18.04.2017

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My Dear Jim,

Als ich dich das erste Mal sah, warst du nur ein hagerer blasser Junge. Ich wusste nicht wer du warst, was aus dir wird und wie du mein Leben verändern wirst. Du warst einfach da. Stands mitten auf der Straße während der Wind über die Dächer fegte und an deinem Mantel riss. Es war keine Nacht bei der man sich gerne draußen die Füße vertrat. Die Lichter in den Häusern brannten und der goldene Schein der Laternen, umspielte deinen zierlichen Körper in der Dunkelheit. Du warst ganz alleine mit dem Wind. Ich eilte aus dem Haus um dich nach drinnen zu bringen. Wir waren doch gerade einmal 10 Jahre alt und du warst neu in der Stadt. Hattest dich verlaufen, sagtest du und konntest die Nacht daraufhin bei uns verbringen. Oh hast du damals ärger bekommen, weil du nicht nach Hause gekommen bist. Wochenlang kamst du grün und blau geschlagen in die Schule.

Und dann den einen Tag gar nicht mehr. Ich fuhr mit dem Fahrrad zu euch, Polizisten standen vor eurem Haus und ich sah wie deine Mum dich festhielt. Nach fast zwei Jahren unzertrennlicher Freundschaft sah ich dich das erste Mal weinen. Ich wollte nicht gesehen werden und blieb etwas weiter weg an dem Baum stehen, an dem wir uns immer verabschiedeten. Deine Mutter war völlig aufgelöst und schluchzte herzzerreißend. Selbst von weitem konnte ich die Wut und den Hass in deinen tränenden Augen sehen. Als du auch die folgenden Tage nicht in die Schule kamst, wurde getuschelt. Ich beteiligte mich nicht an den Gesprächen, bekam aber mit dass ein Junge vermisst wurde und ein paar Tage später warst du wieder da. Stiller als sonst und verbissen in eine geheime Mission, kritzelste unverständliches Zeug an die Ränder deiner Hefter.

Irgendwann, es muss wohl zwei Wochen später gewesen sein, klingelte mitten in der Nacht unser Telefon. Gut, dass meine Eltern nicht zuhause waren und mein Bruder feiern, denn du brauchtest mich um eine Leiche zu beseitigen. Es war dein erster Mord, unser erstes ernsthaftes Verbrechen, abgesehen von Diebstahl. Als ich mein Fahrrad bei der alten Fabrik abgeschmissen hatte, kamst du mir schon blutig und käseweiß entgegen. Es war der Mörder deines Bruders. Er hatte es verdient. Wir waren doch erst 11.

An was man sich so alles erinnert, wenn man nicht schlafen kann. So geschockt habe ich dich nie wieder erlebt. Es hat uns beide verändert. Unsere Seelen stählern gemacht und uns zusammen geschweißt. Ich glaube man hat die Leiche noch immer nicht gefunden.

Sebastian


Briefe an JimWo Geschichten leben. Entdecke jetzt