Kapitel 11
Shade
Tief in Gedanken versunken betrachte ich die Fliesen, welche abwechselnd aus weissen und schwarzen Steinen bestehen. In gleichmässigen Abständen befinden sich glatte, weisse Säulen an der Wand zu meiner linken, dazwischen grosse Fenster. Die Aussicht wäre schön von hier aus, würden nicht die dunklen Regenwolken meine Aufmerksamkeit anziehen. Während die Bewohner des Wasserreiches sich von diesem Mistwetter nicht beeinflussen lassen, meide ich jeden Kontakt mit dem Regen. Ich habe keine Verpflichtungen, die mich dazu zwingen. Um eine Beschäftigung zu finden, folge ich einem der Gänge, die mir alle gleich scheinen. Nur die Aussicht ändert sich und gerade diese ist das einzige, woran ich mich orientieren kann.
Auch wenn ich seit zu langer Zeit hier bin, schaffe ich es doch immer, mich in der Wasserresidenz zu verirren. Sei es an meinem Mangel an Konzentration oder am fehlenden Willen, mir diese Wege zu merken. Es entspannt aber, einfach einem Gang zu folgen und zu sehen, wo man hinkommt. Früher oder später findet man sich am gleichen Ort wieder. Das jedoch erinnert mich wieder daran, dass ich auf dieser verdammten Insel festsitze und einfach nicht vom Fleck komme, während mein Reich auf mich angewiesen wäre.
Ab und zu begegne ich Bewohnern des Wasserreiches, die mich auch nach einem halben Jahr noch anstarren, als würde ich hier nicht hingehören. Tue ich auch nicht, aber es ärgert mich jedes Mal, dass mir die Menschen unter die Nase reiben, dass ich anders bin. Gerade Dämonen sind in keinem der anderen Reiche gerne gesehen. Die meisten haben akzeptiert, einen Dämon bei ihrer Residenz zu haben, trotzdem liegt eine Grenze zwischen mir und den anderen, die nicht überwunden werden kann. So mussten sich auch die Bewohner des Feuerreiches fühlen, als sie ins Luftreich kamen. Nun ich verstehe, wie schwer es für sie sein musste. Nur hatten sie den Vorteil, nicht allein gewesen zu sein.
Eine breite Tür, in deren Holz verschiedene Muster eingekerbt sind, erregt meine Aufmerksamkeit. Wenn es etwas gibt, was die Luft- von der Wasserresidenz unterscheidet, dann die Mühe, die man sich beim Erbauen gegeben hat. Während die Residenz des Wasserreiches ihre unglaubliche Schönheit ausstrahlt, ist unser Hauptgebäude eine Festung. Dunkle Gänge, schlichte Steinmauern, aber für jeden Angriff bereit. Im Ernstfall könnte ich mir nicht vorstellen, wie das Wasserreich ihre Residenz schützen will. Vielleicht glauben sie, durch das Wasser, welches sie umgibt, unerreichbar zu sein.
Als ich mit meinen Fingern vorsichtig über das Holz fahre, nehme ich Stimmen wahr, die auf der anderen Seite in eine Diskussion verwickelt sind. Ein Treffen, bei welchem die nächsten militärischen Züge besprochen werden, vermute ich. Für mich waren sie nie etwas Besonderes, aber jetzt würde ich vieles dafür geben, wieder einem solchen Treffen vorzustehen. Unauffällig lasse ich meinen Blick den Gang hinunterschweifen. Eigentlich geht es mich nichts an, was besprochen wird, trotzdem halte ich mein Ohr an die Tür. Vielleicht kann ich so etwas über die Lage meines Reiches herausfinden.
"Ich weiss nicht, wie lange wir die Situation an der Grenze unter Kontrolle halten können, aber es wäre ein Fehler, deswegen die Sicherheit unseres Reiches zu gefährden" erklingt eine tiefe Männerstimme.
"Da muss ich ihm zustimmen. Wir hatten bisher nichts von diesem Bündnis, zudem habt Ihr die Dämonen oft genug gewarnt", meldet sich ein zweiter.
"Ich kann verstehen, weshalb ihr unsere Krieger aus dem Luftreich zurückziehen wollt", höre ich Milenas ruhige Stimme, "aber wir sollten diesen Schritt nochmals überdenken."
Meine Hände ballen sich zu Fäusten, während die Wut in mir immer grösser wird. Ohne mir Gedanken über mein Handeln zu machen stosse ich die Tür auf und stürme in den Raum hinein.
"Was soll das heissen, ihr zieht eure Soldaten zurück?", schreie ich der Wasserkönigin entgegen/zu, während sich erschrockene und überraschte Blicke auf mich richten.
"Nimm Platz", fordert mich Milena auf und weist mit ihrer Hand auf einen freien Stuhl.
"Wir hatten eine Abmachung."
"Und du hier nichts zu suchen", bemerkt sie kalt und erhebt sich langsam von ihrem Platz am anderen Ende des Tisches.
"Wir haben zu wenig Krieger um die gesamte Grenze unseres Reiches abzudecken. Zuerst zog das Erdreich seine Krieger zurück und ihr nun auch", lasse ich meine ganze Wut an der Wasserkönigin aus. "Dann erklär mir einmal, wie wir unsere Leute beschützen sollen?"
Schweigend fixiert sie ihren finsteren Blick auf mich, ich tue es ihr gleich.
"Verschwinde", zischt sie mich an, auch die anderen Männer sehen mich feindlich an.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehe ich mich um und verlasse den Raum.
Unbeherrscht stampfe ich den Gang hinunter und versuche die Gedanken in meinem Kopf zu verdrängen. Etwas stimmt in meinem Reich nicht. Würde es meinen Dämonen bessergehen als an dem Tag, als ich sie verlassen habe, hätte man mir das gesagt, damit ich mir keine Sorgen machen muss. Da man mir aber die Lage des Luftreiches verschweigt, kann das nichts Gutes bedeuten. Und nun sollen wir noch ohne die Hilfe des Wasserreiches zurechtkommen. Ich habe die letzten zwei/drei Jahre selten um die Unterstützung der anderen beiden Reiche gebeten und gerade, wenn man diese wirklich braucht, wird man im Stich gelassen. Keine der beiden Königinnen hat sich verändert. Schon als das Luftreich beinahe an der Hungersnot zugrunde gegangen wäre, waren wir immer nur auf uns gestellt. Nur mein Volk hat zu mir gehalten. Nun soll wieder der Zusammenhalt der Dämonen unser Reich retten, aber wenn der Druck von aussen zu stark wird, werden sie ihm früher oder später nicht mehr standhalten können. Damit wäre das zweite Reich zerbrochen und das nur, weil ich meine Pflicht nicht erfüllen konnte. Weil ich mein Reich im Stich gelassen habe.
"Shade", erfüllt Milenas Stimme den Gang und ich bleibe stehen. "Hör zu, ich weiss..."
"Lass mich einfach in Ruhe!"
"Wenn du mir die Chance geben würdest, dir das zu erklären..."
"Du bist eine jämmerliche Verräterin!"
"Damit zwei Dinge geklärt sind", faucht sie mich an. "Erstens wurden hier noch keine Entscheide gefällt. Ich habe besonders einem Kerl angedroht, unsere Truppen zurückzuziehen und er hat sich darüber lustig gemacht, anstatt sein Handeln zu überdenken."
Ihre Worte verhallen und während ich mich widerwillig zu ihr umwende.
"Zweitens", beginnt sie mit fester Stimme, "hätte ich dir nicht helfen müssen, als du beinahe deinen Verletzungen erlegen wärst. Trotzdem habe ich es getan. Gegen den Willen meines Volkes, für den Frieden und um nicht tatenlos zuzusehen, wie ein weiteres Reich zugrunde geht. Dass es unglaublich schwer für dich ist, diese Situation zu akzeptieren, verstehe ich ja, aber man sollte wenigstens erwarten können, dass du dich ein wenig zusammenreisst."
Erneut legt sich ein Schweigen zwischen uns und ich beschliesse, weder die Diskussion weiterzuführen, noch mich zu entschuldigen. Das würde mein Stolz nicht zulassen.
Als mir Milena den Rücken gekehrt hat, wendet sie sich ein letztes Mal um.
"Das hier ist mein Reich und solange du nicht in der Lage bist, dich selbst unter Kontrolle zu halten, sollte es dir nicht einfallen, mir zu sagen, was ich zu tun habe."
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Die Elemente des Lebens - Flammen der Rache
AdventureBand 3 und das Finale der "Elemente des Lebens" - Reihe Seit jenem verhängnisvollen Ereignis muss auch das Luftreich ohne seine Königin zurechtkommen. Doch in einer Zeit, in der ein nie dagewesener Krieg den Reichen bevorsteht, droht der Zusammenhal...