Eigentlich hatte Liv mit einem anderen Café gerechnet. Sie hatte ein gemütlich eingerichteten Ort mit einigen Besuchern und kleinen Törtchen erwartet, voller heller und freundlicher Farben. Das war nicht ihr Geschmack, aber es war... normaler. Liv war auch nicht normal und das machte sie stolz. Es war einfach besser, gegen den Strom zu schwimmen und zu allem, was ihr gefiel, zu stehen. Nun stand sie jedoch vor diesem Café und konnte sich nicht so recht entscheiden, ob sie positiv überrascht sein wollte oder sich etwas Sorgen machen sollte, wo sie da gerade hineingeriet.
Sie stand direkt vor einem dunklen Lokal mit einem unleserlichen Namen – entweder es gehörte einem Drogenbaron oder hier war der Sitz eines satanistischen Zirkels. Irgendwie wirkte all das auf sie, als hätte der Rückzugsort gar nicht geöffnet, weshalb sie noch einmal kurz überprüfte, ob sie die Adresse richtig in Erinnerung hatte. Doch, doch... Sie war definitiv am richtigen Ort. Ein leichtes Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Es würde wohl ein interessanter Abend werden...
Der dunkle, schwere Klang einer Glocke ertönte, als Liv die Tür öffnete. An den Wänden flackerte Kerzenlicht und offenbarte einige Gesichter, die sich zu ihr umdrehten und sie mit bohrenden Blicken musterten. Sie schaute genauso forschend und selbstsicher zurück, machte einige Schritte in den Raum hinein und atmete die warme, drückende Luft ein. Ja, es gefiel ihr. Das düstere Lokal traf genau ihren Geschmack. Eine ältere Frau mit eingefallenem Gesicht und stechenden Augen näherte sich ihr langsam. „Guten Tag.", sagte Liv freundlich. „Wir empfangen eigentlich keine Gäste.", erwiderte die Alte ohne Begrüßung. „Ich bin mit... ähm... Gandalf Grey hier verabredet." „Ach.", murmelte ihr Gegenüber. „Ihr mögt also Peitschen." „Was?", fragte Liv verdutzt. „Gewalt finde ich schon ganz nett, durchaus." „Das meinte ich nicht.", die Frau lachte heiser. „Folge mir."
Liv hatte sich ihr Date anders vorgestellt. An der Kellertreppe wartete ein alter Mann mit langem Rauschebart und grauem Haar in einem kleidähnlichen Mantel. „Ah, da seid ihr ja, meine Liebe! Herzlich willkommen in meinem liebsten Café. Ich habe doch nicht etwa zu viel versprochen?", rief er aus und bot ihr seinen Arm. „Ganz und gar nicht. Die Einrichtung gefällt mir wirklich sehr gut.", lächelte Liv und ließ sich die Stufen hinunterführen. „Es wird noch besser, warte ab.", verkündete Gandalf stolz und öffnete eine der Türen mit einer galanten Geste. „Nach Ihnen, Gnädigste." Mit einem künstlichen Lachen betrat Liv den Raum und blieb dann für einen Moment wie angewurzelt stehen, bevor sie sich mit einem Strahlen umdrehte. „Ich LIEBE Totenköpfe!", rief sie enthusiastisch. Auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers standen zwei edle Kelche, die aus Knochen zu bestehen schienen und eine rötlich schimmernde Flüssigkeit enthielten. An den Wänden hingen im Licht des Kaminfeuers schimmernde Schwerter und in der Ecke entdeckte sie einige sehr ungewöhnlich aussehende Liegen, die mit geheimnisvollen Schnitzereien übersät waren. „Setz dich.", lud Gandalf sie ein und ließ sich mit einem zufriedenen Seufzen auf einem der Stühle nieder. Liv setzte sich ebenfalls und griff nach dem Glas, um an dem Getränk zu schnuppern. Süßlicher Geruch – fast hätte sie gedacht, dass sie da Gift vor sich hatte. Lieber nicht trinken, entschied sie und tat, als würde sie nur einen kleinen Schluck nehmen. „Vorzüglich.", lobte sie und beobachtete Gandalf. Er kratzte sich am Bart, holte einen in der Dunkelheit undefinierbaren Gegenstand aus einer seiner Manteltaschen und drehte ihn nachdenklich in der Hand. Das kam Liv jetzt doch etwas suspekt vor. „Darf ich fragen, was deine Aufmerksamkeit so sehr auf sich zieht, dass du mich völlig ignorierst?", erkundigte sie sich neugierig. „Oh... Selbstverständlich, meine Liebe... HA!" Eine gewaltige, aus dem Inneren heraus glühende Rauchwolke erschien wie aus dem Nichts in der Luft und blendete sie. Wenige Sekunden später erklang ein leises, boshaftes Zischen. Es hörte sich an, als wäre es nur wenige Meter von Liv entfernt. War das eine Schlange? Hastig kroch sie vom Tisch weg Richtung Tür, kämpfte sich wieder auf die Beine und rüttelte an der Klinke. Die Tür war geschlossen, es gab keinen Weg hinaus. Panisch drehte sie sich wieder um. Allmählich verschwand der Rauch und die Silhouette Gandalfs kam zum Vorschein. Mit letzter Kraft hechtete sie vorwärts und riss eines der langen Messer von der Wand. „Du kannst einen Zauberer nicht besiegen!", rief Gandalf und lachte irre. „Gut, dass ich eine Schülerin der Akademie bin.", flüsterte Liv triumphierend, sprang auf ihn zu und stieß die Klinge in seine bestimmt abartig behaarte Brust. Eine wohliger Schauder lief ihr über den Rücken, als er leise röchelte und der erste Tropfen Blut zu Boden fiel. Mit zwei, drei geübten Griffen schnitt sie sein Herz heraus und begutachtete es kurz. Der goldene Schimmer ließ keinen Zweifel zu: dieser hier war ein Zauberer gewesen, und kein Schwacher noch dazu. Sie verstaute das Organ in dem Beutel, den sie mitgebracht hatte und warf den Leichnam des Zauberers auf eine der Liegen; pustete die Kerzen aus und kippte die beiden unangerührten Getränke über ihn. Zuletzt nahm sie die Waffen von der Wand, stopfte alles in ihren Rucksack und lächelte zufrieden. Wenn sie Glück hatte, würden ihre Lehrer sie nun in die nächsten Künste einweisen. Und bald würde sie wieder auf Jagd gehen, um ein neues Opfer zu finden.
Niemand hielt sie auf, als sie die Kellertreppe passierte und das Lokal verließ, um wie ein ganz normales Mädchen in den Bus zu steigen.
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Craziest Stories 2.0
FanfictionWeiter geht es mit unserem Projekt, jetzt sind wir in Runde 2!