Erloschene Kälte

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Im Würgegriff von Criss.

Im Traum hätte sich Shanix so etwas nicht vorstellen können.

Selbst jetzt kann sie kaum begreifen, was er da tut.

Dass er das tut.

Kräftig beißt sie sich ihre Zähne zusammen und umfasst seine Hand.

Seine Augen folgen ihren Weg von ihrer Kehle hinauf zu ihren Augen.
Diese verdammten Augen einer Mörderin.

Aus ihrem standfesten Blick sieht er ein Flimmen in ihren violetten Augen.  Dann fällt der Körper in Ohnmacht.

Sein Körper.

Criss löst den Griff seiner Hand automatisch, ehe er zu Boden fällt.

Shanix ringt sofort nach Luft und rutscht die Platte herunter.

Hustend und keuchend umfasst sie ihren eigenen Hals, als würde es etwas bringen.

Criss liegt vor ihr mit geöffneten Augen. Sein zorniger Blick trifft Shanix.

Ihren Kopf schüttelnd und nach wie vor hustend spricht Shanix zu ihm: "Wieso tust du das? Wie kommst du drauf, dass ich deine Schwester auf dem Gewissen habe?"

Man sieht deutlich, dass Criss versucht aufzustehen. Seine Muskeln zucken, er will sie zur Bewegung zwingen, doch sie gehorchen nicht.

"Was hast du gemacht?", zischt er.

Shanix seufzt: "Sakra. Mynde ist nicht das einzige, was ich drauf habe, weißt du. Du kannst dich nicht bewegen, bis ich mich von dir entfernt habe"

Criss knurrt aber sieht ein, dass er verloren hat.

Er hat ihr in die Augen gesehen. Sie konnte ihr Sagment Sakra anwenden und Criss für eine gewisse Zeit lähmen.

Nachdem sich Shanix von diesem Überfall etwas beruhigt hat, kommt sie Criss näher und sieht in seine kalten Augen.

Das ist niemals derselbe Criss.

"Wie kommst du also drauf, dass ich etwas mit deiner Schwester zu tun habe?"

Criss seufzt: "Wärst du nicht gewesen, wäre ich in Foya geblieben und hätte meine Schwester beschützen können"

"Aber wieso bist du denn nicht geblieben?"

"Weil du geflohen bist!"

"Und was hat das für eine Rolle für dich gespielt?" Shanix ist sichtlich verwirrt

"...", Criss sieht zur Seite weg.

"Ich habe dich nicht gebeten, mich zu suchen, oder habe ich das?", fragt Shanix gifig.

"Nein, das hast du nicht", sagt Criss.

"Hat dich Ren gebeten?"

"Nein", antwortet Criss.

Shanix schüttelt den Kopf: "Was ist also mit dir los?"

Criss seufzt, fast lautlos antwortet er: "Ich weiß es nicht"

Shanix ist außer sich: "Du weißt es nicht! Weißt du aber, dass du mich eben hättest umgebracht?"

Langsam schließt Criss seine Augen. Er antwortet nicht.

Der Zorn springt scheinbar auf Shanix über: "Ich sag dir wer Schuld ist. Der einzige der es ist, bist du. Du hast schließlich deine Schwester verlassen, niemand anderes!"

Criss schweigt.
Man hört Shanixs schweres Atmen. Und wie sie sich langsam wieder beruhigt.

Sie beobachtet, wie eine glitzernde Tränenperle, die sich im Augenwinkel von Criss' geschlossenen Augen sammelte, sein Gesicht seitlich herunterkullert.

Shanix lässt ihre Schultern hängen.

Mirares Tod nagt sehr an ihm.

"Nein, hör zu", sagt Shanix ruhig, "du bist auch nicht Schuld, vergiss was ich eben gesagt habe. Niemand von uns ist Schuld"

Kurz sieht sie nachdenklich zur Seite, steht aber dann auf und greif Criss unter die Arme.

"Was tust du?", fragt Criss überrascht.

"Ich helfe dir", sagt Shanix und hebt seinen Oberkörper hoch, den sie über den Boden schleift.

"Was soll das werden?", fragt er.

"Ich bringe dich zum Kanren", antwortet Shanix.

"Du willst mich den ganzen Weg dahinschleifen? Bis nach Foya?", fragt Criss, als wäre sie verrückt.

"Ich würde dich auch quer durchs Schlangenreich bis zum Vogelreich schleifen, wenn es sein muss. Du brauchst aber definitiv Hilfe", antwortet Shanix, während sie ihn mitzieht.

Criss lacht leise, fast flüsternd: "Du bist viel zu naiv"

"Wäre ich naiv, Criss, hätte ich dich aus Sakra befreit und wäre mit dir einen Tee trinken gegangen", sagt sie.

"Nein, du bist naiv, weil du deinem Angreifer noch helfen willst, anstatt mich liegen zu lassen", antwortet Criss.

"Du bist aber nicht mein Angreifer, Criss. Und ich wäre herzlos, wenn ich dich hier liegen gelassen hätte"

"Deshalb bist du naiv, Shanix. Du denkst, ich wäre dein Freund"

Shanix schweigt eine Zeit, zieht ihn aber trotzdem weiter: "Ich werde dich nicht aus Sakra befreiern, solange du keine Hilfe von irgendwem bekommen hast. Du könntest schließlich wieder einen emotionalen Austritt haben und Ren an die Kehle springen. Oder mir", sagt sie, "und vielleicht bin ich kein Freund für dich. Aber du bist kein Feind für mich"

"Wieso denkst du, dass ich nicht dein Feind bin?", fragt Criss

"...du bist nicht bosartig, Criss. Du bist einfach verletzt. Du versuchst die Schuld irgendwem zu geben, weil du denkst, es würde dir dadurch besser gehen. Aber hier findest du keinen Schuldigen"

Criss schweigt kurz, er sucht Worte.
"Willst du sagen...dass du mir vergibst?", fragt er ruhig.

"Vergeben? Ich habe dich doch gar nicht verurteilt...ich habe nichts zu vergeben"

Man hört Criss' Schuhe über die Erde ziehen.

Wieder findet er keine Worte.

Diese Warmherzigkeit.
Es ist, als würde Mirare durch sie sprechen.

"Shanix. Verzeih mir"

"Huh?"

"Du kannst mich runter lassen"

Sie beugt sich zu ihm vor: "Willst du mich austricksen?"

"Nein. Ich will aber nicht einen ganzen Tag von dir durch die Provinz getragen werden. Ich werde dir nichts mehr tun Shanix, ich bin nicht mehr wütend", sagt Criss.

Aber Shanix zieht weiter: "Doch, du bist wütend. Sogar sehr. Aber nicht auf mich, sondern auf dich selbst. Ich befürchte, dass du dir selbst etwas antun könntest, wenn ich dich jetzt befreie"

Criss sieht zu ihr hoch: "Aber ich hab mich doch beruhigt"

"Nein, hast du nicht"

Criss seufzt: "Woher willst du das denn wissen?"

Shanix rollt die Augen: "Ich spüre deinen Herzschlag übrigens besser als du selbst es jemals können wirst. Ich fühle doch deine Aufregung, also sei jetzt still, ich bringe dich zum Kanren. Er wird dir bestimmt helfen können"

Criss lacht leise auf: "Das ist also die besagte extreme Feinfühligkeit. Du spürst alles so unheimlich genau. Wie fühlt sich das an?"

Shanix sieht zur Seite, während sie ihr Gesicht verzieht: "Scheußlich"

I.ShanixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt