Radagast und Sophie

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Hallo zusammen!

Das hier ist eine Art 'Fortsetzung' zu einem Projekt in einer WhatsApp-Gruppe... Der erste Teil findet sich auf unserem Profil, da werden dann auch die Regeln genauer erklärt.

Los geht es wieder mit einem Oneshot von Thaliana Black über Sophie mit Radagast...

Viel Spaß!




„Komm schon, Kleine, du brauchst keine Angst zu haben!", hörte man die sanfte Stimme einer Elbin durch den Düsterwald schallen – ganz und gar nicht so leise, wie man es von einer Angehörigen des eleganten Volks erwarten würde. „Ich tu dir doch nichts!" Sophie rannte durch das Gebüsch, kratzte sich dabei die Knöchel auf und zerstörte vermutlich ihr Kleid, doch sie verschwendete keinen Gedanken daran. All ihre Sinne waren auf das verwundete Reh konzentriert, dass gerade seine letzten Kraftreserven nutzte, um vor der Elbin zu fliehen.
Nicht nur das Verhalten von Sophie war anders als für eine Elbin üblich, sondern auch ihr Aussehen. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie kurz geschnitten, damit sie ihr nicht ständig ins Gesicht fielen, ihre Augen glänzten in einem hellen Grau und ihre Haut war, im Gegensatz zu der der anderen Elben, golden gebräunt, von den vielen Tagen, die sie draußen verbrachte.
Manch einer würde sagen, dass Sophie sich wie ein Kind benahm, doch sie zählte tatsächlich schon über zwei Jahrtausende, was zwar für die Elben kein sehr hohes Alter war, aber dennoch im Gegensatz zu ihrer kindlichen Art stand. Sie mochte die anderen Elben nicht, die nach und nach dem Ernst des Lebens verfielen, die nicht mehr die Schönheit in der Natur sahen und sich nur noch in ihren Häusern und Palästen verzogen und tranken, um zu vergessen. „Und der König ist ganz groß im Trinken", dachte Sophie bitter und dachte an die vielen Male, in denen Thranduil betrunken auf einem Fest gesessen hatte und die Dreistigkeit hatte, sie über persönliche Dinge auszufragen. Die Krone des ganzen war, dass er der König war – Sophie lachte kurz über diesen Wortwitz – und man ihm deshalb keinen Wunsch abschlagen konnte. Und so hatte sie schon viele schlaflose Nächte damit verbracht, zu hoffen, dass der König zu betrunken gewesen war, um sich an Einzelheiten zu erinnern. Wenn er es tat, ließ er es sich nicht anmerken, aber es wurmte die Elbin dennoch, dass er so viel Macht über sie hatte. Und weil sie auch gut mit seinem Sohn befreundet war, konnte sie den Düsterwald auch nicht einfach hinter sich lassen.
Sophie lenkte ihre Gedanken wieder auf das Reh vor ihr. Es war noch erstaunlich schnell dafür, dass es einen Pfeil im Bein stecken hatte – es schüttelte Sophie bei dem Gedanken daran, wie es überhaupt verwundet wurde. „Könige und ihre blöden Jagdausritte", fluchte sie unelbisch und blieb erneut mit ihrem Kleid an einem Dornenbusch hängen. „Verdammt", machte sie weiter und riss an dem weichen Stoff, bis er nachgab und ein großer Riss den edlen Stoff zierte. Aber das könnte Sophie nicht weniger interessieren; sie rannte einfach nur weiter. Sie konnte das Reh unmöglich so im Wald zurücklassen – es würde sterben!
Keuchend kam sie auf einer Lichtung an und blieb erstaunt stehen bei dem Bild, das sich ihr bot.



Radagast ließ seine Kaninchen den Schlitten in gemächlichem Tempo durch den Wald ziehen. Er musste kaum etwas machen – die Häschen fanden von alleine einen geeigneten Weg für den Wagen, so konnte er sich auf die Umgebung konzentrieren.
Deshalb bemerkte er auch die Vögel, die aufgeschreckt aus dem Gebüsch neben ihm hochflogen, und hielt den Schlitten an. „Was ist das?", murmelte er zu sich selbst, und riss die Augen auf, als ein Reh auf die Lichtung sprang, auf der er sich befand. Es hatte einen Pfeil im Bein stecken – einen elbischen, wie er mit säuerlicher Miene bemerkte – und auf seinen Fersen war ein junges Elbenmädchen. Oder zumindest dachte Radagast, dass sie jung war, denn auf den zweiten Blick sah sie nicht mehr ganz so jung wie gedacht aus. Doch der kindliche Ausdruck und die holprigen Bewegungen ließen ihn dies denken, und ihre für eine Elbin geringe Körpergröße unterstützte diesen Gedanken.
Die Elbin blieb stehen, als sie ihn entdeckte, so hatte er genug Zeit, um das Reh aufzufangen und ihm in eine liegende Position zu helfen. „Habt Ihr das mit ihm angestellt?", fragte er die Elbin mit viel harscherer Stimme als eigentlich gewollt. Das bemerkte er aber erst, als die Elbin erschrocken zusammenzuckte und panisch mit dem Kopf schüttelte. „Nein, mein Herr, ich wollte ihm helfen. König Thranduil ist mit seinem Hofstaat auf der Jagd, und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, den Tieren zu helfen, die nicht durch die Pfeile sterben." Sie klang dabei so aufrichtig, dass der Zauberer keine andere Wahl hatte, als ihr zu glauben. „Nur dieses Exemplar war ein wenig... widerspenstig", ergänzte sie mit einem Seitenblick auf das keuchende Reh.
Auf Radagasts Gesicht breitete sich ein sanftes Lächeln aus. „Ich werde das Tier zu meiner Hütte bringen und versorgen, dann wird er ganz schnell wieder auf den Beinen sein", versuchte er, die Elbin zu beruhigen, die sich wirklich schlecht zu fühlen schien, doch ganz überzeugt schien sie nicht.
„Kann ich nicht lieber mitkommen, Herr? Ich könnte sonst nicht ruhig schlafen, wenn ich nicht wirklich sicher bin, dass es ihm wieder gut geht."
Nun betrachtete Radagast die Elbin genauer. Sie war zierlich gebaut, trug ein zerrissenes Kleid und ihre kurzen, dunkelblonden Haare standen in alle Richtungen ab. Sie sah nicht wirklich aus wie eine Elbin, und könnte Radagast nicht die spitzen Ohren sehen, wäre er sich sicher, dass es ein Menschenmädchen war.
In seinem ganzen Leben war er noch nie einer Elbin wie ihr begegnet. Die Bruchtalelben waren netter als die Waldelben, aber selbst die waren nicht so freundlich und offen wie diese, die offenbar dennoch aus dem Düsterwald kam.
„In Ordnung", stimmte er zu. „Aber wenn es dem armen Tier wieder besser geht, bringe ich Euch wieder zurück." Ein breites Lächeln zierte daraufhin das Antlitz der Elbin und die Beiden gingen zusammen zu Radagasts Hütte.

Zehn Jahre später

Lieber Radagast,

Ich wollte mich noch einmal für unsere Gemeinsame Zeit bedanken – kannst du es fassen, dass es schon zehn Jahre her ist? Im Palast hat sich nichts geändert. Thranduil feiert morgen wieder ein Fest, und er verlangt von mir, dass ich erscheine – mal ehrlich, er wird sich doch eh nur wieder betrinken! Wenn wir alleine sind, ist er so nett und offen, doch seine Pflichten rauben ihm viel zu viel Zeit und Nerven. Außerdem hat er ja seinen kostbaren Ruf zu wahren, den er sich im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut hat... Ganz ehrlich, was ist so toll daran, wenn alle denken, dass man ein egoistischer Mistkerl ist?
Ach, ich wünsche mir unsere Zeit zurück. Damals war ich noch nicht verheiratet, damals war alles noch so einfach... Was hältst du davon, wenn ich dich einmal besuchen komme? Mit Thranduil? Er würde sich sicher freuen, dich kennenzulernen... Ich habe ihm schon so viel von dir erzählt!
Er hat sich übrigens erneut entschuldigt, dass er das Reh angeschossen hat... Obwohl es unsere Freundschaft nicht ohne den Schuss gäbe, war es dennoch keine gute Tat, das scheint selbst er zu verstehen.

Ich wünschte, ich könnte bei dir wohnen. Du hast mir damals gesagt, dass ich jederzeit vorbeikommen könnte... Gilt dieses Angebot noch? Denn um ehrlich zu sein, brauchen sowohl Thranduil als auch ich eine Pause von unseren Pflichten...

Ich freue mich auf eine Antwort!

Deine Freundin Sophie

Lächelnd sah die dunkelblonde Elbin auf den Brief in ihrer Hand. Sie gab den Brief an einen Boten, den sie hatte rufen lassen, und hoffte auf eine schnelle Antwort von ihrem Freund.
„Ist der schon wieder für Radagast?", fragte Thranduil, der gerade ihre Gemächer betrat.
„Was ist so schlimm daran?", fragte Sophie, als sie den genervten Unterton in der Stimme ihres Ehemanns erkannte.
„Er ist seltsam", entgegnete er, als ob das eine ausreichende Erklärung für seine Abneigung dem Zauberer gegenüber wäre.
„Du magst ihn nur nicht, weil du ihn noch nicht kennengelernt hast. Er ist wirklich nett, und er hat sich rührend um das Reh gekümmert, das du so rücksichtslos angeschossen hast."
„Ich bereue nichts", antwortete er kühl, als ob es ihn nicht interessierte, und ging auf unser Bett zu, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Seufzend schickte ich den Boten weg und legte mich neben ihn, und obwohl wir so nah nebeneinander lagen, kam mir die Entfernung zwischen uns größer vor als die zwischen mir und Radagast.

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