23.

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• Ruelle - Find You •

Zehn Minuten laufe ich nun schon orientierungslos in der Stadt herum und warte auf eine Antwort von Atlas.

Nachdem ich Yashar mindestens zwei Millionen Mal angeboten habe heute bei mir zu übernachten, er mir aber jedes Mal versichert hat, dass er nun schon achtzehn Jahre lang mit seinem Vater ausgekommen ist und die paar Monate mehr ihm nichts ausmachen, haben sich unsere Wege getrennt.

Die Schuldgefühle nagen an ihm, das sehe ich und es tut mir weh. Ich will nicht, dass er sich noch länger schuldig fühlt. Klar, es tut weh, zu wissen, dass man mit jemandem zusammen gewesen ist, der einen nie wirklich geliebt hat, jedenfalls nicht auf diese Art und Weise, aber ich bin nicht mehr wütend. Seine Sicht der Geschichte gehört zu haben, hat irgendetwas in mir verändert. Es ist, als könnte ich ihn jetzt verstehen. Natürlich heiße ich nicht gut, was er getan hat und wieso er es getan hat, aber ich kann ihn nicht dafür verurteilen, weil ich nicht weiß, was ich in seiner Situation getan hätte. Ich kann nicht sagen, dass ich nicht auch so gehandelt hätte, wenn ich Yashar gewesen wäre.

Ich bin froh, dass wir uns damals wegen Atlas gestritten haben und Schluss gemacht haben. Auch, wenn das komisch klingen mag, aber ich denke, die Trennung ist eine schönere gewesen, als eine, die wir jetzt hinter uns hätten bringen müssen. Und hätte er mir dieses Ultimatum nicht gestellt, dann wären wir vielleicht immer noch zusammen. Ich würde immer noch in einer Seifenblase leben und Yashar würde sich immer noch hinter einer Lüge verstecken.

Immer wieder schaue ich auf mein Handy, um zu sehen, ob Atlas mir auf meine Nachricht geantwortet hat, die ich ihm geschickt habe, als ich aus der Bar gegangen bin, aber er hat sie noch nicht einmal gelesen. 

Ich sollte ihn nicht anrufen, das weiß ich, ich weiß es, doch am Ende tue ich es trotzdem.

Er geht nach dem dritten Klingeln dran, klingt aus der Puste, fast, als wäre er gerannt. »Nora?«

»Hey«, sage ich und fange beim Klang seiner Stimme an zu lächeln. »Ich, ähm, habe eben mit Yashar geredet und jetzt... ich will einfach nicht alleine sein. Kann ich bei dir vorbeikommen? Ich bin in der Nähe.«

»Nein«, antwortet er so schnell, dass ich fast glaube, ich hätte mich verhört. Überrascht hebe ich die Brauen und setze zu einer Antwort an, als er sagt: »Ich bin nicht zu Hause. Ich arbeite noch. Aber ich kann nach der Arbeit bei dir vorbeikommen.«

»Okay«, sage ich und das Lächeln kehrt augenblicklich zurück.

»Soll ich dir ein Eis mitbringen?«, fragt er vorsichtig und ich weiß, was er wirklich damit fragen möchte.

Ich lache. Er kennt mich zu gut. »Nein, das Gespräch ist ziemlich gut verlaufen.«

»Gut.« Ich kann das Lächeln aus seiner Stimme hören, als ich plötzlich eine andere, wütende Stimme im Hintergrund wahrnehme. Es raschelt kurz, dann: »Nora, ich muss jetzt Schluss machen. Mein Chef ist hier. Bis später.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, legt er wieder auf.

Als ich zu Hause ankomme, sehe ich meinen Vater am Tisch sitzen und stirnrunzelnd auf sein Handy starren. Meine Mutter kommt mit Tellern in der Hand aus der Küche gerannt und strahlt, als sie mich sieht. »Gut, dass du da bist! Es gibt Nudelauflauf. Los, zieh die Jacke aus und setz dich hin.«

Ich lächle knapp, lasse meine Tasche neben den Stuhl fallen und lege die Jacke an die Lehne, bevor ich mich seufzend hinsetze.

Meine Eltern werfen sich einen dieser typischen Eltern-Blicke zu, bevor sie mich ansehen. 

Ups. Das war wohl ein zu langer und theatralischer Seufzer. 

»Hattest du einen harten Tag?«, fragt Mum vorsichtig, streicht ihre Schürze zurecht und setzt sich dann hin. Ihre dunklen Locken wippen kurz auf und ab, als sie sich auf den Stuhl neben mir nieder lässt.

Behind Blue Eyes [PAUSIERT]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt