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Harry setzte sich zu Hermine und Ron an den vollbesetzten Gryffindortisch und tat ihre Fragen mit einem ausweichenden »nicht so wichtig« ab. Die beiden tauschten verwirrte Blicke und sahen dann zurück zu Harry.
»Du kannst es uns sagen, Mann«, meinte Ron.
»Nicht hier. Ich sag's euch später.« Harry hatte Angst, Ron würde ausflippen und ihn zur Schnecke machen und das wollte er sich lieber nicht vor der gesamten Schülerschaft geben lassen.
Ginny kam nicht zum Essen, was Harry leicht besorgte, aber sobald Malfoy die große Halle betrat und sich zu die Slytherins setzte, waren seine Sorgen wie weggeblasen. Er musste an ihr Gespräch denken. Waren sie jetzt wirklich Freunde? Draco Malfoy und Harry Potter waren Freunde? Ein warmer Schauder lief ihm bei diesem Gedanken über den Rücken.

Draco beobachtete den Gryffindorjungen unverhohlen vom Slytherintisch aus. Pansy saß neben ihm und warf ihm alle paar Sekunden finstere Blick zu.
»Sag mal, planst du irgendwas, Draco? Warum starrst du die ganze Zeit so da rüber?«, fragte Pansy und wedelte mit der Hand vor Dracos Gesicht.
»Ich starre nicht«, erwiderte dieser ohne den Blick von Potter abzuwenden.
»Also planst du etwas. Großartig! Wollen wir Potter einen Fluch auf den Hals hetzen? Oder ihm vor allen anderen die Hose runterziehen? Wir könnten auch neue "Potter Stinkt"- Button herstellen!« Pansy war ganz begeistert von ihren Ideen.
»Sind wir nicht ein bisschen zu alt für sowas, Pansy?« Draco sah sie nun doch an und musterte sie abschätzig.
»Zu alt? Draco, was ist eigentlich los mit dir? Sag nicht, dass du jetzt auf der Seite von diesem Gryffindork bist!«
Draco verdrehte die Augen. »Ich bin auf seiner Seite. Er hat den größten schwarzmagischen Zauberer erledigt, den die Welt je gesehen hat. Also ja, ich bin auf seiner Seite.«
Pansy starrte ihn mit offenem Mund an. »Du bist ein Todesser, Draco! Wie kannst du...«
»Das reicht jetzt, Pansy!«, unterbrach Draco sie unwirsch. Bei der Erwähnung an seine Zeit als Todesser war ihm ein eiskalter Schauer durch den ganzen Körper gefahren. Er hatte keine Lust mehr mit Pansy zu reden. Er hatte keine Lust mehr mit irgendwem zu reden. Draco stand auf und verließ ohne weitere Worte den Slytherintisch. Ich bin kein Todesser, ich bin kein Todesser, ich bin kein Todesser, redete er sich immer wieder ein, während er durch die großen Türen verschwand. Da meldetet sich plötzlich eine zischende Stimme in seinem Kopf. Das Zeichen auf deinem Arm sagt etwas anderes. Du bist ein Todesser, Draco Malfoy. Du gehörst zur dunklen Seite.
Draco war stehengeblieben und hatte sich keuchend gegen die kalten Steine der Wand gelehnt. Er kannte diese Stimme. Aber das war nicht möglich. Es war die Stimme von Lord Voldemort. Draco schüttelte heftig den Kopf, presste eine Hand auf seinen linken Unterarm, der plötzlich anfing zu brennen, und fing an zu rennen. Er brauchte Luft.
Du kannst nicht vor dem fliehen, was du bist, Draco. Du gehörst mir.
Er lockerte die grüne Krawatte seiner Schuluniform und lief weiter. Wie automatisch brachten ihn seine Füße zum Astronomieturm.
Ja, Draco, hier hättest du mir deine Treue beweisen müssen. Hier hättest du Dumbledore töten müssen. Aber du hast es nicht geschafft. Du bist schwach, Draco, und nutzlos. Genau wie dein Vater!
»Hör auf!«, schrie Draco und presste sich die Hände gegen die Ohren.
Schwach. Du bist schwach.
»Du bist tot! Du bist nicht echt!« Die Worte kamen nur in einem Flüstern über seine Lippen.
Das mag sein, aber warum hörst du mich dann? Warum lässt du dich von meinen Worten kontrollieren, wenn das nicht echt ist? Weil du schwach bist. Du bist eine Schande. Die Welt braucht niemanden wie dich.
Draco schüttelte den Kopf und presste die Hände noch fester auf die Ohren. Die Stimme existierte zwar nur in seinem Kopf, aber sie sprach genau das aus, was Draco seit zwei Jahren dachte.

Harry hatte Draco beobachtet, als dieser wütend aus der großen Halle gegangen war. Die Situation hatte er schnell erfasst. Pansy Parkinson lachte verächtlich und verdrehte die Augen. Sie tuschelte mit ihrer Sitznachbarin und zeigte auf Draco.
»Ich muss mal kurz wohin. Wartet nicht auf mich«, sagte Harry zu seinen Freunden und stand auf.
»Wo willst du denn hin?«
»Kann ich dein Essen haben?«
Harry ignorierte die Rufe der beiden und lief schnellen Schrittes in den Flur. Er glaubte zu wissen, wo er den Slytherin finden würde. Er lief schnell durch die Korridore und rannte los, als er Dracos Stimme vernahm. Als er die Treppe zum Astronomieturm erklommen hatte, sah er den Jungen mit dem Rücken zu ihm stehen. Draco hatte Harry nicht kommen hören und schwang sich nun auf das hohe Geländer. Harry riss erschrocken die Augen auf.
»Hör endlich auf!«
Harry zuckte zusammen, als Draco sprach. Er glaubte nicht, dass er mit ihm gesprochen hatte, aber ansonsten war hier niemand. In seiner Stimme schwang eine solche Verzweiflung mit.
»Ich tu's!«, presste Draco zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Harry konnte sehen, wie sich Dracos Körper auf den Absprung vorbereitete und bevor er richtig wusste, was er tat, war er zu ihm gestürzt.
»Draco!«, schrie Harry und packte dessen Arme.
Dieser zuckte zusammen und Harry konnte ihn nur mit Mühe, vom Geländer ziehen. Draco wehrte sich schwach gegen Harrys Hilfe, machte aber auch keine Anstalten, wieder auf das Geländer zu klettern, sobald er mit beiden Füßen wieder auf festem Boden stand.
»Hör auf mit dem Scheiß, Draco!« Harry starrte ihm in das traurige Gesicht. Draco hatte Tränen in den Augen und sein ganzer Körper zitterte.
»Potter?«, flüsterte er und schlang dann die Arme um Harrys Körper.
Harry war so überrascht, dass er für einen Moment einfach nichts tat. Schließlich schlang er seine Arme um den schlanken Körper des Größeren und vergrub das Gesicht in Dracos Halsbeuge.
»Was sollte das denn?«, fragte er nach einer Weile - sie umarmten sich immer noch und Draco schien ihn auch nicht loslassen zu wollen.
»Er hat zu mir gesprochen. Du-weißt-schon-wer«, wisperte Draco.
Harry zog die Augenbrauen nach oben. »Aber er ist tot. Er ist weg.«
Draco nickte an Harrys Schulter. »Ich weiß.« Es hörte sich nicht wirklich überzeugend an, weshalb Harry ihn leicht von sich schob und ihm in die sturmgrauen Augen blickte.
»Was hat er gesagt, Draco?« Harry war gar nicht aufgefallen, dass er den Slytherin die ganze Zeit beim Vornamen nannte.
Draco schluckte und musste sich sammeln. »Er hat gesagt, ich wäre schwach und nutzlos und dass die Welt niemanden wie mich braucht. Und er hat recht.«
»Hat er nicht, kapiert?«
»Hör auf, zu jedem so verdammt nett zu sein! Ich hab's nicht verdient! Ich hab gar nichts verdient!«
»Wir sind jetzt Freunde, Draco, und Freunde helfen einander, wenn es ihnen schlecht geht. Und Freunde sind nett zueinander.«
Draco schnaubte verächtlich und drehte sich kopfschüttelnd von Harry weg. Er ging auf und ab. Langsam wurde es Harry zu viel; er packte Draco am Handgelenk und drehte ihn zu sich.
Draco riss sich los und schob seinen linken Pulloverärmel hoch.
Harry zuckte kaum merklich zusammen, als er das dunkle Mal - Voldemorts Mal - auf Dracos Unterarm sah.
»Du willst nicht mit mir befreundet sein. Ich bin einer von ihnen, einer seiner Leute. Ich wollte Dumbledore töten! Ich wollte ihn an die Macht bringen!«
Harry merkte, dass sie sich das Gespräch in die falsche Richtung bewegte und sah sein Gegenüber einen Moment schweigend an. Er überlegte, was er sagen konnte, doch Draco kam ihm zuvor.
»Wir reden morgen weiter.«
Und im nächsten Moment war er auch schon auf der Treppe. Harry hörte seine Schritte, die sich immer weiter entfernten. Er wollte Draco eigentlich nicht einfach so gehen lassen, aber er wusste auch, dass es keinen Sinn hatte, mit dem Slytherin zu reden, wenn dieser nicht mit ihm reden wollte. Also wartete Harry einen Moment, bevor er selbst die Wendeltreppe hinabstieg.

Drarry // I won't let goWo Geschichten leben. Entdecke jetzt