Kapitel 6

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Kapitel 6



Mein Blick schweift ruhend über den See, auf welchem sich nur vereinzelt Boote befinden. Verschleierte Wolken ziehen am Himmel entlang und nur schwach scheint die Sonne durch diese hindurch. Mit einem Stöhnen laufe ich ein Stück an der Mauer/Geländer des Turmes entlang. Angespannt versuche ich das metallene Geräusch, welches bei jedem zweiten Schritt erklingt zu ignorieren, aber mein Kopf will es einfach nicht akzeptieren.

Ein Tag gleicht hier dem anderen. Manchmal Sonne, oft Regen und die Monotonie scheint kein Ende zu haben. Es ist der Mangel an Beschäftigung, welcher/der mich so denken lässt, würden viele sagen. Vielleicht, vielleicht nicht und obwohl ich genug Zeit hätte, mir über solche Sachen Gedanken zu machen, tue ich es nicht. Eine Antwort würde ich nicht finden und es gibt andere Dinge, die mich nicht in Ruhe lassen.

Meine Lage ist pure Ironie. Während des Krieges habe ich mich nach Frieden gesehnt, jetzt habe ich Frieden und trotzdem keine Ruhe. Das Luftreich erlebt eine nie dagewesene Katastrophe und den Menschen hier ist das nicht bewusst, keiner hat ihnen genauere Details erzählt. Ich habe das Wissen, aber die Pflicht zu schweigen, wie es die Bewohner des Feuerreiches im Luftreich tun mussten. In mir tobt ein Krieg, wirre Gedanken, Verzweiflung, Angst, während die Welt um mich in eine tiefe Ruhe verfallen ist und gerade das treibt mich in den Wahnsinn.

Mit jedem Tag, den ich hier verschwende, wird die Stimme in meinem Kopf lauter. Zuerst war es ein Flüstern, jetzt ein unüberhörbares Drängen und egal wie oft ich mir einrede, dass es verrückt ist, will sie nicht schweigen. Ich muss weg von hier. Aber wie? Man hält mich fest auf einer Insel inmitten eines riesigen Sees, dem Herzen des Wasserreiches. Da Wasser kein Vertrauter von mir ist, verschafft mir das einen ziemlichen Nachteil. In den Phasen, in welchen mein Verstand klar denken kann, versuche ich eine Fluchtmöglichkeit zu finden. Es wäre kein Problem, nachts ein Boot zu besteigen, nur habe ich keine Erfahrungen, wie man mit so einem Ding umgeht, schwimmen kann ich auch nicht. Hilfe werde ich auch keine bekommen, so scheidet diese Idee aufgrund von einem zu hohen Risiko aus. Zudem gibt es Gründe, weshalb ich hier bin.

Kraftlos stütze ich meine Arme an der Mauer ab und lasse meinen Blick wieder von der Residenz des Wasserreiches über den See schweifen. Dieses Gejammer bringt mich auch nicht weiter, aber es fällt mir schwer zu wissen, dass mein Reich einen Krieg führt und ich so weit von meinen Dämonen entfernt nichts tun kann, um ihnen zu helfen. Anfangs bekam ich von Boten noch die ein oder andere Nachricht über das Geschehen im Luftreich, die letzte kam jedoch in der Mitte des Sommers, der schon viel zu lange her ist. Vielleicht geht es ihnen besser und sie sehen keinen Grund darin, mir das Mitzuteilen. Wahrscheinlicher ist aber die Tatsache, dass man mir weitere Sorgen ersparen will. Gerade das funktioniert jedoch nicht. Und wieder verlangt mein Kopf, ins Luftreich zurückzukehren. Ich habe selbst gesehen, was passiert, wenn ein Reich seine Königin verliert und das meine, soll nicht das nächste sein. Schon gar nicht, wenn ich noch lebe.

Als ich aus einiger Entfernung Schritte wahrnehme, drehe ich mich gar nicht erst um. Die meisten Menschen haben aufgegeben, mit mir zu reden oder es nicht einmal versucht. Dass ich keine angenehme Gesellschaft bin, weiss ich von selbst, aber gewisse glauben, mir irgendwie helfen zu können.

"Es wird immer einfacher, dich zu finden", meint eine sanfte Stimme. "Du wirst langsam berechenbar."

Auch als ich die Wasserkönigin erkenne, mache ich mir nicht die Mühe, mich nach ihr umzuwenden. Gerade mein Verhältnis zu ihr liegt auf sehr dünnem Eis, was klar an meinem Verhalten liegt. Trotzdem gibt sich Milena die Mühe, ein Gespräch zu versuchen.

"Konntest du die Unruhen im Süden klären?", erkundige ich mich gleichgültig, während sich Milena neben mich stellt.

"Mehrheitlich. Ich kann nur noch nicht verstehen, warum die beiden Stämme unsere Grenze angegriffen haben. Jedenfalls konnten wir sie besiegen, fürs erste."

Milena richtet ihren Blick auf den Horizont und scheint, die vorbeiziehenden Wolken zu beobachten, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass sie viel durch ihre langen, blonden Fransen sehen kann. Ihr Gesichtsausdruck verrät, wie viel Kraft ihr die Verteidigung ihres Reiches kostet. Das Wasserreich grenzt zu ihrem Glück nicht an das, was vom Feuerreich übrigblieb. Deswegen bleiben seinen Bewohnern auch die Probleme erspart, mit denen mein Volk schwer zu kämpfen hat. Nur zwischendurch machen vereinzelt Stämme ein wenig Ärger.

"Wie geht es deinem Fuss?", beginnt die Wasserkönigin das Gespräch von neuem, mit einem Thema, dass mir erspart bleiben kann.

"Dem einen gut, den anderen frag ich, falls ich ihn wieder einmal sehe", entgegne ich mit einem giftigen Ton, worauf Milena nicht antwortet.

Da zieht man einmal leichtsinnig in einen Kampf und verliert dabei die Hälfte seines rechten Schienbeines, das nun kläglich von einem Stück Metall ersetzt wird. Die Wunde war zu gross, um die Blutung anders stoppen zu können. Nun ist es weg und jeder Schritt erinnert mich wieder daran.

"Hast du irgendwas aus dem Luftreich gehört?", frage ich besorgt. "Wie geht es meinen Dämonen?"

Milena lässt sich einen Moment Zeit, während meine Neugier und meine Angst immer grösser werden.

"Nein, ich habe nichts von deinem Reich gehört", beginnt sie, doch ich gebe ihr nicht einmal die Möglichkeit auszusprechen.

"Du warst an der Südgrenze, nicht weit vom Luftreich entfernt, also lüg mich nicht an", kommt die aufgestaute Wut einfach aus mir heraus, aber Milena lässt sich nicht beirren.

"Man hat mich darum gebeten, zu schweigen, damit du dir nicht unnötig Sorgen machst. Es gibt Gründe, weshalb du hier bist."

"Habe ich darum gebeten?", fahre ich sie unsanft an. "Diese Entscheidung wurde gegen meinen Willen getroffen!"

"Und es war die R/richtige. Du warst so schwach nach jenem Kampf. Hätten deine Männer mich nicht dazu überredet, dich hier aufzunehmen, wärst du wahrscheinlich tot", kalt dreht sie mir den Rücken zu, während ihre Stimme in einen ernsten Ton verfällt. "Eine Königin, die ihr Leben zu früh beendete, reicht."

"Der einzige Grund, weshalb ich hier bin, ist meine Verletzung", behaupte ich und mache bestimmt einen Schritt in Milenas Richtung. "Wie du siehst: Ich stehe, spüre schon seit Tagen keine Schmerzen mehr..."

"Und trotzdem bist du nicht in der Verfassung, ein Reich zu führen", unterbricht sie mich scharf. "Zerstreut, unkonzentriert, kopflos. Das Luftreich braucht eine Königin und wenn ich dich so ansehe, scheint es diese bis auf weiteres verloren zu haben."



Die Elemente des Lebens - Flammen der RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt