04.

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• Ben Hammersley - Pantomime •

»Nora?«

»Hm?« Ich löse den Blick von der Vase, die ich bis eben unbewusst angestarrt habe, blinzle ein paar Mal und sehe meinem Vater in die dunklen Augen. Er hat die Brauen zusammengezogen und mustert mich, als wäre ich einer seiner Patienten. Fehlt nur noch, dass er sich nebenbei Notizen macht.

Es gibt Momente, da habe ich wirklich das Gefühl, ich stünde einem Psychologen und nicht meinem eigenen Vater gegenüber und es treibt mich jedes Mal in den Wahnsinn.

»Alles in Ordnung bei dir? Läuft in der Schule alles gut?« Als ich kauend nicke, runzelt er die Stirn, aber anstatt mich in Ruhe zu lassen, hakt er weiter nach: »Und mit diesem Jungen, wie hieß er noch? Seid ihr noch zusammen?«

Ich schlucke das Stück Fleisch herunter, das ich mir eben in den Mund geschoben habe und sehe meinen Vater an. »Paps«, sage ich und bemühe mich, dabei ruhig zu klingen. »Du weißt ganz genau, dass er Yashar heißt. Und ja, wir sind noch zusammen. Er ist heute nach der Schule hier gewesen. Ich bin mir sicher, Mama hat dir das schon erzählt.«

Meine Eltern wechseln einen, naja, elterlichen Blick aus. Wie das eben so üblich ist, wenn sich das Kind in ihren Augen seltsam verhält. Ich tue so, als würde ich nichts davon mitbekommen und starre weiter mein Essen an. 

Falls meine Mutter mitbekommen hat, dass ich vorhin geweint habe, lässt sie es sich nicht anmerken. Vermutlich spricht sie es nur nicht an, weil sie einfach keine Wunde aufreißen will, die nie heilen konnte und das rechne ich ihr wirklich hoch an.

Nach dem Essen gehe ich sofort auf mein Zimmer. Ich hole mein Handy raus und lese die Nachrichten, die Yashar mir über WhatsApp geschickt hat, aber statt zu antworten, werfe ich mich auf mein Bett und rufe ihn an. Meiner Meinung nach führt dieses ständige Tippen am Handy zu nichts, jedenfalls nicht, wenn ich ein ernsthaftes Gespräch mit jemandem führen will und in diesem Augenblick brauche ich einfach jemanden, mit dem ich reden kann.

Ich liege auf dem Bauch, verschränke die Beine in der Luft und werfe einen Blick auf die Uhr, während ich mein Handy ans Ohr halte. Es ist spät, aber ich weiß, dass Yashar noch wach ist.

Nach dem zweiten Klingeln hebt er ab, fast so, als hätte er nur auf meinen Anruf gewartet.

»Hey«, höre ich ihn leise sagen.

Es gibt nur einen Menschen auf diesem Planeten, der es schaffen könnte, mich von meinen Gedanken an Atlas abzulenken. Eine Person, die mich meinen Kummer vergessen lässt.

»Hi.« Ich rolle mich seufzend auf den Rücken und starre meine Zimmerdecke an. »Ist dein Vater noch wach?«

Er antwortet nicht, aber ich weiß, dass er noch dran ist. Im Hintergrund brüllt jemand. Eine laute Männerstimme, die mit diversen Schimpfwörtern um sich wirft. Ich verziehe das Gesicht und halte den Hörer auf ein paar Zentimeter Abstand zu meinem Ohr.

Yashars Vater scheint sich nach dem Tod seiner Frau dazu entschlossen zu haben, sein Leben dem Alkohol und schlechten TV-Shows zu widmen. Manchmal frage ich mich, ob er schon immer so gewesen ist, wie er heute ist oder ob ihn das Leben in diese Rolle getrieben hat. Ich würde Yashar gerne fragen, aber es ist schwer, ihn auf seinen Vater anzusprechen. Sobald ich das Thema anschneide, versteift er sich und macht dicht.

Ich setze mich ruckartig auf, als ich am anderen Ende der Leitung einen lauten Knall höre. Gerade als ich den Mund öffne, um etwas zu sagen, ertönt ein lautes Klirren, als würde Glas zerbrechen. 

Als Yashar schließlich antwortet, klingt seine Stimme gedämpft. »Eigentlich nicht. Dachte ich jedenfalls. Ich schätze, er ist eben aufgewacht.«

Behind Blue Eyes [PAUSIERT]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt