Prolog

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Er kauerte hinter einem der riesigen Felsen, mit denen dieser Landstrich geradezu übersät war und beobachtete vorsichtig ein Lager, das ungefähr fünfzehn Orks vor etwa einer Stunde aufgeschlagen hatten. Er war ihnen bis hier hin auf ihrem Weg gefolgt. Nun saß die ganze Gruppe um ein großes Lagerfeuer. Die vielen Gestalten warfen flackernde Schatten auf den staubigen Boden hinter sich. Es wunderte ihn, wie die Bewohner der Ödlande hier nur Feuerholz auftrieben. Denn er war bisher selten auf Bäume gestoßen. Die Ödlande hatten ihren Namen eben doch verdient. Am Tag war es heiß, aber sobald die gleißende Sonne hinter dem Horizont verschwunden war, wurde es schlagartig kalt, sodass man abends unbedingt ein Feuer anzünden musste, um sich warm zu halten. Und noch schwieriger zu finden, war Wasser. Würden die Orks oder die meisten anderen Bewohner der Ödlande nicht so schreckliche Fratzen besitzen und hätten wenigstens ein kleines bisschen Verstand, hätte Atar sie vielleicht sogar dafür bewundert, dass sie hier überleben konnten. Er hatte allerdings manchmal den Eindruck, dass die sengende Hitze dem Hirn der Kreaturen gar nicht gut tat.

Er lenkte seine Gedanken wieder auf das Lager. Einer aus der Gruppe erhob sich von einem Stein, auf dem er es sich bisher gemütlich gemacht hatte und alle Orks verstummten augenblicklich. Gespannt sahen sie nun alle den Ork an, der sich so gänzlich von ihnen anderen unterschied. Er trug einen schwarzen Mantel und Stiefel, die man sich nur mit viel Geld erstehen konnte. Die anderen Orks waren hingegen eine ziemlich abgerissene Bande. Sie trugen nichts Einheitliches. Der eine hatte einen Helm, der andere trug nur Lumpen am ganzen Körper. Wieder ein anderer hatte ein paar Rüstungsteile an. Eine Armschiene, einen Brustpanzer. So wie man sich eine bunt zusammengewürfelte Räuberbande vorstellte. Und nichts anderes waren diese Orks. Aber ihr Anführer, der in dem schwarzen Mantel, er war es, der Atar interessierte. Die anderen waren ihm egal. Für ihn waren sie nur ein Hindernis, den Anführer, Kasso, zur Rede zu stellen.

Plötzlich loderte die Flamme des Lagerfeuers blau auf, dann tiefrot, dann grün. Schließlich wurde sie so gleißend weiß, dass Atar die Augen abwandte und sich weiter hinter seinen Felsen zurückzog.

Langsam wurde die Umgebung wieder dunkler. Er wartete noch eine Weile und traute sich dann wieder hinter seinem Felsen hervor. Kasso saß inzwischen wieder auf seinem Stein, die Beine lässig ausgestreckt. Das beweist einmal wieder die Dummheit eines Orks. So ein Feuer sieht man doch meilenweit, dachte Atar, während er versuchte die hellen Flecken durch Blinzeln von seinen Augen zu vertreiben

Ebenfalls blinzelnd erholten sich die Orks langsam wieder. Die ersten fingen an zu klatschen und bald johlten alle und stampften mit ihren Stiefeln auf den trockenen Boden, der leicht zu vibrieren begann. Manche grölten vor Begeisterung und ihre Gesichter verzogen sich dabei noch schrecklicher. Es war nicht schwer zu erraten, dass sie noch mehr sehen wollten.

Gegenüber diesen Kreaturen empfand Atar nur Abscheu. Sie hatten zwar durchaus eine ähnliche Gestalt, wie die Menschen und somit auch wie er selbst, aber sie waren ein wenig schmaler und liefen meist gekrümmt wie Greise. Sollte Atar jemand je mit einem Ork vergleichen, würde er ihm sofort den Hals umdrehen. Denn Unterschiede waren vor allem am Kopf zu erkennen. Orks hatten wenige Haare, spitze Ohren und Zähne, platte Schweinenasen und tiefliegende Augen. Insgesamt waren sie knochig und dürr, weshalb sie äußerst zerbrechlich wirkten und doch durfte man sie keinesfalls unterschätzen. Diese Erfahrung war für ihn schmerzhaft verlaufen. Zu seiner Verteidigung konnte er aber sagen, dass seine Talente damals noch nicht entdeckt worden waren.

Die Orks forderten lautstark noch ein paar Kunststücke von Kasso. Er genoss die Aufmerksamkeit sichtlich, die ihm die Orks entgegenbrachten und den Respekt sicher auch. Schließlich machte Kasso den Mund auf und die johlenden Orks verstummten wieder. Er erhob sich abermals von seinem Stein, der ihm wohl dazu diente, nicht auf dem dreckigen Boden, wie die anderen Orks sitzen zu müssen. Atar sah das Blinken von Nithil unter Kassos Mantel, während er sich bewegte. Nur einen Mantel über der Nithilrüstung zu tragen, war schon etwas riskant. Nicht nur Atar erkannte aufblinkendes Nithil. Es gab in dieser Gegend viele Gründe, warum man eine Rüstung, eigentlich gefertigt und getragen von Elfen, lieber nicht offen zeigen sollte. Zunächst einmal waren alle Wesen in den Ödlanden mehr oder weniger Diebe. Sie würden die Chance auf eine Nithilrüstung nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen. Und am besten konnte man nun mal Leichen bestehlen. Außerdem galt man mit einer solchen Rüstung als Freund der Elfen, die hier allerdings ziemlich verhasst waren. Hatte man aber ganz viel Pech, machte man damit die Mächtigen in den Ödlanden auf sich aufmerksam. Auch Mitglieder aus Atars Orden wurden letztlich nicht mit einem ganzen Heer fertig.

Der Blutschrein [1] - Die EntführungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt