. Der metallische Klang betäubt meine Sinne, lässt mich kaum sehen wie Aron des glänzende Schwert aus seiner Scheide zieht. Meine Atmung wird vor Freude schneller, meine Dolche sind bereit. Ich kann ein Grinsen nicht vermeiden, mein Herz  das mich schon schmerzhaft sticht. Schon steht er vor mir, das Schwert kommt näher, saust auf mich nieder, ich weiß nicht mehr. Meine Hände heben sich, Metall trifft auf Metall. Das Klirren ist dumpf, ich nehm es kaum war. Aron spricht, seine Lippen bewegen sich, doch ich verstehe seine Worte nicht. Blut rauscht in meinen Ohren, mein Herz schlägt mir im Hals. Es schmerzt. Mein Hals, meine Ohren, meine Arme. Schmerz. Noch immer halte ich die Dolche, stemme sie gegen das schwere Schwert. Er ist stark, zu stark. Stärker als ich? Ein Schweistropfen rinnt über meine Stirn, kühlt sie für einen kurzen Moment. Nein. Niemals ist er das. Er ist nicht stärker, nicht stärker als ich. Noch einmal stemme ich mich gegen ihn, leite den Druck seines Schwertes zur Seite ab. Die Klinge sinkt, ich drück sie weg, sehe das was vor mir ist. Sein Gesicht, sein Hals, ungeschützt. Schnell reiß ich meine Klinge hoch, der Dolch ist seinem Hals schon nah. Seine Schultern sinken, seinen Kopf zieht er zurück. Meine Klinge saust vorbei, der Widerstand war minimal. Es sind zwei Schritte die uns trennen, ich weiß nicht wer zurückgewichen ist. Ich atme schwer. Zu schwer für diesen kurzen Kampf. Unsere Blicke treffen sich und ich fange mich. Dort ist es was ich sehen wollte, dort ist das wundervolle Rot. Der Unglaube in seinen Augen, die leichte Spur von Angst. Das Grinsen schleicht sich zurück auf meine Lippen als ein Blutstropen von seinem Kinn fällt. Meine Augen folgen ihm, betrachten den roten Punkt der dort am Boden liegt. Ein wohliges Seufzen entrinnt meiner Kehle als der Anblick meine Sinne betäubt. So schön, so wundervoll verzaubernd, so sehnsüchtig wollte ich dies sehen. Ich sehe zurück in sein Gesicht, nur ein kleiner Schnitt ziert seine Wange. Aber es genügt, dort ist Blut, sein Blut, das was ich so sehr sehen wollte. Ein roter Schein zu meiner linken, eine Spiegelung des Monds. Ich reise meine Dolche hoch, höre das Metall der Klinge schleifen. Die Wucht des Schwertes trifft auf meine Dolche, doch ich bin zu spät um zu parieren. Augenblicklich taumel ich zurück, kann mich nur knapp auf meinen Beinen halten. Was? Wieso ist er so stark? Ich kann meinen Gedanken nicht zu Ende bringen, schon wieder ist das Schwert so nah. Wieder versuche ich zu blocken, doch breche den Versuch augenblicklich ab als ich die Gefahr vor meinen Augen sehe. Mit einem Sprung nach hinten entkomme ich seiner Klinge, kann meine Hand nur knapp vor einem Kontakt mit dieser retten. Das war zu nah. Viel zu nah. Nur etwas langsamer und ich hätte meine Hand verloren. Wieder saust die Klinge auf mich zu und wieder entkomme ich nur knapp. Ich habe keine Zeit zu denken, schon der nächste Schlag kommt auf mich zu. Ich schlage meine Klingen gegen das Schwert, lenke den Schlag zur Seite ab. Noch in der selben Bewegung nutze ich Arons ungeschützten Moment und verpasse ihn einen kräftigen Trit gegen den Brustkorb. Erschrocken stößt er Luft aus, stolpert unbeholfen einige Schritte zurück. Doch ich greife ihn nicht an, auch ich springe zurück, bringe Abstand zwischen uns. Ich warte nicht bis Aron seinen Atem wiederfindet, fast augenblicklich hole ich mit einem meiner Dolche aus, werfe ihn. Nur knapp verfehlt er Arons Körper, doch der zweite folgt sofort. Auch dieser Klinge kann er sich noch knapp entwinden, doch es stört mich nicht, ihn zu treffen war nicht mein Ziel. Diese Waffen würden mir in diesem Kampf nicht nützen, ihre Klingen sind viel zu kurz, im Nachteil gegen ein langes Schwert. Meine Hand wandert an meine Seite, umfasst den heißgeliebten, ledernen Griff. Ein Schauer jagt über meinen Körper als das Material sich so vertraulich an meine Finger schmiegt. Schon so lange hatte ich es nicht mehr gefühlt, so lange nicht mehr mit dieser geliebten Klinge gekämpft. Wohligkeit erfüllt meinen Körper als ich die alte Klinge ziehe. Ich warte nicht, habe keine Zeit den Moment länger zu genießen. Mein Blick liegt auf meinem Gegner, ich stürme auf ihn zu, ein wahnsinniges Grinsen ziert mein Gesicht. Arons Körper bewegt sich, etwas großes fliegt auf mich zu. Im letzten Moment schlage ich es weg, sehe ihm nach als es metallisch scheppernd auf dem Boden landet. Eine Brustblatte, ein Teil von Arons Rüstung. Sie ist nicht sehr dick, die Wucht meines drittes hatte eine deutliche Beule hinterlassen. Ich sehe erst wieder auf als Arons Körper direkt vor meinem steht. Ich reiße meine Klinge hoch, blocke Arons schweren Schlag noch ab. Der Schlag ist stark, ich muss einen stützenden Schritt nach hinten tun. Wieder saust sein Schwert auf mich zu und wieder blocke ich den Schlag ab. Nein. Nein, er wird nicht gewinnen. Nicht gegen mich, nicht wenn ich diese Klinge in meinen Händen halte. NIEMALS. Ich werde gewinnen, diese geliebte alte Klinge in meinen Händen wird alles beenden. Ich schwinge mein Katana auf ihn nieder, doch er schafft es noch zu blocken, weicht nicht einmal zurück. Erneut trifft seine Klinge auf meine, doch ich muss einen Schritt nach hinten tun, die Wucht seines Schlages war zu stark. Immer und immer wieder treffen unsere Schwerter aufeinander, immer und immer wieder muss ich einen Schritt zurück. Nein. Er ist so stark, er ist stärker als ich. Immer weiter drängt er mich zurück, immer näher komme ich dem Rand der Klippe. Nein. NEIN. Ich kann nicht verlieren, ich darf nicht. Wie soll Linon denn ein guter Mörder werden, ohne mich? Wieder saust ein Schlag auf mich nieder, wieder weiche ich zurück. Ich spüre wie das Gras unter meinen Füßen der felsigen Kante der Klippe weicht. Aus dem Augenwinkel sehe ich nach unten. Sehe wie die Wellen der Brandung gegen den nackten Fels der Klippe schlagen, alles zerschmettern was dort liegt. Ein letztes mal sehe ich die Klinge auf mich nieder sausen. "NEIN. Nein, ich werde nicht verlieren. ICH WERDE NICHT STERBEN." Ein letztes mal schlage ich meine Klinge gegen seine, stemme mich mit all meiner Kraft dagegen. Ich weiche nicht zurück, nicht jetzt, nie wieder. Mein Gesicht ist von Wut und Schmerz verzerrt. Ich spüre meine Muskeln brennen. Mein Blick liegt direkt in Arons Augen, seiner direkt in meinen, Mordlust spiegelt sich darin. Es ist so klar es ist uns beiden so klar. Wer auch immer nachgibt, wer auch immer diesen Schlag verliert wird verlieren, wird sterben. Noch immer stemmen sich unsere Klingen gegeneinander, keiner ist in der Lage den anderen zu bewegen. Ein letztes mal. Ein letztes mal nehme ich noch all meine Kraft zusammen. Ein elendiger verzerrter Schrei entweicht meiner Kehle als ich alles aus meinen Körper nehme und mich gegen Arons Klinge stemme. Es macht einen Ruck und wir stehen uns plötzlich viel näher. Das Klirren einer auf den Boden fallenden Klinge ertönt. Noch fester schließen sich meine Finger, krallen sich in den ledernen Griff meines geliebten alten Katanas. Ich habe gewonnen. Es ist vorbei. Es ist endlich vorbei. All die Anspannung weicht aus meinen Körper. Mein Blick liegt auf Arons verzerrtem Gesicht. Langsam wandern meine Augen nach unten, folgen seinen Armen, stoppen für einen Moment bei seinen Händen, auf dem Griff seines Schwertes das darin liegt. Ich habe nicht die Kraft zu denken. Meine Augen wandern weiter, seiner Klinge entlang. Blut fließt, in Strömen rinnt es herab, benässt des dunklen Boden dieser Nacht. Eine breite Lache hat sich bereits gebildet, darin liegt glänzendes Metall. Eine Klinge, eine Klinge ohne Griff. Du hast mich verraten, mich aufgegeben, bist zerbrochen. Mein geliebtes altes Katana. Alle Kraft weicht aus meinem Körper, der Griff meines gebrochenen Schwertes rutscht mir aus der Hand. Die Klinge in meinem Bauch ist alles was mich noch auf meinen Beinen hält. Mein Körper kippt nach hinten um, ich falle. Meine Augen richten sich ein letztes mal gen Himmel. Der blutrote Mond scheint auf mich herab. Ist es das? Wird es hier enden? Mein Leben? Ist das mein Tod? Aber wenn das mein Tod ist, wenn, dass das Gefühl zu sterben ist, wenn dieses Gefühl sich doch so unbeschreiblich anfühlt, dann sage mir, warum? Warum hatten denn immer alle so viel Angst?

Vergiss niemals,
egal wie stark du dich auch fühlst,
egal was du erreicht hast,
egal was du noch erreichen wolltest,
ein Leben braucht nur einen Moment um zu enden.

Das Mädchen ohne SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt