Ein Abschied für die Ewigkeit (Lukida-Atlas: Frodo + Hanna/Luezia)

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Ein Abschied für die Ewigkeit (Lukida-Atlas: Frodo + Hanna/Luezia)

„Frodo? Bist du zu Hause?" Laut hallte ihre Stimme durch die Flure der gemütlichen Hobbithöhle, die von den Sonnenstrahlen der frühen Morgensonne, die durch die runden Fenster ins Innere fielen, erhellt wurde. Wie jedes Mal fühlte sich Hanna hier sofort zu Hause, was sicher nicht nur daran lag, dass sie hier seit ihrer Kindheit ein und aus ging. Seit sie klein waren, waren Frodo und sie beste Freunde. Sie waren zusammen durch die Wiesen gestreift und hatten die Wälder erkundet.

Aber ihre Freundschaft hatte sich verändert. Seit Frodo auf diese Reise gegangen war, war alles anders. Frodo war anders. Er war nicht derselbe wie früher, als war, als wäre jemand anderes, jemand Fremdes, zurückgekehrt. Frodo war in sich gekehrt und schweigsam und er litt unter den Nachwirkungen seiner Reise, von der er ihr nicht viel erzählt hatte (das meiste musste sie Sam und vor allem Merry und Pippin - bei denen es bedeutend leichter gewesen war - aus der Nase ziehen). Sie wusste, dass er litt, auch wenn er sich ihr nicht anvertraute, obwohl sie früher über alles geredet hatten. Viele hatten sich von ihm abgewandt, sagten, er wäre genau so verrückt wie sein alter Onkel Bilbo, doch sie hielt zu ihm. Sie war für ihn da, wenn er sie brauchte – auch wenn er es niemals sagte, glaubte sie dennoch, dass er froh war, dass sie immer zu ihm kam. Eigentlich verließ er seine Höhle auch nur noch selten zu einem Spaziergang, aber sie rief dennoch jedes Mal nach ihm mit klopfendem Herzen vor lauter Furcht, dass er wieder einfach verschwunden sein könnte.

Sie erinnerte sich noch gut an den Tag vor gut vier Jahren, als sie ihn hatte besuchen wollen und er nicht da gewesen war – und auch am nächsten Tag und am übernächsten war er nicht aufzufinden gewesen. Dreizehn Monate war es so gewesen, bis er plötzlich mit Sam, Merry und Pippin an seiner Seite einfach wieder aufgetaucht war. Alle vier hatten die abenteuerlichsten Geschichten zu erzählen gehabt, denen sie neugierig gelauscht hatte, doch nie war ihr Frodos Blick entgangen, der sich immer öfter abwesend ins Leere verirrte.

Sie lief durch Beutels End. Bisher hatte Frodo nicht geantwortet, aber er war oft so in Gedanken versunken, dass er sie nicht kommen hörte, daher war sie nicht verwundert, ihn dann doch vor dem Kamin sitzend und in die Flammen starrend vorzufinden. „Frodo?", fragte sie erneut und endlich horchte der schwarzhaarige Hobbit auf. Er wandte seine eisblauen Augen direkt auf sie und blinzelte ein paar Mal verwirrt, bevor er sie erkannte.

„Hanna", murmelte er nur. Er sagte nichts weiter. Auch das war sie mittlerweile gewohnt, auch wenn sie den lebensfrohen Hobbit, der er früher gewesen war, vermisste. Sie vermisste sein Lachen und wie seine Augen strahlten, wenn er lächelte. Der trübe Blick, der jetzt in seinen Augen lag, brach ihr jedes Mal aufs Neue das Herz. Sie wollte ihm helfen, aber sie wusste nicht wie. Sie wusste nicht, was sie tun könnte, damit er wenigstens wieder lächeln konnte. Hanna fühlte sich so furchtbar hilflos. Sie hatte bereits alles versucht.

Noch immer blickte Frodo sie durchdringend an, der Schmerz und die Trauer in seinen Augen waren unerträglich für sie, doch sie wandte den Blick nicht ab. „Setz dich", meinte Frodo schließlich, als er den Blick löste. Hanna hatte das Gefühl, endlich wieder frei atmen zu können, so durchdringend war sein Blick gewesen, als hätte er bis auf ihre Seele geschaut. Aber bei ihm machte es ihr keine Angst, denn für einen kurzen Moment hatte sie wieder das altbekannte Gefühl des umfassenden Vertrauens verspürt, das sie früher geteilt hatten.

Hanna folgte seiner Bitte und setzte sich auf den Sessel, der ihm gegenüber stand. Frodo musterte sie einen Moment lang. Seit sie Kinder waren, waren sie beste Freunde und ihr Gesicht war ihm so vertraut wie sein eigenes – vielleicht sogar noch mehr, da er es immerhin öfter sah als sein eigenes, zumal er den Blick in den Spiegel in der letzten Zeit lieber vermieden hatte. Sein Gesicht, obwohl es ihm vertraut vorkam, war ihm gleichermaßen fremd. Wie alles an ihm. Wie alles hier im Auenland. Wie alle Hobbits um ihn herum. Keiner konnte ihn verstehen. Sam versuchte es, aber auch er verstand nicht die Last, die er immer noch trug, obwohl der Ring nun vor geraumer Zeit zerstört worden war, geschmolzen in der glühenden Lava des Schicksalsberges, wo er auch sein Schicksal erwartet hatte: den Tod. Doch es war anders gekommen. Er war am Leben. Aber manchmal fühlte es sich an, als wäre er innerlich tot, als wäre ein Teil von ihm mit dem Ring gestorben, ein Teil, den er nicht wieder zurückbekommen würde, egal wie sehr er es wollte. Deshalb hatte er sich auch entschieden zu gehen. Das Auenland zu verlassen und mit dem letzten Elbenschiff gen Westen zu segeln in die Unsterblichen Lande. Er wusste, dass es eine große Ehre war und er hoffte, dort den Frieden zu finden, den er hier nicht finden konnte. Aber er würde auch einiges dafür aufgeben. Dinge, die er sehr vermissen würde. Beutels End war so lange Zeit sein Zuhause gewesen und dass er es nie wiedersehen würde, stimmte ihn traurig. Aber noch viel mehr würde er seine Freunde vermissen: Merry und Pippin, die mit ihren ständigen Flausen im Kopf, ein Licht in der Dunkelheit gewesen waren. Sam, sein treuer Freund, der ihm durch alle Gefahren und Widrigkeiten bis zum Ende beigestanden hatte, egal, was er getan hatte, unerschütterlich war er an seiner Seite geblieben. Und natürlich Hanna. Seine Hanna, die immer für ihn da war und deren Gegenwart wie ein Feuer war, das an dem Eis um sein Herz züngelte, auch wenn die Flammen es nicht zu schmelzen vermochten.

Er musterte sie. Ihre blonden Locken. Ihre blauen Augen, die ihn an den Himmel im Sommer erinnerten. Ihr hübsches Gesicht. Sie würde ihm unglaublich fehlen. Seit er denken konnte, war sie ein Teil seines Lebens gewesen und nun würde er fort gehen und sie nie wieder sehen... Der Gedanke tat ihm in der Seele weh, aber er wusste, dass ihm keine andere Möglichkeit blieb. Er konnte nicht hier bleiben. Nicht einmal wegen ihr. Obwohl er sich nichts Sehnlicheres wünschte.

Es gab eine Zeit, in der er gedacht hatte, dass aus seiner Freundschaft zu ihr mehr geworden war. Eine starke Liebe, die durch alle Dunkelheiten der Welt hindurch Bestand haben würde. Er hatte gedacht, dass sie eines Tages die Frau an seiner Seite sein würde, dass sie eine große und glückliche Familie sein würden. Aber es war anders gekommen. Es fühlte sich an, als hätte der Ring alle Gefühle mit sich genommen und nur Leid und Trauer zurückgelassen. Er konnte sie nicht glücklich machen. Wie könnte er, wenn er nicht einmal mehr wusste, wie sich eigenes Glück anfühlte?

„Ich muss mit dir reden", begann er unbeholfen. Er wusste, dass ihr nicht gefallen würde, was er zu sagen hatte, aber er konnte sie nicht ohne Abschied gehen lassen. Nicht schon wieder. Sie hatte ihm nie einen Vorwurf gemacht, was wieder einmal ihr gutes Herz bewies, aber er wusste, dass sie sich Sorgen gemacht hatte, als er damals einfach verschwunden war.

In ihren Augen las er den Schmerz, als ahnte sie bereits, was er ihr zu sagen hatte. Für einen Moment überlegte er, wie es wäre. Wie es sein könnte, wenn er doch bliebe. Wenn er doch bei ihr bliebe. Aber es war unmöglich. Sie gehörten nicht zusammen, auch wenn er einst gedacht hatte, dass das Schicksal sie füreinander bestimmt hatte. So viele Dinge, die er als sicher betrachtet hatte, und die nichts weiter waren als Schall und Rauch, verflogen wie Nebel im Sonnenlicht.

„Ich werde fortgehen", sagte er.

Sie schwieg lange. „Wohin?", brachte sie schließlich heraus.

„Nach Valinor", antwortete er ruhig.

Hanna antwortete nicht. Ihr Schweigen dehnte sich immer weiter aus, bis es den ganzen Raum zu erdrücken schien. In ihren Augen erkannte er Tränen, die sich bald aus ihren Augenwinkeln lösten und in glitzernden Tropfen über ihre Wangen rannen. Er beugte sich vor und strich ihr sanft die Tränen von den Wangen. Es brach ihm das Herz, sie so zu sehen. Er wollte nicht, dass sie unglücklich war.

„Weine nicht, Hanna. Ich ertrage es nicht, dich unglücklich zu sehen", flüsterte er, als fürchtete er, laute Worte würden den Zauber brechen, der über ihnen lag und der ihm für einen Moment das Gefühl gab, dass alles gut werden würde.

„Warum?" Ihre Stimme brach. Sie hatte so leise gesprochen, dass er sie beinahe nicht verstanden hätte, wenn er nicht so nahe bei ihr gesessen hätte.

„Ich gehöre nicht mehr hierher. Alles ist mir fremd geworden."

„Gibt es denn nichts, was dich hier hält?"

Frodo schüttelte den Kopf. Er wusste, dass es nicht die Antwort war, die sie hören wollte, aber es war die einzige, die er ihr geben konnte. Weil es die Wahrheit war. „Glaube mir, ich wünschte, es wäre anders und diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Es fällt mir nicht leicht, dich zu verlassen mit dem Wissen, dass wir uns nie wieder sehen werden, aber ich kann nicht hier bleiben. Und du kannst nicht mit mir kommen. Unsere Wege, die so lange miteinander verknüpft waren, müssen sich nun trennen. Schon lange laufen sie nur noch zufällig parallel und ich glaube, das weißt du auch."

„Du wirst mir fehlen", murmelte sie.

„Du mir auch", gab er zurück, bevor er sie fest in seine Arme zog und ihren Duft einatmete, um ihn für immer in seinem Herzen bewahren zu können. Er würde sie unendlich vermissen. Bis in alle Ewigkeit.

Lange stand Hanna auf dem Weg und schaute in die Ferne, in der vor Stunden Frodo mit Bilbo und seinen Freunden Sam, Merry und Pippin verschwunden war. Die Sonne war bereits dabei unterzugehen und leuchtete ihre tiefroten Strahlen direkt in Hannas Gesicht. Sie glaubte, einige dunkle Schemen vor der blutroten Sonne ausmachen zu können, ein paar Gestalten, aber sie wusste, dass es nur Einbildung war. Eine Illusion, geboren aus ihrer Sehnsucht und Hoffnung, Frodo möge zu ihr zurück kommen. Ein Leben ohne ihn hatte es für sie nie gegeben und das Wissen, dass er jetzt für immer fort war, ließ ihr Herz bluten.

Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen aus und versank hinter dem Horizont. Die ersten Sterne funkelten am dunkelblauen Himmel und eroberten das Reich der Nacht für sich. Mit einem letzten Blick auf den westlichen Horizont wandte Hanna sich ab und ging nach Hause.

Was du liebst, lass frei. Kommt es zu dir zurück, gehört es dir – für immer.

Frodo kam nie zurück.

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