Kapitel III

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III. Tag

Der nächste Tag begann wie immer mit dem Sonnenaufgang. Er rieb sich die Augen und die Welt gewann an Schärfe. Er sprang aus dem Bett, eilte in die Küche und nahm sich eine Liä, eine Frucht, die einem Apfel hinsichtlich der Form glich, aber giftgrün war und äußerst süß schmeckte. Er aß sie, während er mit einer Hand seine Kleidung und seine Haare vor dem Spiegel im Hauptzimmer richtete. Schnell holte er noch Köcher und Bogen aus seinem Zimmer und machte sich dann auf den Weg zu den Übungsplätzen.

Der Vormittag verlief, ohne dass etwas Besonderes passierte. Maryn machte wieder praktischen Unterricht und erinnerte Jiran daran, dass er in fünf Tagen wieder eine Theoriestunde machen würde und er das Buch bis dahin gelesen haben musste. Für Jiran war das eigentlich kein Problem, denn er war ja schon halb durch. Litan begegnete er glücklicherweise nicht und blieb somit schon einmal den halben Tag von Litans Spott verschont. Den restlichen halben Tag, konnte man getrost auch wegrechnen, denn so wenig, wie sich Jiran draußen sehen ließ, da war es nicht sehr wahrscheinlich, dass er gerade Litan über den Weg lief.

Am Nachmittag las Jiran auf Maryns Erinnerung hin das Buch fertig. Auch am Ende war es nicht weniger sachlich oder chronologisch. Es war wenigstens nicht einer dieser Wälzer gewesen, die den Leser ewig mit langweiligen unwichtigen Details quälten, sondern ein Buch, das alles einigermaßen knapp zusammenfasste. Zwar war es immer interessant, etwas Neues zu erfahren, andererseits war es dann doch nicht so gut, wie eine richtig spannende Geschichte.  

Dabei erinnerte er sich daran, dass er vor zwei Tagen ein Buch in der Bibliothek angefangen hatte zu lesen und er es mit nach Hause genommen hatte. Eigentlich hatte er Jatar versprochen, das Buch am nächsten Tag wieder zurückzubringen, aber jetzt waren es schon zwei Tage. Bevor Jatar es aber zurückerhielt, würde er noch ein wenig warten müssen, denn ehe Jiran es nicht durchgelesen hatte, würde er es auf keinen Fall abgeben.  

Er suchte die Stelle, an der er das letzte Mal zu lesen aufgehört hatte und begann dort fortzufahren. Nachdem Kinador am Anfang viel über die Städte und deren Schönheit geschrieben hatte, so wurde es jetzt interessant. 

Denn er kommt in ein Dorf, das westlich von Ryonin liegt und damit nahe an der Grenze, an der der heilige Wald, ein Laubwald, in die westlichen Wälder, die Nadelwälder, übergeht. Dort begegnet er einigen alten Männern und Frauen. Diese besitzen Aufzeichnungen und Papiere, die schon sehr alt sind. Damals, sagen die Alten, konnte jeder Elf Magie wirken, denn jeder hätte es dringend benötigt. Kinador erzählt von verschiedenen Dingen, die er in diesem Dorf bemerkt, von Ereignissen, die seltsam sind, magisch eben. Er sieht zum Beispiel einmal ein Feuer, das sich plötzlich entzündet und dann ebenso schnell wieder ausgelöscht wird. Das und einiges anderes Geheimnisvolles passiert in diesem kleinen Dorf, das Kinador aber binnen weniger Tage wieder verlässt. 

Danach überflog Jiran die Seiten nur noch bis zum Ende. Auch dieses Buch hatte wenig mit dem Titel zu tun, bis auf diese eine kleine Dorf, wenn man überhaupt von magischen Ereignissen dort sprechen konnte. Nichtsdestotrotz fand er es interessant, dass früher wohl jeder Elf Magie beherrscht hatte. Aber schade war es schon, dass Kinador nicht genauer nachgefragt hatte. Vielleicht hatte er auch einfach Angst gehabt oder er traute sich nicht, von diesen Dingen in seinem Buch zu schreiben. Wie viel von dem, was in seinem Buch stand der Wahrheit entsprach, war sowieso fraglich.

Er suchte am späten Nachmittag die Bibliothek auf, um das Buch zurückzugeben. Jatar war ihm nicht böse. Ihn schien es nicht zu kümmern, wenn er ein Buch länger behielt.  

„Habe mich schon gefragt, wo du mit dem Buch geblieben bist, wo du doch sonst immer so schnell mit dem Lesen bist."  

„Tut mir leid, aber in letzter Zeit hatte ich anderes zu tun. Ich habe das Buch einfach vergessen.", antwortete Jiran ein wenig schuldbewusst.  

Der Blutschrein [1] - Die EntführungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt