Eine Woche später; laut meiner Zählung und Zeitgefühl zumindest.
Nach dem Ereignis bei der Hinrichtung hatte man mich in Einzelhaft gesteckt. Die Zelle schien im Keller gelegen zu sein, denn es gab hier keine Fenster und der Gang draußen war eher Kerker ähnlich angelegt; das ganze Licht kam von den gelblichen Lampen auf dem Gang. Die Tür bestand aus Eisengittern und hatte unten eine kleine, rechteckige Öffnung zum Hereinschieben von Essen. Den Luxus einer Holzpritsche wie oben hatte ich hier nicht mehr und als Toilette diente hier nur ein übel riechendes Loch in der rechten, hinteren Ecke der aus Stein bestehenden Zelle.
Da die Soldaten sich vor mir sehr in Acht nahmen, weil sie gesehen hatten, was ich mit meinen bloßen Händen allein anrichten konnte, hatte man mir zusätzlich an jedes Handgelenk eine zum Boden führende Kette angelegt, die mich davon abhielt, zu nah zum Gitter zu kommen. Die Eisenringe, durch die meine Arme angekettet waren, hatten meine Handgelenke aufgescheuert und die Haut wies an einigen Stellen dunkle Flecken auf, deren Farbe ich wegen des mangelnden Lichts nicht ausmachen konnte. Auf jeden Fall schmerzten die Stellen und ließen mich aufwachen, wenn ich mich im Schlaf drehte und das Metall sie streifte.
Auch meine schon vorhanden gewesenen Verletzungen meldeten sich. Mein gebrochener, linker Arm fühlte sich einfach taub an und pochte unangenehm, wenn ich zur Ruhe kommen wollte. Die Wunde an meiner Flanke hatte am ersten Tag hier in der Zelle wieder etwas geblutet, sodass mein Oberteil jetzt genau an dem Punkt ein braun-roter Fleck zierte. Die Verbrennungen an meinem Rücken sandten immer dann stechende Schmerzen durch mein Blut, wenn ich mich streckte oder auf den Rücken drehen wollte.
Und obwohl ich so viele eigene Probleme und Schmerzen hatte, galt meine einzige Sorge Selene. Ich wusste nicht, wie es ihr ging, seit wir getrennt worden waren, wo sie war, oder ob sie überhaupt noch lebte.
So leer wie ich mich fühlte, nahm ich meinen Körper und meine Umgebung kaum wahr, daher bemerkte ich auch erst einige Minuten später, dass jemand seit Langem meine Zelle betrat. Ich saß an der Wand links vom Eingang und hatte meinen Kopf gesenkt, weshalb ich auch nicht wusste, wer dieser Jemand war.
"Kanami, leben Sie noch?", fragte Major Cooper und klang etwas besorgt.
Ich antwortete mit einem lauten Atemzug.
"Das Zentrale Gericht hat über Sie entschieden.", sprach er dann weiter.
Schweigend und unbewegt wartete ich auf die Enthüllung meines Schicksals.
"Sie werden frei gelassen."
Überrascht hob ich den Kopf und sah ihn endlich zwischen den mir ins Gesicht hängenden, dreckig-weißen Haarsträhnen an.
"Alles, was Akito erzählt hat, wurde überprüft und bestätigt.", erklärte Cooper. "Sie haben den wahren Verräter getötet und waren von ihm jahrelang manipuliert worden. Kanami, Sie sind unschuldig."
"Was ist mit Selene?", fragte ich krächzend.
"Auch sie ist unschuldig."
Erleichterung blühte wie eine Blume inmitten der Leere in mir auf und ich seufzte.
"Bei der Durchsuchung von Iros Büro stießen wir auf zwei für Sie sehr interessante Sachen.", meinte Cooper und hockte sich vor mich hin. "Zum Einen, die Summe an Geld, die Iro Ihnen über all die Jahre schuldig war, zum Anderen das hier." Er zog ein Blatt Papier aus der Innentasche seiner Uniform und reichte es mir.
Zwar war es etwas kompliziert bei diesem Mangel an Licht und meinen vor Schmerz leicht zitternden Händen die Schrift zu entziffern, doch ich war von der Front schon Schwierigeres gewohnt.
"Testament...", las ich laut vor. "Hiermit vererbe ich, Hiroshi Yoshiazu, meinem Schüler und Kamerad, Kanami Inoue, im Falle meines Todes meine Wohnung und alles, was sich darin befindet. Möge er richtig damit umgehen..." Verblüfft brach ich ab und schaute Cooper ungläubig an.
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The Story of a White Wolf |✓|
AdventureDie Vergangenheit eines Mörders. ♔️ Die Geschichte eines Soldaten. ♚️ Das Schicksal eines Wolfes. Unteroffizier Inoue (33), ein tot geglaubter Auftragskiller mit dem Spitznamen "Weißer Wolf ", bekommt eines Tages er...