Kapitel 2

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Kapitel 2

Ramon


Die Nacht ist der einzige Zeitpunkt, an dem Ruhe herrscht. Das gleichmässige Atmen der Krieger, die neben mir schlafen, ist zu hören, vereinzelt ein flüchtiges Geräusch ausserhalb des Zeltes. Aber gerade dieser trügerische Schein macht die Nacht so gefährlich, es könnte etwas passieren. Jederzeit. Und gerade, wenn man am wenigsten damit rechnet, sind die Ausmasse eines Angriffes am verheerendsten.

Immer öfter will ich den Frieden der Nacht in mich hineinlassen, aber nicht einmal in meinen Träumen lässt mich der Krieg los. Keinen von uns. Eigentlich kommt man gut damit aus, hält der Druck nicht über eine zu lange Zeitspanne. Verteidigt man aber sein Reich schon seit zweieinhalb Jahren, nagen die Zustände stark an einem und man sehnt sich nach einem Ende, einer Erlösung, die nicht zu kommen scheint. Und so kämpfen wir weiter, Tag für Tag, völlig auf uns allein gestellt.

Unruhig drehe ich mich auf den Rücken und blicke müde an die Decke des Zeltes. Ein weiterer Nachteil, den die nächtliche Ruhe mit sich bringt: man hat Zeit, sich Gedanken über alles Mögliche zu machen. Wenn mein Kopf einmal nicht mit dem Krieg oder der Verteidigung unseres Reiches beschäftigt ist, schweift er ab, zu ihr. Mir Sorgen um Bianca zu machen, ist eigentlich sinnlos. Sie ist eine Kriegerin, durch und durch, trotzdem belastet es mich, meine Geliebte mit unserem ersten Kind allein zu lassen. Schon seit Beginn dieses Rekrutenlagers habe ich sie nicht mehr gesehen, auch wenn ich es gerne ändern würde. Mein Reich braucht mich und wahrscheinlich kommt Bianca besser ohne mich zurecht, als ich ohne sie. Mit der Erinnerung an sie schliesse ich die Augen wieder und versuche ein wenig Schlaf zu finden, während mein Atem immer ruhiger und gleichmässiger wird.

Leicht erschrocken zucke ich zusammen, als etwas an meiner Schulter rüttelt. Müde setze ich mich auf und drehe mich dem Zelteingang zu. Die kalte Luft strömt hinein und lässt mich sofort in ein Frösteln verfallen.

"Du bist dran", flüstert mir ein Dämon zu und legt eine Sanduhr neben mir nieder.

Ohne eine Antwort abzuwarten geht er wieder, während ich mir meine Schuhe anziehe, nach meiner Jacke greife und in die Dunkelheit der Nacht heraustrete.

Schon beim ersten Atemzug schlägt mir Kälte ins Gesicht. Man kann den Schnee schon riechen, denn es wird nicht mehr lange dauern, bis der erste fällt. Egal ob mit oder ohne Schnee, die Temperaturen, denen wir hier ausgesetzt sind, können kaum unmenschlicher sein. Lautlos schliesse ich das Zelt hinter mir und entferne mich, den Blick in den sternenklaren Himmel gerichtet. Der Mond erhellt unser Lager ein wenig, viel kann man trotzdem nicht erkennen. Mehr mit Erinnerung als mit meinen Augen mache ich mich auf den Weg zu den anderen Dämonen am Rand.

Rund um die Zelte herum patrouillieren Krieger, um das Lager vor dem Feind zu beschützen. Auch wenn die letzten Tage nie etwas geschah, wurden die Anzahl der Wachen nicht verringert. Der Feind wartet nur auf eine solche Entscheidung, um uns überlegen zu sein. Auf Feuer wird verzichtet, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen, auch wenn ein wenig Wärme nicht schaden würde.

Wie die letzten Nächte steuere ich auf einen grossen Felsen zu, an welchem ich den Umriss eines Dämons entdecke. Sein Blick schweift mit einer langsamen Bewegung von links nach rechts, bevor er wieder nach vorne sieht. Am Felsen angekommen suche ich mit der Hand nach einer flachen Stelle und platziere die Sanduhr dort. Noch viermal wird der Sand von oben nach unten rinnen, dann werden die schlafenden Dämonen geweckt. Das werden zwei lange Stunden.

"Ist bisher etwas Ungewöhnliches passiert?", erkundige ich mich bei Damian, woraufhin er abwesend den Kopf schüttelt.

"Nicht, dass ich wüsste", antwortet er nachdenklich. "Es sieht so aus, als würde das Feuerreich langsam aufgeben."

In der letzten Zeit wurden ihre Angriffe weniger, genau wie ihre Krieger. Das liegt zum einen daran, dass sie als gespaltenes Reich nicht dieselbe Kraft aufweisen können wie das Luftreich. Mein Gefühl lässt mich eher darauf schliessen, dass etwas anderes hinter ihrem Rückzug liegt.

"Sie scheinen sich auf eine grössere Schlacht vorzubereiten", überlege ich laut und Damian zuckt nur mit den Schultern.

Der Grenzwächter ist schon seit Kindestagen ein guter Freund von mir, als wir uns noch mit Stöcken die Köpfe eingeschlagen haben. Er ist ein guter Kämpfer, auch wenn er sein volles Können nicht oft einsetzt. Für mich ist Damian auch einer der wenigen, mit denen man noch reden kann. Seit Shade nicht mehr bei uns ist, herrschen grössere Unstimmigkeiten zwischen den Dämonen, denn eine Frage spaltet unser Reich in zwei Teile. Soll man gegen das Feuerreich kämpfen oder einfach die Grenzen belagern, wie wir es zuvorgetan haben. Schon von Anfang an versuchten die wichtigsten Vertreter des Militärs, einen gemeinsamen Weg zu finden, bis aber ein Entschluss getroffen wird, folgt jeder seinem eigenen Weg.

Damian verschränkt die Arme vor der Brust und zieht den Kopf ein wenig ein.

"Kalt?", erkundige ich mich amüsiert.

"Als ob es dir anders gehen würde", gibt er gereizt zurück. "Wir hätten im Frühling losziehen sollen, aber jemand hatte es ja besonders eilig, ins Feuerreich aufzubrechen."

"Hör auf zu jammern. An jedem Tag, den wir mit warten verschwenden, wird unser Feind stärker", erkläre ich ihm genervt, obwohl er das längst weiss. "Zudem werden wir uns eine feste Unterkunft für den Winter suchen."

In einem Zeltlager zu überwintern würde nur unnötig Probleme aufbringen. Mit der zunehmenden Kälte gehen wir das Risiko ein, hier draussen zu erfrieren, zudem schwindet die kaum vorhandene Motivation nur noch mehr.

"So wie ich dich kenne, soll diese feste Unterkunft im Feuerreich sein", bemerkt Damian kritisch.

"Wir machen Druck und unser Feind wird wieder lernen, uns zu fürchten."

"Wir hatten aber den Befehl, die Grenze zu belagern."

"Shade ist nicht hier", fahre ich in unsanft an. "Deshalb müssen wir unsere eigenen Entscheidungen treffen. Die Grenze zu belagern bringt nichts, das hast du selbst gesehen."

Müde richte ich meinen Blick auf die weite Ebene vor uns. Gerade als wir es am wenigsten brauchen konnten, musste Shade uns verlassen. Noch hält der Wille unser Reich zusammen, aber es kommen immer mehr Spannungen auf. Wenn sich nicht langsam etwas ändert, wird das Luftreich zerfallen, wie es das Feuerreich vor uns tat. Das wird aber nicht passieren. Nicht solange ich noch etwas dagegen tun kann.



Die Elemente des Lebens - Flammen der RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt