Bill Weasley

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Ich war definitiv zu spät dran. Viel zu spät. Ich rannte so schnell ich konnte und bahnte mir meinen Weg durch all die Menschen. Ausgerechnet heute musste London so voll sein. Okay, London war eigentlich immer voller Menschen. Man musste damit rechnen, an ihnen allen vorbei zu müssen und sollte deswegen mehr Zeit einplanen. Die Betonung lag hierbei auf dem Wort „sollte", denn natürlich hatte ich es nicht getan. Mal wieder hatte ich die Zeit aus den Augen verloren, als ich eins meiner Lieblingsbücher gelesen hatte. Unpraktisch, wenn man einen Job hatte und der Chef Pünktlichkeit schätzte. Ich lief mit voller Geschwindigkeit um eine Straßenecke, nur um mit voller Wucht in eine Person zu knallen. Benommen stolperte ich nach hinten und rieb mir kurz die Stirn. „Tut mir ehrlich leid", sagte ich hastig. „Aber ich war so spät dran und dann-" Ich stockte. Der Mann mir gegenüber musterte mich aufmerksam und ich konnte nicht anders als paralysiert zurückzustarren. Er besaß die wohl hübschesten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Geradezu magisch sowie anziehend. Er sah irgendwie ungewöhnlich aus mit seinem langen roten Haar, das er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, und dem seltsamen Ohrring, der mich an einen Fangzahn erinnerte. Aber es stand ihm total. Er sah faszinierend aus. Ein bisschen als würde er nicht ganz in diese Welt gehören. Der Fremde betrachtete mich immer noch neugierig und mir fiel ein, dass ich Dummerchen meinen Entschuldigungssatz noch gar nicht beendete hatte. „Also ich", nahm ich krächzend meinen Satz wieder auf. Er starrte mich immer noch kommentarlos an mit seinen bezaubernden Augen. „Ich – ich hatte es eilig und habe nicht ganz aufgepasst, es tut mir wahnsinnig leid, dass ich Sie umgerannt habe." „Alles gut", antwortete er und ein Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. Verdammt, sogar seine Stimme klang hinreißend. „Aber ich bin selber wohl auch schuld daran, ich stand einfach unachtsam herum und habe versucht diese Karte zu entschlüsseln, die jeder vernünftigen Logik entsagt." Ich warf einen Seitenblick auf seine Karte und konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Vielleicht liegen Ihre Orientierungsprobleme daran, dass das keine Stadtkarte von London ist, sondern ein Metroplan." „Ach – das...ist ärgerlich", murmelte er und kratzte sich verwirrt am Hinterkopf. „Kommen Sie nicht von hier? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen", bot ich ihm an. „Lexi", tönte mein Gewissen, „was machst du hier? Du kommst nur noch später zur Arbeit!" Nun, ganz offensichtlich versuchte ich, mit einem unglaublich attraktiven Mann zu flirten. Er lachte auf. „Bist du nicht für irgendetwas zu spät dran?" „Ob ich jetzt eine oder zwei Stunden zu spät zur Arbeit komme, spielt auch keine Rolle", meinte ich verlegen. „Außerdem muss ich es ja irgendwie wieder gutmachen, dass ich in Sie hineingerannt bin." „Mach dir deswegen mal keine Sorgen, du bist so leicht wie eine Feder und – oh, es ist doch okay, wenn ich dich duze, oder? Ich empfinde das als angenehmer, aber wenn es dich stört..." Er sah mich fragend an. „Natürlich, ich hab nichts dagegen. Wenn ich Sie auch duzen darf." „Darfst du", lachte er. Der Rothaarige streckte mir seine Hand entgegen. „Bill Weasley, freut mich, dich kennenzulernen." „Lexi Walker", entgegnete ich und nahm seine Hand. Ich spürte, wie seine Hand sich fester um meine schloss, als hätte er nicht vor, sie wieder loszulassen. „Lexi als Abkürzung von was?", fragte er. „Lexi ist die Abkürzung von Lexi. Das ist mein voller Name." „Oh, wow. Klingt süß", meinte er dann grinsend. Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss. „Wofür steht Bill?", fragte ich, um von meiner Verlegenheit abzulenken. „William Arthur Weasley ist mein voller Name. Aber es reicht vollkommen, wenn du Bill sagst." Er hielt meine Hand immer noch. Irgendwie fühlte das sich unglaublich wohlig und vertraut an, andererseits erschien es mir ausgesprochen unglaubwürdig, dass so ein gutaussehender, sympathischer Mann meine Hand hielt. Immer noch. „Dann...ähm, wo willst du denn hin, Bill?", fragte ich unsicher. „Oh, richtig, das hätte ich jetzt fast vergessen." Er ließ meine Hand los und zog einen Zettel aus seiner Hosentasche. „Da, das ist die Adresse, die ich suche." Ich nickte. „Da kann ich dich hinbringen, das ist zu deinem Glück gar nicht so weit von hier entfernt." „Dann los, ich folge dir." Langsam lief ich los, Bill folgte mit ein paar Schritten Abstand. Ich war mir ziemlich sicher, spüren zu können, wie er mich intensiv anstarrte – was mich nervös machte. „Und, woher kommst du eigentlich? Londoner bist du auf jeden Fall nicht", stellte ich fest und versuchte mit der Frage meine Nervosität zu lockern. Außerdem wollte ich unbedingt mehr über den Mann herausfinden, der mir innerhalb weniger Sekunden einfach so den Kopf verdreht hatte. „Stimmt. Aber Engländer bin ich", antwortete er, während er mühelos aufholte, sodass wir jetzt nebeneinander gingen. „Wirklich?" „Ich weiß, dass klingt ziemlich unglaubwürdig für jemanden, der einen englischen Metroplan nicht erkennt." „Schon etwas", grinste ich. „Aber zu meiner Rechtfertigung muss ich sagen, ich habe die letzten Jahre im Ausland verbracht." Neugierig sah ich ihn an. „Wo denn? Also wenn ich fragen darf", fügte ich nach einer kurzen Pause schüchtern hinzu. „Klar, du kannst mich alles fragen. Du bist schließlich in mich hineingerannt, wir sind jetzt schicksalhaft verbunden", grinste er. „Oh, na klar", erwiderte ich in einem sarkastischen Ton. „Also, wo warst du die letzten Jahre?" „Ägypten", antwortete Bill. „Und was hast du da gemacht?" „Das war aus beruflichen Gründen. Ich, äh, arbeite bei einer Bank. Ja, genau. Aber jetzt habe ich mich wieder nach England versetzen lassen." „Nach London?", fragte ich hoffnungsvoll. Er lachte. „Ja, nach London. Aber wenn ich dich nicht getroffen hätte, wäre ich wohl verloren gewesen." „Ach was", ich winkte bescheiden ab. „Ich bin trotzdem froh, dir begegnet zu sein." „D-Danke", murmelte ich verlegen. Wir gingen schweigend nebeneinander weiter. Wie konnte man nur so verdammt perfekt aussehen wie Bill und gleichzeitig auch noch so einen verdammt sympathischen Charakter haben? Und wie konnte so ein Mann mich offenbar mögen? „Wir sind da", stellte ich unnötigerweise fest, als wir bei der Adresse ankamen, die Bill gesucht hatte. „Vielen Dank fürs Herbringen", lächelte Bill. Oh Gott, sein Lächeln war so wunderschön, ich könnte es den ganzen Tag lang anschauen. Ich könnte ihn den ganzen Tag lang anschauen. „Kein Problem", antwortete ich schnell. Wir standen uns jetzt gegenüber und ich war ziemlich unsicher, was ich jetzt tun sollte. Bill seinerseits beobachtete mich lächelnd. „Also, dann...ich sollte vielleicht...mal zu meiner Arbeit gehen", brachte ich hervor. „War schön dich kennenzulernen." Er schwieg, weswegen ich mich einfach nervös umdrehte, um loszugehen. Bye bye, Traum vom perfekten Mann. „Lexi?" „Ja?", hoffnungsvoll drehte ich mich um. „Würdest du mit mir ausgehen?" Ich spürte, wie sich ein wohliges Gefühl in meinem Körper ausbreitete. Glücklich antwortete ich: „Gerne." Bill lächelte erleichtert. „Prima. Ehrlich, ich freue mich. Gibst du mir deine Adresse? Ich schreibe dir dann, wann ich Zeit habe – neuer Job, in neuem Umfeld, ein bisschen stressig, verstehst du? Aber ich melde mich bei dir, versprochen." Dieser Typ war einfach zu süß, um wahr zu sein. „Keine Hektik, ich verstehe das. Aber meine Adresse? Willst du mir einen Brief schreiben oder was? Wäre eine Mail oder ein Anruf nicht einfacher?" „Ähm, weißt du, ich bevorzuge Briefe. Die sind persönlicher. Das macht dir doch nichts aus, oder?" „Nein, natürlich nicht. Wie du willst", beeilte ich mich zu sagen. Ich war ja schon mehr als froh, dass er überhaupt mit mir ausgehen wollte. „Dann...sehen wir uns, schätze ich." Ich nickte. „Ja, sieht ganz so aus." Es war schon eine Woche vergangen und bis jetzt hatte sich Bill noch nicht gemeldet. Aber gut, er hatte ja gemeint, er hätte momentan Stress. Keine Sorge, Lexi, wenn er wirklich so ein toller Typ war, wie du dachtest, dann würde er dir schreiben! Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, kam ich gerade bei meiner Wohnung an. Erstaunt sah ich auf den Boden vor meiner Wohnung – dort lagen eine rote Rose und ein Brief. Ich bückte mich um die Sachen aufzuheben und öffnete dann zuerst meine Wohnungstür und dann, nachdem ich meine Wohnung betreten hatte, den Brief. „Tut mir leid, dass ich mich solange nicht bei dir gemeldet habe, das hast du wirklich nicht verdient. Aber bedauerlicherweise habe ich nur wenig Zeit – wenn du immer noch mit mir ausgehen möchtest, ich warte Freitagabend hier auf dich." Keine Unterschrift, kein Absender. Trotzdem war mir klar, dass der Brief wohl von Bill stammen musste. Wie hatte er ihn nur hierhin bekommen? Aber eigentlich war das ja egal, was zählte, war, dass er mit mir ausgehen würde! Mein Herz fing vor Aufregung an stärker zu klopfen. Warte – Freitag! Das war ja heute! Verdammt, ich musste mich möglichst schnell herrichten! Ich war ein reines Nervenbündel und lief aufgeregt in der Küche auf und ab. Es war gerade sieben Uhr geworden. Theoretisch war es also Abend. Theoretisch wäre aber auch noch in drei Stunden Abend. Bill hatte dummerweise nicht erwähnt, wann genau er denn kommen wollte – und jetzt war ich hier und machte mich seit gut einer Stunde verrückt. Hätte er sich denn nicht genauer ausdrücken? Vielleicht hatte er aber so einen stressigen Tag, dass er einfach selber nicht wusste, wann er Zeit hatte? Verdammt, ich würde hier bald noch wahnsinnig werden und das alles nur wegen einem Jungen! Nein, beruhig dich, beruhig dich. Es gibt gar keinen Grund, um so nervös zu sein. Bill ist ein ganz normaler – okay, das war lächerlich. Jemand mit so einem bezaubernden Gesicht konnte nicht normal oder gewöhnlich sein. Ich schrak auf. Die Klingel, es hatte geklingelt, Bill musste da sein! Hektisch rannte ich zur Tür, stoppte kurz vorher ab, war glücklich, nicht gegen die Tür gerannt zu sein und atmete tief ein. Dann öffnete ich die Tür mit einem strahlenden Lächeln. „H-Hey", begrüßte ich Bill schüchtern, der vor mir stand und der so wie schon bei unserer ersten Begegnung, einfach fabelhaft aussah. Bill erwiderte mein Lächeln. „Schön, dich wiederzusehen. Ich hab dich vermisst." „Wir kennen uns doch kaum", lachte ich verlegen. „Was nicht bedeutet, dass ich dich nicht vermissen kann, oder? Du siehst übrigens hübsch aus." Bill war gerade mal seit einer Minute da, hatte es aber dennoch geschafft, mich komplett in Verlegenheit zu stürzen. Und Freude. Ich glaube, ich war noch nie so glücklich darüber gewesen, dass mich jemand „hübsch" genannt hatte. Auch sagte Bill das mit so einer Selbstverständlichkeit und Gelassenheit, dass es beeindruckend war. „D-Danke", antwortete ich schließlich. „Du siehst auch...einfach wundervoll aus", brachte ich schließlich hervor. Augenblicklich lief ich rot an. „Wirklich?" Bill beugte sich langsam zu mir herunter. „Dann hättest du nichts dagegen, wenn ich das machen würde?", fragte er und legte seine weichen Lippen auf meine. Ich hatte keine Ahnung, wie genau das passiert war, aber nachdem Bill und ich uns im Türrahmen ein paar Mal (vielleicht auch öfters als nur ein paar Mal) geküsst hatten, waren wir irgendwie auf der Couch in meiner Wohnung gelandet, wo wir nun aneinander gekuschelt lagen. Es war irgendwie wirklich seltsam: Ich und er kannten uns nur seit einer Woche, sahen uns heute zum zweiten Mal, aber dennoch...alles was wir taten fühlte sich so...so vertraut und richtig an. Es fühlte sich so an, als würde ich diesen eigentlich fremden Mann schon seit Ewigkeiten kennen und mein Herz schien ihm zu gehören. Ihm ausgeliefert zu sein. Das wirklich erstaunliche war, dass es ihm allerdings genauso zu gehen schien. Bill hatte seine starken Arme um mich gelegt und strich mir sanft über den Rücken, während ich meinen Kopf auf seine Brust gelegt hatte und die Sicherheit und Wärme, die er ausstrahlte, genoss.  „Lexi?" „Hm?" „Wenn ich dir sagen würde, dass ich dich liebe, wäre das dann sehr verrückt?" „Da...da ich glaube, dass es mir nicht anders geht, nein. Irgendwie ist es nicht verrückt. Aber irgendwie doch. Wir wissen doch gar nichts über einander." Ich spürte, wie der Rothaarige kurz zusammen zuckte. „Ja. Da hast du natürlich recht. Aber das lässt sich ändern. Ich will absolut alles über die bezaubernde Frau wissen, in die ich mich verliebt habe." Ich lachte auf. „Alles? Du willst unmöglich alles über mein langweiliges Leben wissen. Über all die Theateraufführungen, die ich wegen der Schule besuchen musste, all die Krankheiten, die ich als Kind hatte oder all die einsame Zeit in der Schule..." „Doch. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie interessant das alles für mich ist." Ungläubig sah ich ihn an. „Und wo bitte soll ich anfangen? Bei meiner Geburt oder was? Wir werden Tage brauchen, wenn du dir das alles anhören willst." „Das heißt doch, ich sehe dich in den nächsten Tagen wieder. Klingt unglaublich gut, meiner Meinung nach." „Schön, dass du deine Freude hast." „Ja, nicht wahr?" Bill wuschelte mir verspielt durch die Haare. „Du bist wirklich süß. Weißt du, woran du mich erinnerst? An einen Welpen." „Es ist wirklich erstaunlich wie viel selbstbewusster ein gewisser jemand in der letzten halben Stunde geworden ist." „Naja, zu wissen, dass du mich auch magst, hat geholfen", murmelte ich, während ich rot anlief. „Wohl doch nicht ganz", entgegnete Bill und küsste mich grinsend. „Und jetzt fang' endlich an zu erzählen, ich muss morgen früh wieder zur Arbeit und ich weiß noch nicht mal, wie viele Jahre Lebensgeschichte wir vor uns haben." Zuerst zögernd, dann immer selbstsicherer, fing ich an zu erzählen. Angefangen von meinen ersten Erinnerungen, über meine Kindergartenzeit gehend, dann meine Schulzeit. Auf seltsame Art und Weise fühlte ich mich sicher bei Bill, ich war mir sicher, ihm alles erzählen zu können. Auch alles, was mich im Leben belastet hatte: Meine einsame Schulzeit, die Fehlversuche, Freunde fürs Leben zu finden, der kürzliche Tod meiner Eltern... Bill unterbrach mich kaum, nur wenn ihm irgendetwas nicht ganz klar war, aber die meiste Zeit hörte er einfach zu, hielt mich fest in seinen Arm und drückte mich an sich. Wenn er merkte, dass es mir schwer fiel über etwas zu reden, dann nahm er meine Hand und strich mit seinem Daumen zärtlich über meinen Handrücken. Nach etlichen Stunden endete ich mit meinen Erzählungen. „Weißt du", sagte Bill nach einer Pause, „nach dem ich das alles gehört habe, fühle ich mich dir nur noch verbundener. Lexi, du bist ein ganz besonderer Mensch." „Das...das ist wirklich lieb von dir", lächelte ich schwach, „aber ich bin jemand gewöhnliches, nur ein bisschen verloren in der Welt momentan." „Vielleicht gehörst du ja gar nicht in diese Welt", erwiderte er ernst. „Was? Und in welche Welt sollte ich sonst gehören?" „In meine."

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