Kapitel 10

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Kapitel 10

Kyle

Mit jedem Schritt steigt meine Nervosität und ich versuche noch immer die richtigen Worte für das bevorstehende Gespräch zu finden. Noch weiss ich nicht, wem ich gegenüberstehen werde. Entweder jemandem, mit dem man reden kann, oder jemandem, der nicht einmal daran denkt, mir zuzuhören. Es ist beides möglich, im Moment zweifle ich aber daran, dass meine Worte irgendeinen Einfluss haben werden.

Wütend über meine Zweifel schüttle ich den Kopf. Nach Paps Tod habe ich den Mund gehalten und mich von den anderen abgegrenzt, bis ich Shade kennenlernte, und auch im Rekrutenlager fiel ich in diese Muster zurück. Aber nicht hier. Ich will mir nicht sagen lassen, was ich zu denken habe. Deswegen bin ich auch einer der Neutralen. Noch immer wehrt sich ein Teil von mir gegen das Treffen mit dem Dämon, mein Wille ist aber stärker. Jetzt müssen wir ihren Anführer nur noch finden. Bei ein paar Luftkriegern haben wir uns erkundigt. Es hiess immer nur, dass es uns nichts angeht. Tobias hat ihren Anführer aber gesehen und da uns keiner helfen will, suchen wir ihn auf eigene Faust.

Der Schneefall hat sich unterdessen gelegt und verschiedenste Fussspuren bedecken den ganzen Weg. An einigen Stellen entdeckt man auch rote Tropfen, Blut, welches ohne Worte von den Ausmassen der Schlacht erzählt. Beim Gedanken, wie es um das Dorf aussehen muss, dreht sich mir der Magen um. Bisher habe ich zwei Mal ein Schlachtfeld gesehen. Während ich das erste Mal Tage lang das gesehene nicht mehr vergessen konnte, war ich beim zweiten Mal stumpf. Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon so viel Leid gesehen.

Dicht an meiner Seite hält Tobias mit wachen Augen Ausschau nach dem Anführer der Dämonen. Während er jedes Gesicht der Luftkrieger betrachtet, versuche ich meinem Bauchgefühl zu folgen und abzuschätzen, wer von ihnen ein Heerführer sein könnte. Die vielen Blicke, welche sich teils neugierig, teils feindlich auf uns beide richten, lassen mich immer unruhiger werden. Zwei Bewohner eines Feuerdorfes ziehen suchend an Dämonen vorbei und es überrascht mich, dass uns noch keiner Aufgehalten hat.

Plötzlich bleibt Tobias stehen, den Blick auf zwei Dämonen gerichtet, die zufrieden miteinander diskutieren.

"Der grössere der beiden", raunt mir Tobias aufmunternd zu. "Das ist er."

Als ich mich auf ihn fokussiere, stockt mir der Atem und ich wage es nicht mehr, mich zu rühren.

"Du brauchst keine Angst zu haben Kyle."

"Ich kenne diesen Kerl", flüstere ich völlig schockiert.

Ramon. Es musste gerade dieser Dämon sein. Nun wehrt sich jede Faser meines Körpers, nur noch einen Schritt nach vorne zu machen. Ich kann das nicht. Nicht nachdem, was mit Shade geschah.

"Rede du mit ihm", flehe ich Tobias an, mein Blick hängt noch immer an Ramon. "Ich werde es nicht tun."

"Kyle, beruhige dich."

"Der Kerl kann mich nicht leiden", rede ich kopflos vor mich hin und schweige einen Moment, um meine Gedanken ordnen zu können. "Es sind Dinge vorgefallen... Der Grund, weshalb ich hier bin..."

Mutlos blicke ich zu Boden, auch Tobias sagt kein Wort.

"Bleib einfach hier", meint er und geht mit selbstbewussten Schritten auf die beiden Dämonen zu.

Mit jedem Atemzug wird der Schock ein wenig mehr von Wut verdrängt. Ich wusste, dass so etwas passieren würde, wenn ich versuche, mich in den Krieg einzumischen. Auch wenn Shades Tod schon ein halbes Jahr her ist, mache ich mir ständig Vorwürfe deswegen. Es hätte nicht passieren dürfen und trotzdem verlor sie ihr Leben in jenem Kampf. Eigentlich müsste sich meine Wut auf das Feuerreich richten, welches mich und Enya betrogen hat, oder auf Ramon, der diese Erinnerungen wieder in mir hochkommen lässt. Sie richtet sich aber an mich selbst, an meine Naivität, zu glauben, dass Frieden wirklich möglich wäre. Und nun bin ich zu schwach, um meinem Freund zur Seite zu stehen. Dabei habe ich mir geschworen, nicht mehr so zu leben.

Noch immer zerstreut, richte ich meine Aufmerksamkeit zu Tobias, der mit aller Ruhe versucht, mit Ramon zu reden. Der Dämon kehrt ihm aber den Rücken und ignoriert seine Worte. Erst als der alte Mann lauter wird, lässt sich Ramon auf das Gespräch ein. Mit ernster Miene und drohenden Schritten geht er auf Tobias zu, bleibt aber plötzlich stehen. Die grünen Augen des Dämons blicken in die Ferne, genau in meine Richtung. Während mein Atem schneller wird, lehne ich mich an eine Hauswand und versuche, aus seinem Blickfeld zu verschwinden. Vergebens.

Ohne auf Tobias acht zunehmen, lässt ihn Ramon zurück und schadenfreudig bewegen sich seine Mundwinkel nach oben.

"Das gibt es nicht", ruft er mir amüsiert entgegen, als ich mich von der Hauswand löse. "Nach all der Zeit sieht man sich also wieder."

Auf eine Antwort wartend kommt er mir immer näher, doch ich finde keine Worte.

"Es überrascht mich, dich an einem Ort wie hier zu finden", fährt er weiter. "Ich dachte du wärst in dein Dorf zurückgekehrt, aber stattdessen bist du einer von ihnen geworden."

"Ich bin neutral und nicht Feuer", widerspreche ich ihm bestimmt, doch das schüchtert den Truppenführer kein bisschen ein.

"Ohne nachzusehen weiss ich, dass sich eine Flamme auf deiner Brust befindet. Somit ist der Fall klar."

Etwas einwenden kann ich nicht, da seine Aussage durchaus berechtigt ist.

"Wo ist eigentlich deine kleine Freundin?", erkundigt er sich mit süsser Stimme und mir wird sofort bewusst, dass sie ihr Leben verliert, wenn Ramon sie findet.

"Solltest du nicht an der Grenze bleiben?", versuche ich das Thema zu wechseln und die Unbeschwertheit des Dämons schwindet. "Das Luftreich hat versprochen, nicht gegen das Feuerreich vorzugehen."

"Shade hat versprochen, die Grenzen des Feuerreiches nicht zu überschreiten", behauptet er ernst. "Nicht ich."

"Hätte sie das gewollt?"

"Spielt das eine Rolle? Sie kann nichts daran ändern."

Sein Blick kreuzt den meinen.

"Weshalb, solltest gerade du wissen."

"Ich bin nicht schuld an dem, was passiert ist", versuche ich mich zu verteidigen, auch wenn ich mir damit nur selbst etwas vormache.

"Wer hat ihr denn diese Flausen in den Kopf gesetzt", wirft mir Ramon vor und das Feuer in mir breitet sich immer mehr aus.

"Du und deine Männer habt hier nichts zu suchen!"

"Und du nichts zu sagen", fährt er mich grob an und ich weiche zurück. "Es ist schon beinahe lächerlich. Die Königin der Luft lässt sich mehr von einem kläglichen Jäger als von den Männern ihres Reiches sagen."

Geschlagen wende ich den Blick zu Boden, im Wissen, nicht gegen den Dämon anzukommen. Ramon ist mir überlegen und in einem guten Verhältnis stehen wir auch nicht gerade.

Sein Blick weicht kurz von links nach rechts, bevor er mir drohend näherkommt.

"Ich weiss nicht, was ich von dir halten soll", gesteht er mir mit kaum hörbarer Stimme. "Tu mir also den Gefallen und steh mir nicht im Weg. Dann habe ich meine Ruhe und du dein Leben."

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Die Elemente des Lebens - Flammen der RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt