Chapter two

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Ich hob meinen Blick langsam vom Bücherregal und drehte meinen Kopf etwas nach rechts.
,,Hallo, Lavinia."
Nun drehte ich mich ganz um.
,,Collin?"
Ich schaute in sein Gesicht.
,,Hey, Cole. Was-was ist los?"
Ich nannte ihn immer Cole, da mir sein echter Name zu lang gewesen war. Er schaute mich mit traurigen Augen an und mir wurde schnell bewusst, dass das hier verdammt ernst zu sein schien. Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Cole...?"
Man konnte unschwer die Sorge in meiner Stimme überhören. Langsam lief ich auf ihn zu.
,,Lang ist es her, kleines.", flüsterte er und strich mir eine Haarsträhne, die sich aus meinen Dutt gelöst hatte, aus dem Gesicht. Leicht lachend ließ er seine Hand sinken. Es war lange her, seitdem ich ein echtes Lachen gehört hatte. Ein fröhliches. Ich sah das er lachte, hörte jedoch das er traurig war. ,,Ja, seit Connor...", ich stockte. Als ich daran dachte wie er gestorben war, kippte nun auch meine Stimmung endgültig. ,,Ich weiß", flüsterte er. Er strich mir eine Träne weg. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich angefangen hatte zu weinen.
,,Was haben sie mit dir gemacht? Wieso bist du hier? Wo warst du die drei Monate? Weißt du was ich mir für Sorgen gemacht habe?"
Ich boxte ihm leicht gegen die Schulter. Er sah blasser aus als sonst, seine Wangen waren eingefallen und er hatte dunkle Augenringe.
,,Was ist bloß passiert?", flüsterte ich und betrachtete sein Gesicht genauer.
,,Hey...", flüsterte er und hob mein Kinn so, dass ich ihm in die Augen sah.
,,Es ist doch alles gut."
,,Lüg mich nicht an."
,,So sturköpfig wie immer", schmunzelte er und setzte sich im Schneidersitz vor ein Bücherregal.
,,Komm her."
Ich ließ mich neben ihm fallen. Er schaute nach vorne und wir saßen eine gefühlte Ewigkeit schweigend neben einander. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es draußen dunkel wurde.
,,Okay..."
Er atmete tief durch und ich setzte mich so, dass ich vor ihm im Schneidersitz saß.
Er nahm meine kleinen Hände in seine großen. Besorgt musterte ich ihn. Verdammt, was sollte das bloß werden?
,,Kannst du dich noch daran erinnern, als wir noch klein waren? An diese witzigen, traurigen, verzweifelten, liebevollen und herzzerreißenden Momente in unserem Leben? Wir haben uns mit neun Jahren kennengelernt und verdammt, selbst damals warst du schon so stur, dickköpfig und neugierig. Ich klaute dir im Sandkasten deine Schippe und du hast mich dafür mit einem Eimer geschlagen."
Er lachte leicht und ich schmunzelte, als ich mich an die Situation erinnerte. Das waren schöne Zeiten.
,,Oder weißt du noch als wir zusammen Eis essen waren und dir deine Eiskugel runter gefallen ist? Du warst so traurig, dass ich das kaum mit ansehen konnte. Dein Bruder, Kian, wir wollten nicht das du traurig bist und haben uns unsere Eiskugel ins Gesicht geschmiert. Du konntest gar nicht mehr aufhören zu lachen."
Er wandte seinen Blick nun dem Boden zu. Doch ich hatte seine wässrigen Augen dennoch bemerkt. 
,,Als Connor...als er starb und niemand wusste wieso...wurde ich für instabil gehalten und hier her gebracht."
,,Hey, er war dein Bruder, ihr wart Zwillinge. Jeder kommt mal in eine Trauerphase."
Ich wollte seine Träne wegwischen, doch bevor ich sein Gesicht berühren konnte, nahm er wieder seine Hände in meine.
,,Hör mir einfach zu, okay?"
Ich schaute ihm einfach in die Augen. Ich hatte Angst, Angst was er mir erzählen wollte und was danach geschehen würde.
,,Ja, ich steckte in einer Trauerphase und das tue ich immer noch. Als ich dich nach einigen Wochen sah und dass hier, im Eichenhaus, ich wusste nicht was ich tun sollte. Als du mir das mit deiner Familie und Kian erzählt hattest, ich wollte für dich da sein Lavinia. Das wollte ich wirklich. Dennoch habe ich versagt. Ich musste mit ansehen wie dich die Leute ansahen als wärst du verrückt, als...hättest du jeglichen Lebenssinn verloren. Ich wollte nie, dass es soweit kommt. Nie."
Mir liefen die Tränen mittlerweile die Wangen hinab.
,,Verdammt, Cole. Wieso hört sich das für mich wie ein Abschied an?"
Er drehte seinen Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen.
,,Collin!"
Meine Stimme wurde zum Ende hin immer lauter.
,,Antworte mir!"
Meine Stimme bebte und meine Sicht verschwamm, als mir eines klar wurde.
,,Das ist ein Abschied.", stellte ich fest.
,,Tu mir das nicht an."
Mehr als ein flüstern brachte ich nicht zu Stande.
,,Hör mir zu, es gibt so vieles, so vieles, was ich dir noch sagen will, aber das ist zu viel, als ich es jetzt in Worte fassen könnte. Du bist das süßeste, wundervollste Mädchen das ich kenne klar? Daran solltest du nie, wirklich niemals zweifeln. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, als dein Bruder oder deine Eltern starben. Es tut mir leid. Hörst du? Es tut mir leid." Meine Hände zitterten verdammt stark und die Tränen stoppten nicht. Sie rannen wie Wasserfälle hinunter. Ich konnte nichts dagegen tun.
,,Was hast du vor?", sagte ich, doch konnte kaum noch reden, so sehr zitterte meine Lippen.
,,Nachdem mein Bruder und deiner starb, hielt ich das nicht mehr aus. Damals schon hast du mich vor einen schrecklichen Fehler bewahrt, jedoch hätte es mich von meinen Schmerzen erlöst. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben und deswegen will ich, das du glücklich wirst, klar? Und ich spreche hier nicht nur für mich, sondern auch für deine Eltern, deinen Großvater und Kian. Lebe dein Leben Lavinia! Versuch es. Bitte versuche es. Finde jemanden dem du dich öffnen kannst. Du wirst dir einen heißen Kerl schnappen klar?"
Unter meinen Tränen musste ich kurz lachen.
,,Du wirst den Mann finden und wunderbare Kinder bekommen. Schau verdammt nochmal nach vorne. Du musst nicht sofort alles anpacken. Stück für Stück. Das, was gerade ansteht. Und dazwischen auch mal gar nichts anpacken. Anhalten. Nur atmen. Hier sein, ganz da sein. Die Augen schließen. Die Sonne auf der Haut spüren, dich selbst spüren. Die Vögel hören, die Autos. Zur Musik tanzen, all das, was dich glücklich macht. Trauer auch mal, aber lass die Trauer nicht die Überhand gewinnen. Und das wichtigste Lavinia? Lache, sei glücklich."
Er ließ meine Hand los und stand auf.
,,Verlass mich nicht Cole. Du bist das einzige was ich noch habe.", wisperte ich.
Nun stand ich auch auf. Ich wusste nicht was er vorhatte, aber ich wollte es verhindern.
,,Vergiss mich nicht Lavinia. Werde glücklich. Lache so oft es geht, kleines."
Er gab mir einen Kuss auf meine Stirn, wobei ich meine Augen schloss.
,,Lebe wohl, kleines.", flüsterte er, bevor er sich umdrehte und mir ein letzten kleines Lächeln schenkte, bevor er aus der Tür trat. Mein Gehirn verarbeiten seine Worte erst jetzt richtig. Geschockt sah ich auf dem Fleck am Boden, wo er gerade noch gestanden hatte. Erst das zufallen der Tür ließ mich aus der Starre lösen und rannte aus dem Raum. Ich sah ihn am Treppengeländer des fünften Stocks.
,,Collin!" rief ich und rannte.  
Ich rannte, als ginge es um mein Leben, dabei ging es um seins.
,,Collin!"
Mist. Mist. Mist.

Jetzt nahm ich auch das Seil, welches zusammengebunden in seiner Hand lag, wahr.
,,Warte! Bitte."
Ich vernahm Schritte, Schritte vom Flur des Eingansbereiches des Eichenhauses hinter mir.
,,Hey!", schrie eine mir unbekannte Stimme und kurz darauf war ein Poltern zu hören. Ich rannte nach vorne. Es waren nur noch ein paar Meter.
,,Hey!", schrie die Stimme wieder und ich sah wie jemand die Treppe hoch stürmte. Doch es war zu spät. Ich hörte einen Schrei und die Schritte des Jungen, der die Treppe hoch gerannt kam stoppten. Erst jetzt realisierte ich, dass ich diejenige war, die geschrien hatte. Geschockt sah ich auf die nun hängende Leiche vor mir. Die Leiche meines besten Freundes der sich gerade erhängt hatte.
Geschockt sah ich über das Geländer. Ich war nicht fähig irgendetwas zu tun. Mein Gehirn verarbeitete die Informationen nicht richtig und meine weit aufgerissenen Augen starrten auf den leblosen Körper vor mir. Mein Atem ging hektisch und ich spürte mein Herz schneller schlagen als es für mich gut wäre. Das einzige was ich spürte war Angst, die Angst nicht zu wissen was als nächstes passiert. Doch wie definiert man Angst? Eine Emotion, ein Gefühl das einem, dass Atmen erschwert als lasteten tausend von Tonnen Gewicht auf deinem Herzen? Es war, als wäre ich einen Marathon gelaufen, denn mein Herz raste. Meine Hände zitterten ohne das ich was dagegen hätte tun können. Und was kommt nach der Angst? Panik. Sie lässt deinen Körper erstarren, deine Hände zittern, im ersten Moment realisierst du nicht was geschehen ist. Das Atmen fiel schwerer als sonst. Nach der Angst und der Panik kam Paranoia. Das schlimmste von allen. Stell dir vor, ein Lied läuft in dauerschleife. Es gibt ein Anfang aber die Sicht auf ein Ende ist aussichtslos. Dazu kommt der Schlafentzug, der dich dazu veranlasst Dinge zu sehen, Dinge die nicht existierten. Halluzinationen.
In diesem Moment hoffte ich auf Paranoia. Hoffte das, dass was ich gerade sah, nicht wahr war. Jedoch schien ich in der Panik festzustecken. Mein Körper zitterte unkontrolliert und meine wässrigen Augen glitten nach links. Ein Stockwerk unter mir stand ein Junge. Er starrte ebenso wie ich vor ein paar Sekunden auf den leblosen Jungen vor mir.

Jetzt nahm mich auch der braunhaarige Junge war. Wahrscheinlich war er gerade angekommen. Sein Mund war leicht geöffnet, seine Augen vor Schock geweitet. Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sein braunes Haar stand etwas wirr ab. Ein Schluchzer entfuhr mir und ich fiel auf meine Knie, sodass mein Blick sich von dem Jungen löste. Ich Schrie verzweifelt nach meinem besten Freund und schrie den ganzen Schmerz hinaus, auch wenn ich wusste, dass ich nach der Aktion wahrscheinlich mein restliches Leben in diesem Gefängnis verbringen musste.

Plötzlich merkte ich wie sich zwei Arme um mich schlingen und eine Hand beruhigend über mein Haar strich. Unter normalen Umständen hätte ich das als angenehm empfunden. Das durfte nicht war sein. Ich träumte wahrscheinlich nur. Genau, ich musste einfach aufwachen.
,,Hey...Hey, schau mich an."
Die Arme verschwanden auf einmal und mir wurde kalt, bevor sich jemand vor mich setzte.
,,Wie viele Finger habe ich?", fragte mich die Stimme eines Jungen und jetzt realisierte ich auch, dass es sich um den Jungen von vorhin handelte.
,,Was?", brachte ich stockend und luftringen hinaus.
,,Wenn du Panik hast und du anfängst zu denken, dass du träumst, dann musst du deine Finger zählen. Im Traum hast du mehr als nur zehn Finger", erzählte er mir eilig und nickte mir zu.
,,Eins."
,,Gut weiter."
Er zeigte mir nun den zweiten Finger seiner Hand. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte das nicht.
,,...Sieben, acht, neun..."
Ich sah in seine Augen, die so viele Emotionen wieder spiegelte.
,,Zehn."
Hektisch sah ich auf seine Finger und zählte noch einmal durch. Dennoch hätte ich es wahrscheinlich für besser gefunden, wäre das hier und jetzt ein Traum gewesen. Langsam fing ich wieder an normal zu atmen, trotzdem rannen die Tränen weiter meine Wangen hinab.
,,Es wird alles gut.", flüsterte er und zog mich erneut in seine Arme.
,,Es wird alles wieder gut."

*überarbeitet

FIERCE ~Against the worldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt