💫 1. Kapitel

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Mit zittrigen Fingern strich ich über den weißen, seidigen Stoff, der sich perfekt an meinen Körper schmiegte. Das Bild, welches sich mir im Spiegel bot, war noch unrealistisch für mich. Ein wunderschönes Mädchen blickte mir mit Tränen in den Augen und Augenringen unter den Augen im Spiegel entgegen. Selbst das Make-up hatte nicht mehr viel tun können. Die langen, schwarzen Haare hatte das Mädchen hochgesteckt bekommen. Nur eine kleine Strähne hing hinunter und lag sanft auf ihrer Schulter um in Wellen über ihre Brust zu fallen. Das weiße Kleid war aus feiner Spitze und hatte lange Ärmel. Zittrig hielt sie den Strauß der Blumen in der Hand. Die kleine herzförmige Kette ihrer toten Mutter zierte ihren Hals. Schwer schluckte ich den Kloß in meinem Hals hinunter. Es dauerte, bis ich begriff, dass das ich im Spiegel war. Ich kam mir fremd und komisch vor. Heute sollte der beste Tag meines Lebens sein, doch in mir herrschte eine merkwürdige Unruhe, als würde ich das Flasche machen. Wahrscheinlich waren das nur ein paar vereinzelte Panikattacken, die man gelegentlich vor der Hochzeit empfand, weil es doch ein riesen Schritt war. Für mich war es besonders schwer. Meine Mutter würde mich jetzt sicher beruhigen und sagen, dass ich keine Zweifel haben musste, doch sie war nicht hier. Meinen Vater hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Es war, als hätte ihn die Erde verschlungen. Ob meine Mutter stolz auf mich wäre, konnte ich nicht sagen. Aber sie würde sich freuen, dass ich ihr Kleid trug. Es passte mir perfekt. Als wäre es für mich gemacht worden. Wieder einmal traten Tränen in meine braunen Augen. Verzweifelte versuchte ich sie wegzublinzeln. Ich sollte lachen und nicht weinen. Heute würde ich heiraten. Den Mann meines Lebens. Der Mann, der mich aus dem schwarzen Loch geholt hatte, als meine Mutter gestorben war und als mein Vater mich einfach alleine gelassen hatte.
Ein leises Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Im Spiegel sah ich, wie die große Türe des Zimmers aufging und meine Tante ins Zimmer trat. Tante May musterte mich einen Moment, dann ging sie zu mir und schloss mich in ihre Arme. Eine Last fiel von mir und ich presste mich an sie.

»Alles wird gut, July. Sie wäre stolz auf dich. So wie ich. Du bist wunderschön und hast einen tollen Verlobten, der bald dein Mann sein wird. Vergiss das nicht«, flüsterte sie und strich über meinen Rücken. Ihre Worte beruhigten mich. Jedenfalls fast. Das Gefühl blieb trotzdem. Es hatte sich festgefressen und wollte nicht mehr gehen.

»Danke, Tante May. Für alles«, hauchte ich dankbar und löste mich so von ihr, dass ich sie anlächeln konnte. Ihre Hände legten sich um meine Wangen und sie schenkte mir ein warmes, ehrliches Lächeln. In ihren blauen Augen glitzerten Tränen. Freudentränen. »Du musst mir nicht danken, Jules. Ich bin einfach nur froh, dass du dein Glück gefunden hast.« Bei jedem Wort wurde mir warm ums Herz, doch bei ihrem letzten Satz rumorte mein Magen, als wolle er dieser Tatsache nicht zustimmen. Als würde es nicht stimmen, dass ich mein Glück gefunden habe. Gerade als ich etwas sagen wollte, erklang die Musik. Ich hatte erwartet, dass mein Herz vor Aufregung doppelt so schnell schlagen würde, doch eigentlich schlug es nur schneller, weil eine merkwürdige Unruhe in mir entfacht wurde. Schweiß bildete sich in meinem Nacken und auf meinen Handflächen. Tante May schien das als einfache Aufregung zu deuten.

»Komm, Josh wartet sicher schon«, sagte sie und bot mir ihren Arm an. Dankend nahm ich diesen an und hielt mich an ihr fest. Jeden Schritt den ich tat, wurde immer schwerer. Als würden mich Gewichtete am Boden halten wollen. Die Tür zum Garten ging auf und ich blickte in die Reihen der Gäste, die sich zu mir drehten. Sofort hämmerte mein Herz noch schneller und es wurde eng in meiner Brust. Langsam schritt ich mit meiner Tante voran und spürte, wie Hitze aufkam. Alles in mir schrie, mich umzudrehen. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und erschwerte mir das Atmen. Tante May führte mich weiter. Ich sah in die Gesichter der hoffnungsvollen Gäste. Freunde von Josh, Familie von Josh. Sie alle hatten mir gesagt, was für ein tolles Paar wir doch waren. Jetzt erschienen mir diese Sätze plötzlich falsch und ich wusste nicht einmal, wieso. Wahrscheinlich war es einfach die Aufregung. Dennoch konnte ich auch meinen Freunden nicht ins Gesicht sehen. Ich wandte den Blick ab und heftete ihn auf Josh. Seine blauen Augen lagen wachsam auf mir. Als würde er spüren, dass etwas nicht stimmte. Ich haftete meinen Blick auf seine Augen. Dachte an all die Momente, die wir hatten. Ein leises Lächeln umspielte meine Lippen und für einen Moment schwanden alle Zweifel und beklemmende Gefühle. Wir hatten die zweite Reihe erreicht. Gleich würde ich ihm gegenüberstehen und all meine Zweifel würden sich in Luft auflösen. Doch dann spürte ich ein merkwürdiges Prickeln im Nacken, während mein Herz anfing doppelt so schnell zu schlagen, als vorher. Meine Füße verharrten auf der Stelle. In meinem Magen entstand ein Kribbeln, welches ich noch nie zuvor empfunden hatte. Verwundert sah ich nach rechts. Dann erstarrte ich buchstäblich. Dunkel braune, ja fast schwarze Augen blickten genau in meine Augen. Meine Atmung stockte, während die Welt stillzustehen schien. Verwirrt öffnete ich den Mund, doch brachte keinen Ton heraus. Der Typ aus meinem Traum, schoss es mir durch den Kopf. Nur am Rande meines Bewusstseins nahm ich wahr, wie Tante May etwas zu mir sagte. Doch so sehr ich den Blick auch abwenden wollte, es ging nicht. Als würde mich ein unsichtbares Band an ihm festhalten. Noch nie zuvor hatte ich diesen Mann gesehen. Nur in meinem Traum. Er gehörte sicher nicht zu Joshs Freunden und auch sonst zu niemanden. Verwirrt runzelte ich die Stirn, als er sich plötzlich erhob und auf mich zutrat. Eigentlich hätte ich ihn einfach ignorieren sollen, hätte weitergehen und ihn stehenlassen sollen, doch meine Füße rührten sich nicht. Erst Tante May konnte mich aus meiner Trance reißen, als sie mich hinter sich zog und sich vor mir aufbaute. Neugierig wie ein kleines Kind spähte ich über ihre Schulter und musterte den jungen Mann, der mit einer solchen Selbstsicherheit auf uns zutrat, dass ich fast den Halt verloren hätte. Die Kraft und die Autorität die er ausstrahlte, war überwältigend. Seine Haltung wies darauf hin, dass er sich von niemanden etwas sagen ließ und auch keine Angst hatte. Haltsuchend krallte ich mich an Tante Mays Schulter fest. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Josh zu uns trat und meine Hand in seine nahm. Früher hatte dies immer eine beruhigende Wirkung auf mich, jetzt fühlte es sich falsch an. Als würde meine Hand unter seiner Berührung brennen. Und das nicht im guten Sinne. Langsam entfernte ich seine Hand von meiner und betrachtete den Fremden intensiver.

Her destiny ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt