Kapitel X

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X. Tag

Die Sonne vertrieb Stück für Stück die Nacht. Sie schob sich immer höher in den Himmel, weckte die Vögel, dir munter zu zwitschern begannen. Erhellte und wärmte die Welt mit ihren Strahlen. Nur leider bekam Jiran all das nicht mit. Er saß wach im Keller der Schmiede und döste vor sich hin, wartete darauf, dass der Schmied kam, um ihn zur Arbeit abzuholen, spielte mit dem Gedanken, einfach von alleine nach oben zu steigen. Er blieb dann aber doch sitzen.

Er musste sich etwas anderes einfallen lassen, wollte er Ilena finden oder selbst nach Ryonin fliehen. Aber vielleicht würde er die nächsten Nächte einfach mal wie ein braver Junge schlafen und darauf hoffen, dass sich irgendwann einmal eine Möglichkeit eröffnete zu fliehen.

Trotz allem gewöhnte er sich langsam an dieses Leben. Es war nicht mehr so schlimm, wie am ersten Tag. Er bekam schließlich etwas zu essen, auch wenn es mehr sein könnte und der Schmied und seine Tochter waren einigermaßen nett zu ihm. Der Modergeruch störte ihn auch nicht mehr, seine Nase hatte sich inzwischen an ihn gewöhnt und er nahm ihn deshalb gar nicht mehr war. Das einzige, was er noch immer hasste, war seine Bettstatt. Sie war einfach viel zu hart. Es ließ sich aber aushalten, da er immer todmüde war am Abend oder in der Nacht, wenn er von seinen Ausflügen zurückkehrte. Da konnte ihn die harte Matte auch nicht mehr daran hindern, seinen seligen Schlaf zu finden.

Während er auf den Schmied wartete, warf er einen der zwei Äpfel hoch und fing ihn anschließend wieder auf. Damit es nicht langweilig wurde, nahm er den zweiten Apfel und warf sie immer wieder gleichzeitig und dann versetzt hoch und versuchte sie wieder aufzufangen, was ihm nicht immer gelang. Endlich hörte er deutliche Schritte über sich. Er versteckte die Äpfel in einer Schublade der Kommode. Der Schmied musste ja nicht gerade über sie stolpern.

Inzwischen kannte er sich im Keller recht gut aus. Auch ohne Licht. Er wusste von allen Dingen die ungefähren Standorte. Die Kommode, die Ecke, wo die Mäuse immer auftauchten, die Leiter und die Falltür, einige andere Schränke und leere Kisten und natürlich seine Strohmatte. So musste er nicht mehr suchen und tasten, wenn er etwas suchte.

Der Schmied holte ihn schließlich ab und die Arbeit begann.

Die Stunden der Arbeit verrannen mit dem monotonen wizz wizz wizz. Kunden kamen kaum welche. Und wenn, dann kümmerten sie sich nicht um Jiran. Faranir war am Morgen aufgebrochen, hörte er aus einem Gespräch heraus, das der Schmied mit einer Nachtelfe geführt hatte, die von ihrem neuen Schwert ganz begeistert war. Entsprechend war dann auch die Größe des Säckchens, das sie Hessan zuschob. Hessan bedankte sich überschwänglich und die Nachtelfe versicherte, sie würde sich mal wieder blicken lassen. Mit einem Pfeifen machte der Schmied sich wieder an die Arbeit, nachdem die Nachtelfe gegangen war. Lob tat eben jedem gut. Egal ob Elf oder Nachtelf.

Die Mittagspause kam und ging. Ebenso der restliche Nachmittag bis zum Abend. Erschöpft und schwitzend streckte sich Jiran auf seiner Matte aus. Für heute hatte er genug. Ein weiterer Ausflug wäre sowieso vergeudete Zeit, denn was sollte er im Dorf machen, wenn er nicht nach draußen kam. Und er bezweifelte, dass er eine Lücke in der magischen Mauer finden würde. Am Ende lief er sowieso nur wieder Sargil in die Arme und in seiner momentanen Verfassung würde er eine weitere Jagd nicht gewinnen. Eher würde er stolpern und dann wäre sein Ende besiegelt. Aber es war sowieso nicht sicher, ob sich Sargil noch einmal so überrumpeln ließ ...

Er war müde, verschwitzt und noch einmal müde und brauchte deshalb dringend Schlaf. Seine Augen fielen ihm mitten in seinen Gedanken zu. Er hatte vergessen, seinen Apfel zu essen. Die Mäuse mussten sich heute etwas anderes zum Fressen suchen. Oder auch nicht, denn sie trippelten leise zu dem schlummernden Elfen und machten sich alle drei an seinem Apfel zu schaffen. Nur gut, dass er die beiden gestohlenen Äpfel zur Sicherheit in der Kommode versteckt hatte. Wer weiß, vielleicht wären sie sonst auch nicht mehr da gewesen, am nächsten Morgen.

*****

Die Schatten waren zwei Gestalten weniger, seit sie gegen die Wildkatzen gekämpft hatten. Die restlichen Wildkatzen waren dann glücklicherweise geflohen, als sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannt hatten. Sie packten also ihre Sachen zusammen, denn sie hatten den ganzen Tag geschlafen. Sie zogen nur nachts weiter. Zum einen, weil sie sich in der Nacht sicherer und wohler fühlten und zum anderen waren Elfen meistens tagsüber unterwegs. Der Grund war, dass die Elfen träge waren. Sie beobachteten das Umland schon lange nicht mehr so genau, wie sie es einmal getan hatten und bewachten es nur noch am Tag.

Die Schatten verließen die niedrige Höhle, in der sie die Nacht verbracht hatten und traten in das blutrote Licht der untergehenden Sonne. Die Höhle ging noch tiefer, aber das interessierte die Schatten nicht. Sie wollten ihr Ziel so schnell wie nur möglich erreichen und geheimnisvolle Höhlen gab es in ihrer Heimat zur Genüge.

Das Land, durch das sie nun huschten, wurde immer felsiger. Große Felsen lagen herum. Der Boden stieg an und die Spitzen der ersten hohen Berge waren im Licht der untergehenden Sonne zu sehen. Das Gras wurde spärlicher. Sie näherten sich dem Grenzgebirge, wie das Gebirge von ihrem Volk genannt wurde. Die Grenze zu einem Land, das ihnen nur aus Märchen und Legenden bekannt war. Das Land der Elfen.

Die Steine knirschten kaum unter ihren Sohlen. Durch die Nacht hallte der Ruf eines Nachtvogels. Sie scheuchten eine Herde Uora auf. Aber nur wer so feine Ohren hatte wie ein Uora, der konnte die Gestalten hören. Wer aber eine gute Nase hatte, hatte keine Probleme die Gruppe aufzuspüren, denn ihr schrecklicher Geruch war unverkennbar. Aber die Schatten mussten auf ihr Glück vertrauen. Darauf, dass sie unbeschadet durch den Pass kamen. Es war der einzige Weg, der an Ge-Trosha vorbeiführte. Außerdem hatte auch der, den sie verfolgten, diesen Weg genommen. Somit konnten sie mehr oder weniger in seine Fußstapfen treten. Vielleicht umgingen sie dann einige Gefahren, ohne darüber nachzudenken.

Als der Weg immer steiler wurde, rutschte plötzlich eine der Gestalten aus. Steine knirschten und rutschten den steilen Weg nach unten, von dort wo die Schatten hergekommen waren. Er konnte sein Gleichgewicht gerade noch halten und fluchte danach lauthals, aber ein anderer mahnte ihn leise zur Vorsicht und er verstummte sofort wieder. Die Gruppe war stehen geblieben, aber als der Ausgerutschte wieder bereit war, ging die Reise weiter. Immer höher und höher in die Berge, in denen die schlimmsten Kreaturen lebten, die bekannt oder auch nicht bekannt waren. Aber die Schatten würden alles tun, um ihren Meister und Freund zu rächen.

Der Blutschrein [1] - Die EntführungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt