Kapitel 3

42 2 0
                                    


Kapitel 3

Enya

Lustlos stochere ich in meinem Essen herum, den Kopf in Gedanken versunken. Vor allem während den Mahlzeiten holen mich die Erinnerungen an vergangene Zeiten ein. Früher herrschten hier lebendige Gespräche, jetzt wird kaum noch geredet. Ständig schweifen die abneigenden Blicke meines Vaters auf die gegenüberliegende Seite des Tisches, doch Kyle scheinen diese nicht mehr zu stören. Anfangs dachte ich noch, er könnte die Leere, welche Mama und Nathaniel hinterlassen haben, ein wenig vertreiben, stattdessen wurde es nur noch schlimmer. Dabei ist das Element, dem sie sich angehörig fühlen, das einzige, was sie wirklich voneinander unterscheiden. Immer wieder versuche ich, ein Gespräch anzufangen, das nichts mit der Lage des Feuerreiches zu tun hat. Ziemlich schnell wird aber aus einem Gespräch eine Uneinigkeit.

In Momenten wie diesen wünsche ich mir, dass Mama uns nie verlassen hätte. Seit sie weg ist, hat sich so vieles verändert, auch Nathaniel vermisse ich jeden Tag mehr. Besonders wenn ich daran denke, was das Luftreich aus ihm gemacht hat. Bei unserer Begegnung im Rekrutenlager wollte ich nicht glauben, dass der gleichgültige Kerl mein Bruder ist. Übel kann ich es ihm aber nicht nehmen, denn auch an mir hinterliess der Krieg seine Spuren.

Um auf andere Gedanken zu kommen, sehe ich zu Kyle hinüber, der nachdenklich in seinen Teller blickt. Ohne ihn zu fragen, weiss ich, was in seinem Kopf vorgeht. Der Verdacht, Dämonen in der Nähe zu haben, ist das letzte, was uns noch fehlt. Auch wenn hier ständig Angst vor dem Feind herrscht, blieben wir bisher verschont. Vielleicht wird es noch so bleiben, vielleicht stehen wir schon bald einem Kampf gegenüber, den wir kaum gewinnen können. Ein Dorf fünf Stunden von der Grenze entfernt, nur mit dem nötigsten an Kriegern bewacht. Wie sollten wir da einem Angriff standhalten?

Als ich erneut zu Kyle blicke, ist sein Blick ernster geworden und ich beginne, mir ernsthaft Sorgen zu machen.

"Hast du noch etwas gehört?", erkundige ich mich vorsichtig, im Wissen, ein heikles Thema angesprochen zu haben.

Heute Morgen hat er sich mit ein paar Neutralen getroffen und wahrscheinlich ging es um das, was Tobias uns gestern erzählt hatte.

Kritisch sieht mich Vater an und zieht fragend eine Augenbraue hoch.

"Man soll Dämonen in der Nähe gesehen haben", erkläre ich mit leiser Stimme.

"Und die Neutralen wissen zuerst davon", bemerkt Vater barsch in Kyles Richtung, dieser hebt nur ruhig den Blick.

"Wie oft muss ich dir noch sagen, dass wir nichts mit den Dämonen zu tun haben?"

"Worum ging es denn sonst?"

Langsam lehnt sich Kyle ein wenig zurück und faltet die Hände auf dem Tisch, ohne den Blick von Vater abzuwenden.

"Wir hatten eine Diskussion darüber, wie wir uns im Falle eines Angriffes verhalten werden", rechtfertigt sich Kyle. "Als Unparteiische ziehen wir nicht in den Kampf, jedoch waren einige der Meinung, dass die Verteidigung ihrer Heimat einer Ausnahme bedarf."

"Sollen die Dämonen nur kommen", knurrt Vater vor sich hin. "Die werden schon sehen, was es ihnen bringt."

"Ist das so?", hinterfragt Kyle spitz seine Behauptung.

Mit einem Seufzer lege ich den Kopf in meine Hände. Genau eine solche Streiterei wollte ich vermeiden. Innerlich hoffe ich, dass Kyle nicht auf seine Worte eingeht, aber er scheint gereizter zu sein als sonst.

"Was willst du damit sagen?"

"Ich habe die Dämonen kämpfen sehen und glaubt mir, die Stärke, von der man erzählt, ist berechtigt. Und du glaubst, die wenigen Krieger, die ihr hier habt, sollen euch davor beschützen können?"

"Du darfst uns nicht unterschätzen", widerspreche ich ihm stolz "Das Feuer ist noch nicht erloschen und die Kraft, die es uns gibt, kannst du mit nichts vergleichen."

"Ein flammendes Gefühl in eurem Herzen soll euch also retten können?", macht sich Kyle über unser Element lustig. "Hör doch auf mit diesen Illusionen. Die Überreste eines einst wohlhabenden Reiches stehen im Kampf gegen drei Völker, von denen das stärkste nur darauf aus ist, uns zu vernichten. Dein Feuer bringt dir Garnichts."

Verletzt sehe ich in seine erzürnten Augen und mir will nicht bewusstwerden, warum er so über das sein Element redet. Es ist auch ein Teil von ihm, egal wie sehr er will, er wird sich nie davon trennen können.

Mit einem Ruck schiebt Kyle den Stuhl zurück und wendet sich von uns ab.

"Kyle bitte", versuche ich ihn zurückzuhalten, doch er zieht sich bereits seine Jacke an und öffnet die Tür.

"Ich lasse mich nicht auf solche Diskussionen ein."

Mit diesen Worten lässt er Vater und mich zurück und zieht die Tür hinter sich zu. Das Knallen verstummt und keiner von uns sagt etwas.

Müde stütze ich den Kopf auf. Während ein Teil von mir versucht, Kyle zu verstehen, kann ein anderer nicht nachvollziehen, warum er so denkt. Er hat viel durchgemacht, vor allem nach dem Verlassen des Rekrutenlagers. Seine Reaktion war einfach nur der Frust, der sich in all der Zeit angesammelt hat und nun Stück für Stück zum Vorschein kommt.

"Danke", schnauze ich meinen Vater an, der nur unschuldig seine Hände vor sich hält.

"Du hast gehört, wie er über unser Volk redet", versucht er sich zu verteidigen, doch ich unterbreche ihn sofort wieder.

"Wie oft habe ich dich gebeten, ihn nicht auf die Seite der Dämonen zu stellen? Kannst du nicht wenigstens versuchen, mit ihm auszukommen?"

"Dieser Kerl ist Luft und nicht Feuer."

Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, beginne ich die Teller zusammenzustellen, doch Vater lässt nicht nach.

"Was passiert, wenn die Dämonen wirklich hier auftauchen? Er wird die Seiten wechseln und sich nicht um dich kümmern."

Erneut versuche ich seinen Worten keine Beachtung zu schenken. Um so etwas beurteilen zu können, kennt er Kyle nicht gut genug. Ich weiss, dass er mich nicht verlassen würde.

"Genau wie es deine Mutter getan hat."

Mit einem Stöhnen erhebt Vater sich und hinkt zum Ofen hinüber, um Holz nachzulegen. Die alte Kriegsverletzung scheint ihm wieder zu schaffen zu machen. Kurz bleibe ich stehen, bevor ich mich kraftlos neben ihn stelle.

"Mama hat uns nicht verlassen, weil sie zum Luftreich gehören wollte oder dich nicht mehr liebt", flüstere ich ihm verletzt zu.

"Ich weiss, meine Kleine", antwortet er leise und legt seinen Arm um mich. "Es ändert aber nichts daran, wo sie und dein Bruder jetzt sind."




Die Elemente des Lebens - Flammen der RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt