💫12. Kapitel

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Blut. Überall Blut.

Nicht nur auf dem Boden. Der Geruch von Blut lag in der Luft und führte dazu, dass sich mein Magen umdrehte. Der Mann, der auf dem Sofa lag hieß Tim. Seine Brust hob und senkte sich in flachen und unregelmäßigen Abständen. Nur mit großer Mühe schaffte ich es, meinen Blick auf ihn gerichtet zu halten. Der Anblick von Blut machte mir einfach zu schaffen. Und ich wusste nicht, ob ich noch lange bei Bewusstsein bleiben würde. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich sah, wie Kane versuchte die Kugel aus seinem Bauch zu holen. Da gab es etwas, was ich nicht verstand. Ich verstand nicht, warum sie ihn nicht ins Krankenhaus brachten. Das war verwirrend. Und es machte für mich keinen Sinn mehr. Tim war bleich. Schweiß rann seine Stirn hinab und er hatte ein Tuch im Mund um nicht zu schreien. Karen strich ihm immer wieder mit einem nassen Lappen über die schweißnasse Stirn. Doch ich bezweifelte, dass das viel brachte.
»Komm mit. Kane will nicht, dass du das siehst«, erklang urplötzlich Hunters Stimme neben mir und riss mich aus dem Nebel, indem ich mich soeben noch befanden hatte. Verdutzt sah ich ihn an, nickte dann aber. Damit hatte er vermutlich recht. Dennoch musste ich eine wichtige Frage stellen.
»Wieso ist er nicht ins Krankenhaus gebracht worden?« Hunters Blick glitt zu Tim und Kane, dann zurück zu mir. Er seufzte und fuhr sich durch die wilden Locken. »Das muss dir Kane sagen.« Damit führte er mich dann nach oben, während ich ihm stumm folgte. Meine Knie fühlten sich an wie Wackelpudding und mein Herz hämmerte wild in meiner Brust. Das Blut rauschte in meinen Ohren und meine Gedanken rasten.
Nur am Rande bekam ich mit, wie Hunter und ich oben ankamen. Er öffnete die Türe und führte mich ins Zimmer. Bevor ich mich bedanken konnte, fing er aber auch schon an zu reden: »Bleib hier, bis Kane zu dir kommt. Bitte. Das wird nicht schön. Und da du nicht alles weißt, wirst du es vielleicht auch nicht verstehen, was wir machen. Er kommt hoch, wenn alles vorbei ist.« Seine Worte trieben mir einen eiskalten Schauer über den Rücken, der sich dann über meinen ganzen Körper zog. Mir wurde innerlich kalt.

»Was heißt "vorbei"?«, fragte ich leise und vorsichtig nach, obwohl ich die Antwort schon zu kennen glaubte. Hunter holte tief Luft. »Tim wird es nicht schaffen, July. Das würde er auch nicht mit medizinischer Hilfe«, sagte er und sah mich ernst an. Seine Worte trieben einen festen Kloß in meinen Hals. Mir wurde übel. »Warum ist das so klar?«, fragte ich leise nach. Meine Stimme war nur ein Krächzen. Hunter seufzte. »Ich habe schon zu viel gesagt.« Kurz darauf war er verschwunden. Verzweifelt sank ich auf das Bett und starrte auf die Tür, die gerade eben ins Schloss gefallen war. Diese ganze Situation kam mir noch so bizarr vor. So als würde ich jeden Moment aufwachen. Doch je länger ich auf die Tür starrte, desto bewusster wurde mir, dass ich ganz sicher nicht aufwachen würde. Und das machte mir zu schaffen. Tim würde sterben. Nur verstand ich nicht so ganz, warum er das musste. Wenn die Kugel keine wichtigen Organe verletzt hatte, hätte er doch eine Chance. Noch weniger verstand ich, wieso ihm kein Krankenhaus oder Arzt helfen konnte. Das kam mir merkwürdig vor. So surreal. Ein Arzt konnte doch immer helfen. Für einen kurzen Moment machte sich ein komischer und dummer Gedanke in mir breit. Wenn Tim der Wolf war... das würde erklären warum er nackt gewesen war... und Silber tat Wölfen nicht gut, hatte ich zumindest gehört.

Doch so schnell wie dieser Gedanke gekommen war, verwarf ich ihn in die hinterste Ecke meines Gehirns. Meine eigenen Gedanken hörten sich zu dumm an, dass ich mich für verrückt hielt. Einmal holte ich tief Luft, um mich zu sammeln. Das war doch dumm... Tränen stiegen in meinen Augen auf, als ich an Tim dachte. Er war noch so jung. Und die Tatsache, dass Josh doch nicht so weit weg war, wie Kane angenommen hatte, machte die Sache nicht besser. Nur verstand ich nicht, wieso sie auf Tim geschossen haben. Ein leiser Schluchzer entwich meiner Kehle, während ich mich aufs Kissen sinken ließ. Mein Blick glitt zur Decke und meine Gedanken kreisten um das Geschehen. Darum, dass Tim sterben würde. Wegen mir. Wäre ich nicht hier, würde das doch nicht passieren. Angst machte sich in mir breit. Josh hatte es geschafft uns zu täuschen. Und das könnte er immer wieder. Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass es sich anfühlte, als würde sich eine kalte Klaue um mein Herz legen und es zusammendrücken. Ein Schrei zerriss die Stille und ließ mich zusammenzucken. Tränen liefen meine Wangen hinab. Tim würde das nicht schaffen. Das sagten alle. Doch ich verstand nicht, wieso. Ich wollte einfach nicht, dass er wegen mir stirbt. Schließlich hätte Josh sie nie gesucht, wenn ich nicht mit Kane mitgegangen wäre. Kraftlos rollte ich mich zusammen und zog die Decke über mich. Betete, dass sie mich vor der Realität schützen könnte, doch das hatte auch als Kind nicht geklappt. Niemals.

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