Schüler

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Sanft strich ich durch die weichen Haare des schlafenden Kindes in meinem Arm. In den Rotblonden Locken klebte noch immer Blut. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Er hatte tapfer gekämpft, erfolgreich getötet. Bei dem letzten der drei Jungen musste ich nicht einmal mehr seine Hand führen, allein meine Kommandos genügten um die Klinge in seiner Hand an die Kehle des Jungen zu führen. Er hatte zwar noch gezögert aber er hatte es getan. Wie ich es ihm befohlen hatte, hatte er die Klinge in den Hals des Jungen gerammt und mit gezücktem Messer über ihm stehend beobachtet wie er elendig verblutete.
Sanft schaukelte ich den kleinen Linon in meinem Arm. Ein sanftes Lächeln lag auf meinen Lippen als ich ihn betrachtete. Ich gab es nur ungern zu aber ich hatte den Kleinen wirklich ein wenig lieb gewonnen und irgendwie bereute ich es nicht einmal das Mädchen entkommen lassen zu haben. Sicherlich hatte sie erzählt was geschehen war, sicherlich suchte das gesamte Dorf nach den Mördern ihrer Kinder. Nur deshalb hatte ich Linon mit mir genommen, nur deshalb lief ich jetzt mit einem Kind im Arm durch den Wald. Ich hätte ihn nicht dort lassen können, hätte nicht zulassen können, dass er dort gefunden und zu Tode geprügelt wird. Nein, dass hätte ich nicht tun können, nicht nachdem ich gerade ein so gehorsames Kind gefunden hatte, nicht nachdem ich ihm gerade beigebracht hatte zu töten. Ein breites Grinsen lag auf meinen Lippen. So schnell würde ich diesen Jungen nicht aufgeben, nicht solange ich noch die Hoffnung hatte, dass er mir einen riesen Spaß bereiten würde.

Vorsichtig legte ich ihn am Stamm eines großen Baumes ab. Ich betrachtete ihn etwas genauer. Er hatte eine erhebliche Anzahl an Wunden am Körper, nicht alle davon aus dem letzten Kampf. Diverse Schürfwunden und Prellungen, mehrere kleine Schnitte waren zu sehen, selbst eine Platzwunde zierte seinen Kopf. Ich verzog ein wenig das Gesicht. So konnte ich das nicht lassen die Wunden würden sich entzünden. Ich stand wieder auf und wendete mich ab. Ich musste wohl ein paar Kräuter sammeln, ich hatte nicht mehr genug für all diese Schrammen. Ich war erst ein paar Schritte gegangen als ich hinter mir eine schwache Stimme hörte. "R-rena, wohin gehst du? Lass mich nicht allein." Ein elendiges Quengeln lag in der Stimme. Ich drehte mich halb nach hinten, sah in Linons tränenerfüllte, bettelnde Augen. Angewidert verzog ich mein Gesicht. So jämmerlich. Elendig und Schwach, nicht wert an meiner Seite zu sein. Etwas resigniert stieß ich einen Schwall Luft aus. Aber er hatte Glück, ich hatte mich bereits entschieden. Ich wendete mich wieder zum gehen. "Wenn du nicht allein sein willst, dann komm." Ich konnte ein freudiges aufatmen hören als er aufsprang und zu mir lief. Er hatte Mühe mit mir Schritt zu halten, stolperte über seine eigenen Füße, keucht als er sein Gleichgewicht wieder fand. Eine kleine, eiskalte Hand legte sich in meine, klammerte ich an meinen Fingern fest. Ich warf einen skeptischen Blick zu Linon nach unten, sah in sein zu mir aufstrahlendes Gesicht. Noch kurz verharrte ich so, doch dann wand ich meinen Blick mit einen amüsanten 'Tsk' wieder nach vorn. Leicht erwiderte ich den sanften Druck der kleinen Hand in meiner. Ein undeutbares Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. "Pass gut auf mein Kleiner, ich werde dir etwas wichtiges beibringen."

Wir streiften durch Wald und Wiesen, auch an die Küste kamen wir. Überall sammelten wir Heilkräuter und andere nützliche Pflanzenteile. Ich erklärte Linon alles was er darüber wissen musste, ihre Wirkung, ihre Zubereitung und andere Dinge auf die er achten musste. Er nahm all das Wissen begierig auf, hörte mir aufmerksam zu, stellte mir noch mehr Fragen die ich ihm zum Teil nicht einmal beantworten konnte. Er zeigte unglaubliches Interesse, ließ sich von nichts ablenken. Alles was für ihn zählte war meine Stimme, die Worte die meinen Mund verließen. Mit strahlenden Augen sah er unentwegt zu mir auf, folgte jedem meiner Schritte. Er lernte so schnell, dass wir noch vor dem Ende des Tages am Fuß der Klippe der Verstoßenen ankamen. Seine Wunden hatte ich unterwegs schon versorgt weshalb ich jetzt kleine Pause mehr einlegen musste und direkt den Weg zu einer kleinen, versteckten Grotte ansteuerte.

"Warte hier auf mich." Meine Anweisung war klar und doch sprang Linon auf und klammerte sich an meinen Arm. "Nein, lass mich nicht allein." Unsanft stieß ich ihn von mir. "Ich sagte warte." Meine Stimme war laut, ein böser Blick lag auf meinem Gesicht. Erschrocken sah er zu mir auf. "Wenn ich etwas sage, dann hast du das zu tun, hast du das verstanden Kind?" Bei dem Klang meiner wütenden Stimme zuckte er zusammen, nickte aber gehorsam. "Jawohl, verzeih mir bitte Rena." Er hatte seinen Blick gesenkt. Ich schenkte ihm ein Lächeln, tätschelte ihm leicht den Kopf. "So ist es gut mein Kleiner, nur mein Wort zählt. Merke dir das gut." Wieder nickte er gehorsam. Ich kniete mich vor ihn hin, drückte ihm das Messer seiner Taten in die Hand. "Pass auf dich auf mein Kleiner. In zwei Wochen werde ich wieder bei dir sein, dann nehme ich dich mit mir mit."
Ich hatte einige Vorräte bei ihm gelassen, auch sonstige Waffen und Gegenstände die ich nicht brauchen würde hatte ich dort untergebracht.
Mit ruhigem Schritt schlug ich meinen Weg zur Klippe ein, meine Gedanken bei dem kleinen Jungen den ich zurück gelassen hatte. Warte nur auf mich Linon, ich bin bald wieder bei dir. Ich werde für dich da sein, ich werde nicht zulassen, dass deine Kindheit so schmerzhaft und schwer wird wie die meine. So sehr hatte ich gelitten, so oft stand ich kurz vor meinem Tod, so oft wäre ich aus Verzweiflung und Angst gerne gestorben. Doch das schlimmste war die Reue, die Schuld die ich fühlte als ich vor den Leichen meiner Eltern saß. So sehr hatte ich gelitten, so sehr bereut was ich getan hatte. Ich selbst war es, die das letzte Licht in meinem Leben gelöscht hatte. Ich selbst war Schuld, dass mein Leben an diesem Tag geendet hatte. Noch lange saß ich dort, noch lange hatte ich geweint, mehrere Tage wich ich nicht von der Seite ihrer toten Körper. Erst der Gestank hatte Menschen in unser Haus gelockt, niemand hatte mich vermisst, niemand hatte sich gesorgt. Auch in dem Moment als sie das Haus betraten war ich nicht da. Ich stand daneben, blutverschmiert, tränenüberströmt doch sie sahen mich nicht. Ich war ihnen egal, niemand beachtete mich. Das war der Tag an dem ich es erst verstand, das war der Tag an dem ich verstand, dass ich unwiderruflich allein war, dass niemand mehr da war. Ich war allein, die einzigen Menschen die mich je geliebt hatten starben durch meine eigene Hand. Die Reue nagte an mir, ich hatte Jahre gebraucht um meine Schuld zu überstehen, hatte Jahre in Reue gelebt, war verzweifelt, wollte, dass alles endete. Viel Schmerz hatte ich gefühlt, viel Kraft hatte es mich gekostet, das Alles zu überstehen. Und ebenso viel hatte es mich gekostet zu dem zu werden was ich heute war. Alles was ich konnte, alles was ich wusste, alles was ich fühlte, das Alles hatte ich mir selbst beigebracht. Ich war dafür regelrecht durch die Hölle gegangen, musst alles aufgeben was war. Alles, auch mein Herz hatte ich verloren.
Das Alles wollte ich Linon ertparen. Wollte verhindern, dass er diese Reue spüren muss, wollte verhindern, dass er das Alles alleine überstehen muss. Und deshalb hatte ich meinen Entschluss getroffen, deshalb würde Linon an meiner Seite sein. Ich hatte mich entschieden, ich würde ihn unterrichten, ich würde ihn zu meinem Nachfolger machen. Er würde mein Schüler sein.

Das Mädchen ohne SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt