15.

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Sleeping At Last - Resolve

Fast die gesamte Doppelstunde über starre ich Löcher in Atlas' Hinterkopf, versuche ihm telepathisch Nachrichten zu senden und ihn zu fragen, ob alles okay ist, aber natürlich passiert nichts. Er schaut kein einziges Mal auf, stattdessen schläft er, den Kopf auf seinen Armen gebettet, und niemanden scheint es zu interessieren. Niemanden außer mir.

Herr Weppelmann, der vorne an seinem Pult sitzt, aus seinem Geschichtsbuch vorliest und dabei fast selbst einschläft, bekommt nichts mit. Vielleicht ist es ihm auch schlichtweg egal. Wundern würde es mich nicht. Lehrer wie ihm sind die Schüler egal. In seinen Augen sind wir alle gleich. Wahrscheinlich sitzt er hier seine Zeit nur ab, um sein Geld am Ende des Monats zu kassieren und kann es nicht erwarten endlich in Pension zu gehen. Lange sollte es jedenfalls nicht mehr dauern, wenn man ihn sich mal ansieht.

Ab und zu stellt er dem Kurs eine Frage, aber niemand meldet sich und er beantwortet seine Frage schließlich mit einem tiefen Seufzer selbst. So läuft das meistens ab, aber was erwartet man auch von einem Kurs, der Geschichte nur weiter gewählt hat, weil es Pflicht ist?

Ich starre die Uhr an, die über der Tafel an der Wand hängt und wünschte, ich hätte irgendwelche coolen Superheldenkräfte, um die Zeit schneller verstreichen zu lassen. Es fühlt sich an, als bräuchte der Sekundenzeiger Minuten, um sich endlich mal fortzubewegen. Also sitze ich da, den Kopf an meiner Hand abgestützt und gebe mir die beste Mühe nicht auch noch einzuschlafen. Ich kann es mir nicht leisten den Kurs komplett schleifen zu lassen. Ein paar Punkte brauche ich schon noch für mein Zeugnis.

Aus dem Seitenwinkel bemerke ich Milas Blick, der an mir klebt wie eine zweite Haut. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Mila ist ein Miststück, das große Reden schwingt, aber meistens steckt nichts dahinter - und trotzdem fühle ich mich in ihrer Gegenwart jedes Mal verdammt unwohl.

Anscheinend hat Yashar keinem seiner Freunde erzählt, dass wir uns gestern getrennt haben, anders kann ich mir ihre verwirrte Miene von heute morgen nicht erklären, als ich an meinem üblichen Platz neben Yashar vorbei gelaufen und mich nach hinten gesetzt habe. Gerne hätte ich mich neben Atlas gesetzt, aber leider war er heute Morgen gar nicht da. Er ist gute dreißig Minuten später ins Klassenzimmer gekommen, hat eine Entschuldigung vor sich hin gemurmelt und sich hingesetzt. Seitdem schläft er. Er hat nicht einmal fünf Minuten durchgehalten, bevor sein Kopf müde auf die Arme gefallen ist. Ich beneide ihn darum, dass er damit durchkommt. Der Geschichtskurs bei Weppelmann ist nicht der einzige Kurs indem er öfter Mal zu spät kommt oder einfach einschläft.

»Pssst.«

Ich schaue nach rechts zu Nikolaj, der neben mir sitzt. Er schiebt mir einen kleinen Zettel zu, als ich die Brauen hebe, beugt er sich zu mir vor und flüstert mir ins Ohr: »Den soll ich dir von Yashar geben.«

Verwundert starre ich den Zettel in meiner Hand an, bevor ich aufschaue und die Reihe nach Yashar absuche, bis sich unsere Blicke treffen. Er sieht mich bereits an, als hätte er nur darauf gewartet, und lächelt mir zu. Mein Magen zieht sich zusammen. Ein paar braune Strähnen fallen ihm ins Gesicht, die er sofort wieder zurückstreicht. Ich starre seine perfekten, weißen Zähne an, um die ich ihn jedes Mal so beneidet habe. Yashars Lächeln hat schon immer diese seltsam beruhigende Wirkung auf mich gehabt.

Nein. Niemand stellt sich zwischen Atlas und mich. Nie wieder. Nicht einmal Yashar.

Wütend zerknülle ich den Zettel in meiner Hand, ohne den Blick von ihm zu lösen, und beobachte aufmerksam, wie sein Lächeln langsam in sich zusammenfällt, was mir schon ein wenig Genugtuung bringt. Ich lege das zusammengeknüllte Stück Papier in mein Etui und schaue wieder demonstrativ nach vorne. Arschloch.

Behind Blue Eyes [PAUSIERT]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt