ARC 2 - ENTRY 11

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"K-Kanami....", wisperte Selene vertraut und schrecklich, während scheinbar endlose Flüsse aus Blut den Stein unter uns überzogen und drohten meine graue Hose hinauf zu klettern. "Lass m-mich hier..."

"Nein, auf keinen Fall!", entgegnete ich energisch und zog sie beschützend näher an mich.

Ihr übernatürlich rotes Blut fühlte sich heiß an auf meinen vor Kälte tauben Händen und schien einen angsteinflößenden Glanz auszustrahlen. Ich wollte es nicht mehr sehen, konnte meinen Blick aber nicht davon abwenden.

Plötzlich begann die Umgebung zu verschwimmen, so als hätte man einen Eimer Wasser über ein frisch getuschtes Bild geschüttet. Langsam wurden die Formen unklar, Farben flossen herab wie Honig, verschwammen ineinander und erschufen eine grässliche Mischung.

Entsetzt schrie ich auf, als ich bemerkte, wie kalt Selenes Körper eigentlich geworden war. Sie war so kalt, dass ich es durch ihre Kleidung spüren konnte. Ein Blick in ihr sonst so schönes Gesicht ließ mich erstarren. Die Augen, die einst voller Freude geleuchtet hatten, waren nun dumpf und blicklos. Das grüne Feuer in ihnen schien erloschen zu sein; für immer. Ihre Haut war so bleich wie der verschwimmende Schnee unter uns und ihre schwarzen Haare waren unordentlich über ihr vom Schnee und Schweiß nassem Gesicht verteilt. Die Lippen hatten ein intensives Violett angenommen und waren einen Spalt breit geöffnet.

Mittlerweile war unsere Umgebung kaum noch wieder zu erkennen. Sowohl der Untergrund, als auch der Himmel und alles Andere waren formlos und getaucht in ein dreckiges, dunkles Braun; hin und wieder tauchten einige schwarze und schmutzig-weiße Flecken auf.

"Kein schöner Anblick, hm?", fragte Selene plötzlich mit fester, normaler Stimme und schaute mich mit ihren kalten, leblosen Augen direkt an.

Ich wagte es nicht mich zu rühren und starrte entsetzt auf sie herunter. Allerdings war sie noch nicht fertig mit ihrer Darbietung der Angst. Mit der blutigen Hand, mit der sie zuvor ihre Wunde zugepresst hatte, öffnete sie ihre Jacke und schlüpfte aus ihrer Hose und den Stiefeln. Wie ein Schmetterling, der seinem Kokon entstieg, erhob sich Selene aus meiner inzwischen schwachen Umarmung, gekleidet in ein schlichtes, weißes, knielanges Kleid.

Jeder Winkel meines Körpers war erfüllt mit reiner Angst. Ich wagte es kaum zu atmen, obwohl meine Lunge nach Luft rang. So kniete ich erstarrt vor ihr und starrte zu ihr hoch wie ein Kind, das Ärger von seiner Mutter erwartete.

"Ich würde jetzt nicht so aussehen, wenn du damals hinten gelaufen wärst, Kanami.", sagte Selene mit hasserfüllter, schriller Stimme und ein Schwall Blut ergoss sich über ihre Lippen.

Mit jeder Sekunde veränderte sie sich immer mehr und wurde furchteinflößender und unmenschlicher. Ihre Haut war jetzt nicht mehr weiß, sondern grau, sie schien mit einem Mal all ihre Muskelmasse verloren zu haben und ihre Wangenknochen traten deutlich hervor.

"I-ich...ich habe d-doch versucht...", brachte ich als Verteidigung hervor, wurde aber durch ein Zischen von Selene unterbrochen, welches mich stark zusammenzucken ließ.

"Es ist deine Schuld, Kanami! Du hättest mich retten können, ODER LEUGNEST DU ES?!"

"S-Selene...i-...", stammelte ich zitternd, doch sie gab mir keine Chance zum Sprechen.

"ES TUT SO WEH, KANAMI! MEINE WUNDE TUT WEH, KANAMI! DIE FEUER DER HÖLLE TUN WEH, KANAMI! WÄRST DU DAMALS AN MEINER STELLE, MÜSSTE ICH JETZT NICHT SO LEIDEN, KANAMI!" Ihre Worte klemmten mir den Atem ab.

Während sie sprach, lösten sich Bluttropfen aus ihrem Mund und trafen mein Gesicht, aber ich hatte zu große Angst, um mich zu bewegen und sie wegzuwischen.

"WArUm bLeIBst dU nIchT BeI mIr uNd lEIsTest mIR GEseLlsCHaft? ZuSSAmmen iSt dOCh allEs beSsEr!", kreischte sie breit grinsend, wobei die Haut an ihren Mundwinkeln aufriss.

Mit einem Mal umgaben mich tiefschwarze Flammen und enorme Hitze. Ich sah, wie das Feuer meine Gliedmaßen herauf kroch und mein Gewebe nach der Kleidung hungrig verschlang. Ein schmerz- und angsterfüllter Schrei entrang sich meiner Kehle als Selene schrill lachte und dann mit den knochigen Armen vor dem Körper vorschnellte...

Mit einem lauten, tiefen Atemzug riss ich die Augen auf und schoss kerzengerade und schweißgebadet aus meinem Alptraum. Auf die Bettdecke schauend zwang ich mich allmählich zur Ruhe und mein Atem normalisierte sich langsam.

Ich zog meine Handschuhe aus und rieb mir die kalten Hände aneinander, um irgendein Gefühl in sie hineinzubekommen. Sie waren so kalt, als wäre ich durch den Traum wirklich an die verschneite, schreckliche Kulisse zurückgekehrt.

Einige Momente später strich ich mit meiner linken Hand durch mein teilweise von Schweiß durchnässtes Haar, bis ich an den kleinen Zopf ankam und über die glatten Perlen strich.

Der Schock verblasste nach einiger Zeit, sodass ich endlich aufstehen konnte. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es ungefähr 9:00 Uhr morgens war, was mich dann auch nicht weiter kümmerte.

Die Handschuhe ließ ich auf dem Bett liegen und zog mir noch Socken an, bevor ich erst zum Bad und dann ins Wohnzimmer tappte. Dort warteten Akito, Diego und Rina jedoch mit einer Überraschung auf mich.

Es ertönte ein Knall, der mich leicht zusammenzucken ließ und im nächsten Augenblick rieselte buntes Konfetti auf mich herunter.

"Alles Gute zum Geburtstag, Inoue-sensei!"

Ich blinzelte verwirrt. "Geburtstag?"

Akito deutete grinsend auf den Kalender, wo der 4. September eingekreist war. Bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass es noch der ganz alte Kalender war, den Hiroshi-sensei damals für uns gekauft hatte. Jeder hatte seinen Geburtstag dort eingekreist.

"Sagen Sie bloß, Sie haben Ihren Geburtstag vergessen.", lachte Rina.

"Ich habe ihn eine lange Zeit nicht gefeiert.", gestand ich.

"Dann wird es höchste Zeit das nachzuholen.", meinte Diego lächelnd.

Akito deutete auf den Sessel, auf dem ich hier sonst immer saß, der vor einem feierlich gedeckten Tisch stand. Na ja, feierlich war er nur für Kriegsverhältnisse.

Die drei hatten Tee gemacht und es sogar geschafft irgendwo Kekse, ganz viele andere Süßigkeiten und sogar einen Kuchen aufzutreiben.

"Das muss doch ein Vermögen gekostet haben.", stellte ich erstaunt klar.

"Meiner Mutter gehört eine Bäckerei nicht weit von hier entfernt. Als ich ihr von diesem Anliegen erzählt habe, hat sie uns sofort geholfen.", erklärte Akito.

"Wie viel wollte sie dafür?", fragte ich.

Der Junge lachte. "So viel, wie Feuer im Kamin ist."

Er war aus.

Rina zog eine Einkaufstüte hinter einem der Sessel hervor und reichte sie mir. "Ihr Geschenk, Herr Inoue."

Zögernd griff ich hinein und holte einen dunkelblauen Schal mit weißen Pünktchen hervor, welche anscheinend Sterne symbolisieren sollten. Er war weich und fühlte sich sogar für meine rauen Hände angenehm an.

"Unsere Mission wird wahrscheinlich im Herbst stattfinden, deswegen dachten wir uns, wir schenken Ihnen einen Schal.", erklärte Diego.

"Wieso tut ihr das alles für mich?" Ich konnte es noch immer nicht glauben.

"Weil Sie unser Mentor sind. Ganz einfach.", entgegnete Rina für alle.

"Das kann unmöglich der Grund sein.", stritt ich ab.

"Ob Sie es glauben, oder nicht, ist allein Ihnen überlassen, aber es ist die Wahrheit.", sagte Akito ruhig aber freundlich.

Ich hob den Schal zu meinem Gesicht und vergrub dieses kurz in dem weichen Stoff. "Ich danke euch. Auch wenn ich nicht wirklich dankbar aussehe."

Rina klatschte einmal laut in die Hände. "Lasst und frühstücken."

ARC 2 - BEENDET

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The Story of a White Wolf |✓|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt